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Archiv-Artikel

Gustav machte den Anfang

Im geflügelreichen Brandenburg ist die Gans nur eine saisonale kulinarische Randerscheinung. Zu Unrecht: Haben doch „die edlen Herren Gans“ aus der Prignitz dem Vogel bereits vor Jahrhunderten zu regionaler Prominenz verholfen

VON TOM WOLF

Die Gans bedeutet für den Menschen „Fest“, bedeutet „in Kürze Weihnachten“, bedeutet etwas verlängert: erst heiliger Martin, dann Weihnachtsmann. Gänsebraten, gefüllte Gans, Gänseklein, Gänsestopfleber, sprich: Gänseleberpastete, gar Gänseleberparfait. Das gemahnt an den netten Berliner Leitspruch: Lieba wat Jutes, dafür een bissken mehr. Im Titel dieses Textes stand aber das Wort Brandenburg. Da darf man kulinarisch keine absoluten Höhenflüge erwarten. Außerdem ist das Gänsestopfen oder -nudeln, die bewährte Methode, um große Lebern bei den Tieren zu erhalten, hierzulande verboten. Das Beste an der Gans muss daher importiert werden. Jedenfalls ist es seltsam, dass die Gans im geflügelreichen Brandenburg nur eine saisonale kulinarische Randerscheinung abgibt. Bei einem Rundflug, wie ihn die hervorragende „Kulinarische Erlebnisreise durch Berlin & Brandenburg“ von Frank P. Freudenberg bietet, vermisst man die Gans vor allem im Abschnitt über die Prignitz. Der sonst auf amüsante Weise Geschichtsträchtiges mit leiblichem Wohl verknüpfende Autor hatte augenscheinlich kein Interesse am billigen Hinweis auf die edlen Herren Gans, die im nördlichsten Zipfel Brandenburgs einige Jahrhunderte lang den Ton angaben. Wir sind da Kalauer-resistenter und freuen uns ob der Tatsache, dass der erste edle Gänserich in der Prignitz sogar Gustav Gans hieß.

Gans setzte im Zuge des so genannten Wendenkreuzzuges 1147 über die Elbe und gründete das Städtchen Wittenberge. Die Stadt hatte bezeichnenderweise im Grundriss die Form eines Schiffs, mit der Kirche anstelle des Mastes, denn die edlen Herren Gans kassierten fortan jeden Elbschiffer ab, der vorbeikam. Sie waren als Raubritter und adelige Grundherren nicht sehr beliebt. Busreisegruppen aus Berlin können sich in der Alten Burg am Steintor bei Gänseschmalzbroten und Krügen mit würzigem Malzkaffee die ganze Geschichte Wittenberges erklären lassen: „Malzkaffee und Elbewasser“ heißt das Programm.

Zur Verhasstheit der „edlen Gänse“ in ihrem brandenburgischen Herrschaftsgebiet mag beigetragen haben, dass ihnen am Martinstag wie überall den Grundherren eine fette Gans geopfert werden musste. Außer in Wittenberge saßen die feudalen Gänse gut gemästet in Wolfshagen bei Pritzwalk und in Putlitz. Natürlich wurde im Schlachtemonat November an den Tischen der Untertanen ebenfalls geschmaust; da aß man mit blutrünstigen Gedanken an den Bauernkrieg aber eher Metzelsuppe oder Gänseklein.

Die so genannte Gänsetour ermöglicht es sportiven Gänsefans neuerdings, Brandenburg mit Rad und Gans am eigenen Leibe zu erfahren. Die 80 Kilometer lange Radstrecke führt von Wittenberge über Wolfshagen, Stepenitz (Klosterstift Marienfließ) und Putlitz bis Meyenburg. Im Restaurant neben dem Schloss der edlen Herren Gans zu Putlitz in Wolfshagen muss der Wirt bedauern: „Gänseschwarzsauer wird heutzutage nicht mehr verlangt.“ Was ist das eigentlich? Gänseklein mit Wurzelwerk, Zwiebel, Lorbeerblatt, Gewürznelke, Piment, Salz, Pfeffer und Essig in Wasser gekocht, die Brühe mit geriebenem Pfefferkuchen und Gänseblut gebunden. Was man nie aß, darüber muss man schweigen.

Immerhin bietet der Wolfshäger seit kurzem Gänseweißsauer an, was von Touristen und Einheimischen gleichermaßen fröhlich aufgenommen wird: Gänsefleisch mit Kalbsfüßen, Wurzelwerk, Kräuterbündel und Gewürzen (Piment, Salz, Pfeffer) in Wasser gar gekocht; die Brühe passiert, mit Zitronensaft oder Essig abgeschmeckt, über das ausgelöste Gänsefleisch gegossen, wo es geliert. Dazu Bratkartoffeln, Remoulade und Gänsesülze – das ist ein gänslich-brandenburgisches Geschmackserlebnis.

Zum Schluss noch ein Wort zur Weihnachtsgans. An Thanksgiving wurde in Amerika seit den Zeiten der Pilgerväter gebratener Truthahn verzehrt, eine Sitte, die auf das Heimatland der pilgrim fathers übersprang. Der Truthahnbraten wurde zum Weihnachtsbraten des viktorianischen Englands.

Kurioserweise hatte die Weihnachtsgans eine englische Elisabeth zur Ziehmutter. Elisabeth I. ließ sich 1588, als sie vom Sieg der englischen Flotte über die spanische Armada hörte, eine riesige Gans braten – stimmungsecht war es Heiliger Abend. Der Truthahn zu Weihnachten hatte abgedankt, Königin Weihnachtsgans hielt fortan in England und bald auch auf dem Kontinent ihren triumphalen Einzug.

Auch in Brandenburg feiert man ihre alljährliche Inthronisation: Martins Gans hat ihr am 11. November bereits den Weg geebnet, von trommelnden Narren und Kindergruppen mit Laternen begleitet.