Atomkraft in Litauen: Tschernobyl-Bruder vom Netz

Zum Jahreswechsel wurde das litauische AKW Ignalina abgeschaltet. Damit erfüllte das Land eine Beitritts-Bedingung der EU. Weil Ersatz fehlt, wird der Strom nun importiert.

Die Stilllegung des Kraftwerks war eine Bedingung für den EU-Beitritt des Landes. Bild: dpa

Seit Beginn des neuen Jahrzehnts läuft in Europa ein Atomkraftwerk weniger. Eine Stunde vor dem Jahreswechsel ging der litauische Reaktor Ignalina endgültig vom Netz. Mit einer Nennleistung von 1.500 MW war er der weltweit größte Atomreaktor und lieferte 75 Prozent des litauischen Stroms.

Die Stilllegung der zwei Reaktoren von Ignalina war eine Bedingung für den EU-Beitritt des Landes im Jahr 2004 gewesen. Zum einen gilt der Standort als erdbebengefährdet; zum anderen entspricht die Konstruktion dem Katastrophenreaktor von Tschernobyl und gilt als besonders anfällig. Die Reaktoren enthalten viel Grafit und sind darum feuergefährlich und schwer zu löschen. Zudem verfügen die Ignalina-Reaktoren über keinen Sicherheitsbehälter, der im Falle eines Unfalls die Gefahr des Austretens radioaktiver Stoffe in die Umgebung hätte vermindern können.

Der erste Reaktor in Ignalina musste auf Anweisung Brüssels schon 2004 abgestellt werden. Für den zweiten hatte Vilnius eine Frist von fünf Jahren erhalten, um seine weithin auf Atomstrom beruhende Stromversorgung umstellen zu können. Doch dabei haben die litauischen PolitikerInnen versagt: Obwohl Brüssel innerhalb von sechs Jahren fast 1 Milliarde Euro dafür bereitgestellt hatte, hoffte man in Vilnius jahrelang darauf, den Stilllegungszeitpunkt durch Nichtstun nach hinten schieben zu können - auch weil der Export des in Ignalina produzierten überschüssigen Stroms in die Nachbarländer ein gutes Geschäft war.

Seit dem 1. Januar ist Litauen nun vom Stromexporteur zum -importeur geworden. Nur rund die Hälfte des Strombedarfs wird man 2010 aus eigener Produktion - vorwiegend Gaskraftwerken - decken können. Der Rest muss aus Russland, Weißrussland und der Ukraine dazugekauft werden. Der staatlich regulierte Strompreis für Privathaushalte stieg zum Jahreswechsel deshalb um 30 Prozent auf umgerechnet 0,13 Euro pro Kilowattstunde. Das sei nicht erfreulich, aber keine Katastrophe, meinte Ministerpräsident Andrius Kubilius. Statistisch werde sich die Preiserhöhung in einem Plus der Lebenshaltungskosten von 0,8 Prozent niederschlagen. Für Niedrigeinkommenshaushalte sicher trotzdem eine deutliche Mehrbelastung, weshalb die Ignalina-Schließung bei den LitauerInnen auch mehrheitlich auf Ablehnung stieß.

Staatspräsidentin Dalia Grybauskaité hofft, dass nun die Investitionen in die bisher vernachlässigten erneuerbaren Energien steigen. Doch Litauen setzt auch auf eine atomare Zukunft, obwohl in den letzten Jahren alle Pläne für ein Gemeinschafts-AKW der baltischen Staaten und Polens an Kosten und Uneinigkeit gescheitert waren. Vor drei Wochen veröffentlichte das Energieministerium die Ausschreibung für einen möglichen AKW-Neubau. Dafür müssten europäische Energiekonzerne wie EDF, Eon, Enel oder Vattenfall Investionen zwischen 6 und 15 Milliarden Euro veranschlagen.

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