Debatte Käßmann-Vorstoß: Pflugscharen zu Schwertern

Das Christentum war nie bloß eine Lehre der Gewaltlosigkeit. Margot Käßmann hat sich ihre Kritik am Afghanistankrieg zu leicht gemacht

Seit fast 2.000 Jahren diskutieren Christinnen und Christen darüber, ob es ihr Glaube nicht schlicht verbiete, die Waffe in die Hand zu nehmen - und sei es für noch so gute Zwecke. Insofern steht die Kritik der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, am Afghanistaneinsatz der Bundeswehr in einer guten Tradition. Völlig zu Recht hat sie dafür viel Aufmerksamkeit gekriegt - und ordentlich Zunder.

An ihrer Dresdner Neujahrspredigt entzündete sich die meiste Kritik. Dass Käßmann dort im Predigtton sagte, "nichts ist gut in Afghanistan", war allerdings kaum mehr als eine rhetorische Zuspitzung, die sich aus dem Fluss der Predigt erklärt. Auch ihre Aussage, dass Waffen allein offenbar keinen Frieden schaffen am Hindukusch, würden sogar die meisten Bundeswehrgeneräle unterschreiben. Fast alle deutschen Verteidigungspolitiker sind sich ja einig, dass der zivile Anteil des Einsatzes deshalb so nötig und wichtig ist wie der militärische.

Radikal war dagegen Käßmanns Statement in der Berliner Zeitung, der Krieg in Afghanistan sei "in keiner Weise" zu rechtfertigen. Zu Recht distanzieren sich ihr Vize Nikolaus Schneider und der Theologe Richard Schröder davon - Ersterer vorsichtig, der andere deutlich. Denn der Einsatz ist durch den UN-Sicherheitsrat sowie mehrere Beschlüsse des Bundestags politisch und völkerrechtlich legitimiert. Das mag einem als Pazifist nicht gefallen. Aber wer, wenn nicht UNO und Bundestag, sollte Einsätze der Bundeswehr sonst absegnen? Die Kirche?

Nun steht es einer Bischöfin natürlich zu, rein theologisch zu argumentieren. Das Problem ist nur, dass sich Käßmann auch hier die Sache etwas zu einfach macht. Die Friedensdenkschrift ihrer Kirche mag dem Leitgedanken der Lehre eines "gerechten Krieges", eines bellum justum, nach Jahrhunderten nicht mehr anhängen (wobei zu fragen wäre, warum die heutige Generation von Theologen glaubt, so viel cleverer oder weiser zu sein als etwa Augustinus oder Thomas von Aquin). Wenn es allerdings um die Anwendung von Gewalt in der Grauzone zwischen Militär- und Polizeieinsätzen geht, ist die Denkschrift keineswegs so eindeutig. Man könnte sogar sagen, dass die scheinbar so klar verabschiedete Lehre vom bellum justum durch die Hintertür hier wieder eine theologische Legitimation erfährt. Denn Gewalt, etwa in einem Befreiungskampf, wird hier unter Umständen durchaus gerechtfertigt - und zwar als "legitime Gegengewalt" (siehe Denkschrift, Seiten 68 bis 70). Ob man das dann gerechtfertigte Gewalt oder einen gerechten Krieg nennt, grenzt an semantische Spiegelfechterei. Das erklärt, warum mit Richard Schröder ausgerechnet ein Mitautor der Friedensdenkschrift Käßmanns Fundamentalkritik am Bundeswehreinsatz so vehement ablehnt.

Nach zwei Wochen des Nachdenkens und einem Gespräch mit Verteidigungsminister zu Guttenberg hat sich Käßmann der Position Schröders angenähert: "Ich begreife schon, dass in Afghanistan im Moment Waffen auch dem zivilen Aufbau dienen können", sagt sie jetzt. Das aber ist meilenweit entfernt von "in keiner Weise zu rechtfertigen". Kein Wunder, dass es mit zu Guttenberg ein so gutes Gespräch gab - Schwierigkeiten, diesen Satz zu unterschreiben, hat der bestimmt nicht.

Bleibt schließlich Käßmanns Antwort in der Berliner Zeitung auf die Frage, ob der Krieg gegen Hitler nicht notwendig gewesen sei. Die Bischöfin fragte zurück: "Warum gab es vorher keine Strategien? Warum wurde die Opposition in Deutschland nicht gestärkt? Warum wurden die Gleise, die nach Auschwitz führten, nicht bombardiert?" Dies aber ist eine historische Argumentation, keine theologische. Ihr ist entgegenzuhalten: Erstens gab es friedliche Strategien, Hitler vom Krieg abzuhalten, aber die sind mit der Appeasement-Politik etwa Neville Chamberlains tragisch gescheitert. Zweitens: Wie hätte die ohnehin schwache Opposition gegen Hitler vom Ausland aus unterstützt werden sollen? Wie schwer so etwas in einer Diktatur ist, sieht man heute am Iran, wo dies ebenfalls kaum möglich ist. Drittens: Ob die Alliierten die Gleise nach Auschwitz hätten bombardieren können, darüber herrscht seit Jahrzehnten Uneinigkeit in der historischen Forschung. Es hätte aber den Holocaust nicht verhindert, sondern bestenfalls sein Ausmaß verringert: Von den rund sechs Millionen Toten des Holocausts wurde etwa eine Million in Auschwitz ermordet. Und abgesehen davon, dass man für eine solche Bombardierung auch militärische Gewalt benötigt - es stößt schon etwas unangenehm auf, wenn jemand, der die Tatsache, dass er in Freiheit und Demokratie aufwachsen durfte, dem millionenfachen Tod von amerikanischen, russischen und vielen anderen Soldaten auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs verdankt, in Zweifel zieht, ob der Krieg gegen Hitler denn wirklich nötig gewesen sei.

Käßmann argumentiert theologisch, politisch und historisch gegen den Krieg - und auf allen Ebenen erweist sich ihre Argumentation bei genauem Hinsehen als wacklig. Außerdem ist spätestens seit ihrem Satz "Ich begreife schon, dass in Afghanistan im Moment Waffen auch dem zivilen Aufbau dienen können" unklar, ob sie jetzt eigentlich für oder gegen den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr ist, den sie anfangs noch als "in keiner Weise" gerechtfertigt ansah.

Angesprochen auf sicherheitspolitische Gegenargumente, die für den Einsatz in Afghanistan sprechen, sowie auf dessen konkrete politische Details, in denen bekanntlich der Teufel steckt, hatte sie in den letzten Tagen jedenfalls wenig zu antworten. Zu beobachten war vielmehr, dass sie dabei meist auf die Position auswich: Sie habe ja als Seelsorgerin und Theologin im Geist der Bibel gesprochen - um alles andere müsse sich die Politik scheren. Hierin ähnelt sie übrigens Essens katholischem Bischof Franz-Josef Overbeck, dies sei der ökumenischen Gerechtigkeit halber erwähnt.

Es dürfte wirklich interessant sein, was Käßmann den deutschen Soldaten bei ihrer geplanten Predigt in Afghanistan sagen will. Und was dann noch von ihrer pazifistischen Position übrig bleibt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.