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Buch von SPD-Generalsekretärin NahlesWandel einer Königsmörderin

Die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles schildert in ihrem neuen Buch sozialdemokratische Dramen - und stürzt dabei stilistisch zielsicher ab.

Doppelte Nahles: Buchvorstellung in Berlin. Bild: dpa

Kurt Beck hat es getan, Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier sowieso, Franz Müntefering auch. Wer in der SPD etwas ist oder war oder werden will, schreibt ein Buch. Der Sachbuchmarkt mag kriseln - das Genre des Politikerbuches boomt. Längst haben wir es nicht mehr nur mit der klassischen Biografie verdienter Staatsmänner zu tun, die in bedenklicher Grammatik, grauenhaften Schachtelsätzen und ausgeleierten Metaphern ihr segensreiches Tun ins rechte Licht setzen. Heutzutage möchten auch Jungpolitiker ihr Leben darstellen und vermehren so die Schwindel erregende Zahl von knapp 100.000 Neuerscheinungen im Jahr.

Warum werden immer mehr Politikerbücher geschrieben, verkauft und, was zweifelhaft ist, womöglich gelesen? Offenbar ist der Druck zu Selbsterklärung und Imagebildung gestiegen. Politiker müssen, mehr als früher, authentisch wirken. Und da ist das mit biografischen Details umrankte politische Glaubensbekenntnis nützlich. Außerdem ist es wohl kein Zufall, dass sich bei der SPD Wahlniederlagen und Politikerbücher gleichzeitig häufen. Es besteht Rechtfertigungsbedarf.

Andrea Nahles ist Generalsekretärin der SPD und hat, noch keine 40 Jahre alt, eine Selbsterklärung verfasst. Sie heißt "Frau gläubig links - Was mir wichtig ist" und enthält die genreübliche Mischung von biografischer Erzählung und politischer Verteidigungsrede. Der größte Teil dreht sich um das sozialdemokratische Drama. Einerseits werden die verheerenden Auswirkungen der Agenda 2010 benannt, andererseits wird Schröder in Schutz genommen. Diese sozialdemokratische Dialektik ist intellektuell wenig glanzvoll, im Moment aber nötig. Die SPD muss sich als Oppositionspartei profilieren, ohne elf Regierungsjahre einfach über Bord gehen zu lassen. Warum die Sozialdemokratie sich unter Schröder so meilenweit von sich selbst entfernt hat, erfährt man auch bei Nahles nicht. Recht sympathisch ist ihr Plädoyer, mehr Zweifel zuzulassen, um zu verhindern, dass sich noch mal eine Führungsriege in falschen Gewissheiten einmauert. Mal sehen, wie viel Zweifel Nahles sich als Generalsekretärin erlauben wird.

"Ich wollte", so Nahles gestern in Berlin bei der Buchvorstellung, "etwas über meine Generation sagen." Über die 68er wisse man doch schon alles, über ihre Generation hingegen wenig. Genau dies ist auch das Problem. Um von "meiner Generation" zu reden, braucht Nahles die Abgrenzung von "den 68ern", weil der Vorrat an eigenem Generationsverbindenden recht karg bemessen ist. Zentraler Zweck des Buches ist allerdings nicht die Ausrufung einer neuen Generation, sondern die persönliche Imagekorrektur. In den Leitmedien ist Nahles auf die Rolle der ewigen SPD-Linken und ränkeschmiedende Königsmörderin fixiert. Das soll dieses Buch ändern. Da stecken, so Nahles hörbar begeistert von sich selbst, "ein paar Überraschungen drin". Andrea Maria Nahles stammt aus einem dörflichen, katholischen Arbeitermilieu und will als gläubige Katholikin, bodenständige Frau aus der Eifel und Kritikerin von politisch verordnetem Fitness- und Gesundheitswahn ins Rampenlicht treten. Und so das enge Bild als Frau aus dem Parteiapparat aufhellen.

Die Religion sei für sie "eine Kraftquelle", sagt Nahles fröhlich. Auf die Frage, was der Katholizismus ihr gibt, sagt sie: "Weiterzumachen". Nun ja. Irgendwie bleibt die Rolle des Religiösen diffus. "Ich glaube an eine göttliche Kraft in unserem Leben, die dort hilft, wo Politik endet", so steht es in dem Buch. "Es gibt nicht nur Glück im Leben", sagt Nahles bei der Präsentation. Es ist schon verblüffend, wie intelligente Menschen in der Nähe von TV-Kameras jede Scheu vor dröhnenden Banalitäten verlieren.

