: S-Bahn-Begehren schlingert
DEMOKRATIE Das oberste Gericht fragt sich: Wie viele Forderungen des S-Bahn-Tisches verstoßen gegen die Verfassung? Und wie stark darf man sie nachträglich noch ändern?
P. MICHAELIS-MERZBACH, SENAT
VON SEBASTIAN HEISER
Das S-Bahn-Volksbegehren ist im Visier der Verfassungsrichter: Die verhandelten am Mittwoch darüber, ob das Volksbegehren mit dem Grundgesetz und der Berliner Verfassung vereinbar ist. Umstritten ist vor allem, ob es überhaupt erlaubt ist, per Volksbegehren Vorgaben für den S-Bahn-Vertrag zu machen.
Im März 2011 hatte sich der S-Bahn-Tisch gegründet; eine Vereinigung von Gruppen wie Pro Bahn, Linkspartei, Attac, Jusos und Piraten. Im Juni 2011 begann die Unterschriftensammlung für die Forderungen: Veröffentlichung des S-Bahn-Vertrags, Aufsichtspersonal auf allen Bahnhöfen, Fahrkartenschalter auf allen Umsteigebahnhöfen, Aufstockung des Wagenparks um 20 Prozent, Strafzahlungen beim Ausfall von Aufzügen und Fahrtreppen und Tariflohn für alle Beschäftigten.
Bis Dezember 2011 hatten mehr als 30.000 Berliner das Volksbegehren unterstützt, damit kam es über die erste Hürde. Der Senat hielt die Forderungen jedoch für verfassungswidrig und legte sie im Februar 2012 dem Gericht vor, das ein Jahr brauchte, um zur mündlichen Verhandlung zu laden.
Das verfassungsrechtliche Grundproblem ist: Berlin entscheidet nicht alleine über den S-Bahn-Verkehr. Das Land schließt vielmehr gemeinsam mit Brandenburg und den brandenburgischen Kreisen einen Vertrag mit der S-Bahn GmbH, in dem die Details über den S-Bahn-Verkehr geregelt sind. In dem Volksbegehren heißt es, die Forderungen seien auch „in den bestehenden Verkehrsvertrag einzuarbeiten“. Petra Michaelis-Merzbach aus der Senatsverwaltung für Inneres argumentierte: „Es wird etwas rechtlich und tatsächlich Unmögliches vom Land Berlin verlangt.“ Weil der Vertrag nur dann geändert werden kann, wenn auch die anderen Vertragsparteien zustimmen – und das sei ungewiss.
Als Problem sah Michaelis-Merzbach auch die im Volksbegehren vorgesehene Frist von zwei Jahren, um eine Reserve beim Fuhrpark von 20 Prozent aufzubauen. Das sei unmöglich, weil der Einkauf der Wagen länger dauern würde. Vergleichbare S-Bahnen fahren nirgendwo sonst, sie müssen vom Hersteller extra gebaut werden.
Die Vertreter des S-Bahn-Tisches versuchten gar nicht erst, hier gegen den Senat zu argumentieren und das Gericht davon zu überzeugen, dass ihre Forderungen mit der Verfassung zu vereinbaren sind. Es ging eher um die Frage, ob das Volksbegehren jetzt noch so geändert werden kann, dass es sich nur auf künftige S-Bahn-Verträge bezieht und nicht mehr auf den jetzigen, der noch bis Ende 2017 läuft. Rechtlich noch ungeklärt ist, wie weit nachträgliche Änderungen gehen dürfen. Schließlich haben die 30.000 Berliner ja die ursprünglichen Forderungen unterschrieben. Wer weiß schließlich, wie viele von ihnen auch ein abgespecktes Volksbegehren unterschrieben hätten?
Am 13. Mai wird das Urteil verkündet. Es ist das erste Mal, dass das Verfassungsgericht vorab darüber entscheidet, ob ein Volksbegehren zulässig ist. Bisher war das erst möglich, nachdem die Initiatoren auch die 270.000 Unterschriften für die zweite Stufe sammelten und dann ein Gesetz per landesweiter Volksabstimmung in Kraft trat. Dann wäre aber aller Aufwand umsonst gewesen. Damit die Prüfung früher erfolgt, hatte noch die vorherige rot-rote Koalition die Vorabkontrolle im Jahr 2010 per Gesetz eingeführt.