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Archiv-Artikel

DAS GRAS HÄTTE ICH AUCH GERN GERAUCHT YouTube-Grüße mit Gewehr

Draußen im Kino

VON DETLEV KUHLBRODT

Liebe G., leider hat das mit der Plus-eins-Einladung für dich doch nicht geklappt, weil der Forums-Empfang in diesem Jahr viel kleiner ist und auch nicht mehr in der Volksbühne, sondern irgendwo im Wedding stattfindet. Die haben dieses Jahr auch weniger Geld als sonst; die brauchen das ja für ihren bescheuerten Flughafen, haha. Keine Ahnung, ob ich hingehe, ich müsste die BVG nehmen und hab nur noch 2 Euro. (Aber zum Glück noch genug Zigaretten …)

Ansonsten ist es schön, jeden Tag auf die Berlinale zu gehen, immer was zu tun zu haben und so. Aber auch ein bisschen einsam, weil ich ja kaum jemanden treffe. (Na gut, einmal habe ich den Dokumentarfilmer Gert Kroske getroffen, und er hatte mir gleich 5 Euro geschenkt …)

Der Film von Shaul Schwarz, „Narco Cultura“, ist ziemlich hart und beschäftigt mich noch immer; es ist etwas anderes, die Zahlen nur zu kennen, 60.000 Tote in sechs Jahren, und dann zu sehen, wie die Crimescenes aussehen. Die Toten, die weinenden Verwandten …

Die hatten so einen Narco-Corrido-Sänger-Star aus Los Angeles auf seiner Fahrt nach Mexiko begleitet und bei Gangstern gefilmt. Der Sänger war 27 oder so, war zuvor noch nie in Mexiko und macht dann diese Lieder und trat in Ciudad Juárez auf, um bei seinen Fans authentischer rüberzukommen. Und nach seiner Show hatte er dann noch auf einer Privatparty der Narcos gesungen … uff … Und wie die ihm dann den besten Stoff, also nicht nur Chemie, sondern auch das edelste Marihuana gaben. Hätte ich auch gern geraucht. Und gleichzeitig war es so schrecklich und furchtbar, wie stolz und geschmeichelt er sich gefühlt hat, von den Drogengangstern eingeladen zu werden. Und die Narcos waren ganz stolz, dass er ihre Verbrechen besungen hatte.

Am Anfang des Films trifft er sich auf einem Parkplatz in einem Auto mit einem dieser Gangster; der sagt, er heiße „300“, gibt ihm ein paar Stichworte für einen Song, er schreibt den Song, bekommt Geld dafür. Stolz schaut er sich später ein Video auf YouTube an, in dem zehn Narcos mit Gewehren in die Luft schießen, um ihn zu grüßen.

250.000 bis 500.000 Leute würden in Mexiko für die Narcos arbeiten, hieß es im Film. (Solche Schätzungen sind auch komisch.) Der Regisseur wurde nach der Vorführung gefragt, wie er sich vorstellt, dass es weitergeht. Er antwortete, das Gleichgewicht der Kräfte sei durcheinandergeraten, als Calderón 2007 die Armee geschickt hatte, auch weil die Armee weniger korrupt sei als die Polizei. Er gehe davon aus, dass Peña Nieto, gegen den ihr protestiert hattet, die Armee allmählich abziehen würde. Er meint also letztlich, dass Korruption zu weniger Toten führt. (Der Gedanke ist richtig gruslig.) Ich denke, dass die in den USA am besten alles oder zumindest Gras legalisieren müssten (damit haben die ja grad angefangen, und das wird auch in 20 Jahren erledigt sein; dann besorg ich mir meine Zigaretten illegal und kaufe Gras im Grasladen an der Ecke …)

Eigentlich hat der Film natürlich auch viel mit Berlin als Partystadt zu tun, auch wenn die Drogen, die hier vom Partytourismus verbraucht werden, andere Wege nehmen. Das war jetzt ein bisschen viel, aber ich hab bei dem Film natürlich an eure politische Arbeit gedacht.

Am besten hat mir eigentlich der Film „Tokyo Family“ von Yoji Yamada gefallen. Der Regisseur ist schon 81 und sein Film total humanistisch. Es geht um Familie; die Eltern aus der Provinz besuchen ihre Kinder in Tokio, die Leute sind total sympathisch, und am Ende hab ich geheult.

Die meisten anderen Filme haben mir auch sehr gut gefallen und auch das, was ich schlecht fand, war interessant, sodass ich viel nachdachte. Deshalb ist es eigentlich auch okay, so allein und asketisch (das Konto ist immer noch gesperrt, mein Fahrrad kaputt) über die Berlinale zu laufen. Der Potsdamer Platz gefällt mir in diesem Jahr richtig gut. Vor Weihnachten hat mich die Weihnachtsbeleuchtung genervt; jetzt finde ich das super!