"Beim Schreiben habe ich festgestellt, dass sich die Politikerin Andrea Nahles und die Privatperson Andrea Nahles nicht voneinander trennen lassen." So steht es im Vorwort. Kinder reden manchmal von sich selbst in der dritten Person, Lothar Matthäus hat das auch lange getan. Jetzt also Nahles. Solche Stilblüten sind typisch für das Genre. Das biografisch getönte Politikerbuch gibt oft Zeugnis der "déformation professionelle" der politischen Klasse: der Unfähigkeit, sich elegant oder wenigstens unfallfrei, der deutschen Sprache zu bedienen. Das ist eigentlich auch kein Wunder. Wer täglich mit Referentenentwürfen und Tischvorlagen im Spiegelstrich-Stil zu tun hat, schreibt halt nicht wie Nick Hornby. Auch Nahles, die Literaturwissenschaft studiert hat, ist nicht vor stilistischen Abstürzen gefeit. Allerdings ist das Buch vergleichsweise klar geschrieben.

Das Beste an "Frau gläubig links" ist, was nicht darin steht: Privates. "Ich will keine intimen Einblicke gewähren", sagt Nahles. Dafür ist man ihr, angesichts der porösen Wand zwischen Privaten und Politik, ehrlich dankbar.

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13 Kommentare

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  • H
    h.perter

    So gut wie alle Politiker-Selbstdarstellungsbücher sind verzichtbar.

    ABer über Stilblüten anderer zu lästern und - in einem wesentlich kürzeren Text dieses hier zu schreiben: "Heutzutage möchten auch Jungpolitiker ihr Leben darstellen und vermehren so die Schwindel erregende Zahl von knapp 100.000 Neuerscheinungen im Jahr" lustig :-)

  • E
    Erima

    Ihren Kommentar hier eingeben

    Sie ist und bleibt Königsmörderin, als nächstes Opfer wurde der Verteidigungsminister "zu Guttenberg" ausgesucht, der jetzt am 16.12.09

    im Untersuchungsausschuss aussagen muss.

    Wer ist das nächste Opfer? Bestimmt nicht sie selbst!!!

  • TK
    Tony König

    „Andrea Nahles, katholische Hartz IV-Befürworterin und eher pseudolinke Generalsekretärin der SPD ist schon ein gewaltiges Paradoxon und sie dürfte ein Garant dafür sein, dass sich die spezialrote SPD vom verinnerlichten Schröderismus auf lange Sicht, – mal abgesehen von einwenig Retusche-, nicht wirklich loslösen wird!

    *

    Tony König

    *

    - aktiv in den sozialen Bewegungen -

  • C
    Ceylan

    Wer sich ihren Weg (vielleicht besser ihre Karriere) angesehen hat, der wird feststellen, dass es von mutiger Kritik immer weiter zu oportunistischer und im Zweifel auch mangelhafter Kritik an Verhältnissen hinging. Letztlich steht das K für Karriere ganz dick in ihrer Biogrpahie, aber nicht in ihrem Buch - aus gutem Grund.

    Es ist für die SPD-Linken nicht schicklich, darüber auskunft zu geben, wohin man / frau will, meist nämlich nach Oben. Und so bekommt mich der Verdacht, dass hier abermals jemand von Links Unten nach rechts Oben steuert.

    Dass genau dieser Werdegang die SPD immer unglaubwürdiger und zweifelhafte erscheinen lässt, prallt an diesen Leute sehr gut ab.

    Auch bei Andrea Nahles gibt es inzwischen das berühmte dicke Fell aus Ignoranz und Selbstgefälligkeit. Dabei wäre sie theoretisch ein Riesenschritt nach Vorne, war doch Hubertus Heil ein kompletter Ausfall. Heil war wohl eher der nette Parteisoldat, der das Amt hatte, damit es keiner merkte. Nun bei Nahles merkt man vor allem die Karriere von dieser SPD-Linken.

    Aber ob die SPD damit wieder in Form kommt?

