Debatte Klimagipfel: Ich habe einen Traum

Kopenhagen bietet die Chance, unsere Welt gerechter zu gestalten. Wir müssen unser Wirtschaftssystem jetzt schnell und radikal umbauen.

Ich habe einen Traum. Ich habe den Traum, dass am Ende der laufenden, beinharten Klimaverhandlungen in Kopenhagen globale Verantwortung und Solidarität über kurzfristige nationale oder kommerzielle Interessen siegen. Ich habe den Traum, dass in dieser Woche in Kopenhagen ein faires, ehrgeiziges und bindendes Abkommen geschlossen wird.

"Träum weiter!" mögen Sie jetzt denken. "Was sollen diese großen Worte angesichts der ernüchternden politischen Realitäten. Ist das hier ein Gastkommentar oder eine Predigt?" Ja, ich bekenne: Ich bin ein Träumer. Von Kindesbeinen an habe ich von der Abschaffung der Apartheid geträumt. Aber ich habe es nicht beim Träumen belassen. Gemeinsam mit vielen anderen Menschen in Südafrika habe ich für die Verwirklichung meines Traums hart gearbeitet, zäh gestritten und gewaltfrei gekämpft. So wie Hunderttausende in Ihrem Land vom Fall der Berliner Mauer geträumt haben und dafür gearbeitet, gestritten und gekämpft haben. Wir haben unsere Träume verwirklichen können - in Südafrika wie in Deutschland. Warum sollten wir für Kopenhagen nicht daraus lernen können?

Die eigentlichen ökologischen Fragen müssen bei den Verhandlungen nicht mehr besprochen werden. Wir wissen bereits sehr viel: Wir wissen, dass der Mensch mit seinen Treibhausgasemissionen für die globale Erwärmung verantwortlich ist. Wir wissen, wie gefährlich diese Erwärmung ist, welche Staaten in den vergangenen Jahrzehnten am meisten CO2 emittiert haben und welche heute die größten Emittenten sind und wie es möglich ist, die Erderwärmung auf unter 2 Grad Celsius (im Vergleich zum vorindustriellen Niveau) zu begrenzen. Und wir wissen, dass die notwendigen Klimaschutzmaßnahmen hohe Investitionen verlangen, die gemessen an den wesentlich höheren Folgekosten eines beschleunigten Klimawandels aber vernünftig sind.

Ungelöst bleibt einzig diese politische Frage: Übernehmen die Industriestaaten endlich die Verantwortung dafür, dass sie über hundert Jahre kostenlos Milliarden Tonnen an Treibhausgasen in der Atmosphäre deponiert haben, und gehen sie deshalb voran mit Emissionssenkungen in den eigenen Ländern und der Finanzierung von alternativen Energien, Energieeffizienz, Urwaldschutz und Anpassungsmaßnahmen in Entwicklungsstaaten? Oder gilt in der Weltgemeinschaft weiterhin einzig das Prinzip der Stärke?

Die Tatsache, dass sich über einhundertzwanzig Regierungschefs in dieser Woche in Kopenhagen angekündigt haben, ist bereits ein Erfolg, und es ist unser Erfolg. Noch vor wenigen Monaten war nichts über die Teilnahme von Regierungschefs am Klimagipfel in Kopenhagen bekannt. Es waren viele Menschen weltweit, die lautstark und wohlbegründet forderten, dass Klimaschutz in Kopenhagen endlich zur Chefsache erhoben werden muss. Unzählige bunte Demonstrationen, spektakuläre Greenpeace-Aktionen, wissenschaftliche Gutachten, Zeitungsartikel, Fernsehbeiträge, Briefe, Postkarten und E-Mails haben diese gewählten Regierungschefs in Bewegung gebracht.

In Kopenhagen findet weder ein G-8- noch ein G-20-Gipfel statt. Dies ist der erste "G-192-Gipfel". Hier geht es nicht um Willensbekundungen, sondern um ein Abkommen. Dies ist das erste Mal, dass Angela Merkel, Barack Obama, Hu Jintao auch mit ihren Kollegen aus den ärmsten und am meisten vom Klimawandel bedrohten Staaten der Welt Auge in Auge verhandeln müssen. Mit Regierungschefs, für deren Staaten das Handeln von Frau Merkel unmittelbare existenzielle Konsequenzen hat. Was passiert, wenn Apisai Ielemia, der Regierungschef von Tuvalu, Frau Merkel deutlich macht, dass seine Insel im Pazifik versinkt, wenn die RWE in Deutschland weiterhin ein Kohlekraftwerk nach dem anderen baut? Tuvalu braucht weder Mitleid noch Almosen, sondern Gerechtigkeit und Entschädigung. Kopenhagen stellt eine Jahrhundert-Chance dar, mit einer an Gerechtigkeit orientierten Weltinnenpolitik endlich zu beginnen.

Zerstörung made in Germany

In der Vergangenheit hat Deutschland bei den UN-Verhandlungen stets eine hilfreiche Rolle gespielt und es ist dabei, sein Kioto-Ziel zu erreichen. Doch der Lack des positiven Klimaimages begann in den vergangenen Monaten abzublättern. Das Eintreten Merkels für die deutsche Automobilindustrie, Merkels Weigerung, die EU mit einer klaren Finanzierungsaussage nach Kopenhagen fahren zu lassen, und nun die zynische Ankündigung, man wolle sich Klimaschutzausgaben für arme Länder auf die Entwicklungshilfe anrechnen lassen. Auch wird häufig übersehen: Deutschland ist absolut - hinter den USA, China, Russland, Japan und Indien - immer noch der sechstgrößte Klimakiller weltweit. Die CO2-Emissionen pro Kopf liegen in Deutschland achtmal höher als in Indien. Das ist empörend. Zu den schlimmsten Klimakillern weltweit gehören RWE und die anderen drei großen Stromkonzerne in Deutschland ebenso wie Daimler und andere Hersteller, die weiterhin auf zu große, zu schwere und zu schnelle Autos setzen. Das ist Klimazerstörung made in Germany. Wenn Deutschland eine Vorreiterrolle im Klimaschutz spielen will, muss Frau Merkel in Kopenhagen verdeutlichen, dass sie zu einem grundsätzlichen Umsteuern ihrer Energie- und Wirtschaftspolitik bereit ist.

Das große Projekt, das in Kopenhagen geboren werden muss, ist die globale Energierevolution. Als ich vor wenigen Jahren erstmals vom Greenpeace-Konzept der Energierevolution hörte, dachte ich noch, das mit der "Revolution" sei nur eine sehr treffende Metapher. Inzwischen weiß ich, dass wir es buchstäblich nötig haben, unser Energie- und Wirtschaftssystem schnell und radikal umzubauen. Wenn das nicht revolutionär ist, was dann?

Auf der einen Seite haben wir den Traum von einer gerechten Welt. Auf der anderen Seite plagt uns der Albtraum eines galoppierenden Klimawandels, der noch mehr Elend und Vertreibung gerade für die Ärmsten zu bringen droht. In wenigen Tagen wissen wir, ob Kopenhagen uns unserem Traum oder unserem Albtraum nähergebracht hat. Bis dahin müssen die Politiker noch erheblichen Druck zu spüren bekommen.

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