    Daran habe ich große Zweifel, denn die berühmten und hier genannten letzten 11 Jahre SPD-Herrschaft waren ein Ausdruck großer Hilflosigkeit, arroganter Abgehobenheit, beinhartem Lobbyismus und immer hier und da auftretendem Populismus. Andrea Nahles sagt über Hartz-IV, dies habe die Sozialssysteme zukunftssicher gemacht. Das steht in keiner einzigen Evaluation dieser wichtigsten SPD-Reform. Die Prozesswellen bei den Sozialgerichten sprechen da eine ganz andere Sprache und so frage ich mich, ob ein führender Mensch in der SPD das alles schreiben muss oder das alles ausblenden will? In totalitären Regimen lesen die Menschen nur zwischen den Zeilen, bei Politikerbüchern von SPD-Akteuren scheint das jetzt auch der Schlüssel zur echten Information zu werden.

    Ich jedenfalls kann nicht erkennen, wie die SPD mit Andrea Nahles punkten will. Sympathie spielt keine Rolle, siehe die hohen Zustimmungswerte für Frank Walter Steinmeier als Außenminister und das tatsächliche Ergebnis seiner Kanidatur: Eine dicke Niederlage. Letztlich lebt eine gute Politik von der großen Substanz der Konzepte, Sympathie ist da gar kein Faktor und deswegen denke ich, dass dieses Buch auch der Autorin nichts bringen wird.

  • OG
    Oh Gott hilf

    Wayne interessiert diese Frau?

  • R
    redsox

    "Über die 68er wisse man doch schon alles, über ihre Generation hingegen wenig."

     

    Ihre Generation hat ständig Bauchschmerzen. Mehr brauch man nicht zu wissen!

  • KK
    Klaus Keller

    katholisch, auch das noch.

     

    nichts gegen Gläubige aber bei Politikern die das betonen bekomme ich immer Bauchschmerzen, ich fürchte dann immer religös-wahnhafte Übertreibungen.

    Bekannteste Vertreterin ist für mich Hilary Clinton, wenn sie von Gott spricht wird mir schlecht.

     

    PS leute mit normalem Geltungsbewußtsein machen eine Psychotherapie bei solchen Störungen, Frau Nahles und andere schreiben solche Bücher.

     

    klaus keller hanau

  • TS
    Tom Stuckert

    Die SPD entwickelt zu einer politischen Randgruppe, sitzt derweil ratlos auf der Oppositionsbank und versucht sich zu erinnern, was mit dem Begriff „Sozialdemokratie“ wohl gemeint war.

     

    Die Bundesrepublik verdaut immer noch an der Wirtschaftskrise, befindet sich im Krieg und diskutiert über den Klimaschutz.

     

    Und Frau Nahles? Frau Nahles schreibt ein Buch über Frau Nahles.

     

    Da kann ich den Genossen ja nur wünschen, dass niemand mehr die SPD wählt, damit Frau Nahles uns noch ein weiteres Buch schenken kann.

  • SS
    Siegfried Schöpplein

    Sie ist es, die mich bewog aus der SPD auszutreten.

  • G
    Gert

    Daß sich bisher Niemand geäussert, sagt doch einiges zum Stand der Dinge : den Führungsgremien der Sozialdemokrartischen Partei Deutschlands. Alle Neuerungsversuche, auch die Imagepflege einer Andrea Nahles werden scheitern. Werde anstelle des Buchstudiums mit arbeitlosen Jugendlichen in Wuppertal über den sozialen Kahlschlag diskutieren, was zu tun ist.

  • M
    Moxie

    Den Titelbild-Fotografen hätte ich auch gern.

  • P
    Pat

    "Wer täglich mit Referentenentwürfen und Tischvorlagen im Spiegelstrich-Stil zu tun hat, schreibt halt nicht wie Nick Hornby."

    Schon richtig. Andererseits waere es bestimmt witzig, zu lesen wie z.B. A Long Way Down für deutsche Politiker verlaeuft. "Trifft sich der SPD-Parteirat auf dem Dach..."

  • R
    reblek

    Anderswo wird diese Schrift als "Abrechnung mit Schröder und Müntefering" verkauft. Wenn sie das wäre, wäre sie wahrscheinlich noch langweiliger, als sie es jetzt schon ist, nämlich verspätet. Gegen Leute zu "gewinnen", die längst das Weite gesucht haben - bei Putins Öl oder in der Ehe mit einer Twentysomethin -, ist billig. Nahles hat, als Schröder mit der pompös "Agenda 2010" genannten Demontage des Sozialstaats gestartet hat, schön das Maul gehalten. Dabei wäre es besser geblieben.