"Bestiarium" im Hamburger Bahnhof: Gar arg schröckliche Thiere

Erstmals in Europa wird im Hamburger Bahnhof das "Bestiarium" von Walton Ford gezeigt. Selbstverständlich handeln seine Aquarelle weniger vom Tier als vom Menschen.

Bestien. Und ein Herr im Anzug. Bild: dpa

Auf die Ausstellung zum Preis für Junge Kunst der Nationalgalerie, einen trostlosen Tiefpunkt zeitgenössischer Konzeptualität, folgt nun in den gleichen Räumen des Hamburger Bahnhofs in Berlin der konzeptuelle Knaller. Ich muss gestehen, er ist mir sympathisch. Walton Ford und sein "Bestiarium": fünfundzwanzig großformatige, bis zu drei mal vier Meter messende Tieraquarelle aus den letzten zehn Jahren.

Es sind gar arg schröckliche Thiere, die der 1960 in Larchmont, New York, geborene Künstler zu Papier bringt, wenn er in absolut perfekter altmeisterlicher Manier die Natur- und Tierdarstellungen der berühmten Künstler und vor allem der großen naturwissenschaftlichen Illustratoren des 18. und 19. Jahrhunderts zitiert. Im Geist des Kolonialismus und überhaupt der Überlegenheit des Menschen über die Kreatur entstanden, ging es in deren Darstellungen immer einen Dreh bestialischer und gleichzeitig anthropomorpher zu, als man es von sachlich-objektiven Abbildungen erwarten würde.

Das untergründig Fantastische der historischen Tier- und Naturdarstellungen kitzelt Walton Ford nun in seinem postmodernen Pastiche erst richtig heraus. Allerdings forscht er nach diesem Fantastischen gar nicht so sehr in den traditionellen Darstellungen, die er formal zitiert, sondern er sucht es in alten Forschungsberichten, in Reiseerzählungen und Anekdoten. Anders als die Mehrzahl der zeitgenössischen Künstler findet er also seine Motive nicht im bunten, visuellen Chaos der Medienkultur - er findet sie in Büchern. Statt Bilder recycelt er Texte.

Selbstverständlich zieht Walton Fords altmeisterliche Perfektion in der Darstellung von Federn, Fell, Tierhaut, Bäumen, Pflanzen und Landschaft erst einmal alle Aufmerksamkeit auf sich und verführt dazu, den konzeptuellen Dreh seines Werks zu unterschätzen: zunächst die rasante Komik seiner Auseinandersetzung mit den wirren Vorstellungen der Menschen über die Tiere, die Natur und die Kunst - nach dem Regelwerk der zeitgenössischen Ästhetik müssen seine Aquarelle nämlich als arg schröcklicher Anachronismus gelten -; und danach die enorme Dramatik, die seine allegorischen Verhandlungen der neuzeitlichen, modernen Gesellschaft auszeichnet. Denn davon handeln seine Bilder. Die bunten Vögel etwa, die seinen (in Berlin nicht gezeigten) lustentbrannten Elefanten "Nila" piesacken, sind ebenso Personifikationen der früheren Kolonialherren und besserwisserischen Feldforscher wie der gegenwärtigen Touristen, Hippies und Rucksackreisenden, wie Bill Bufford (berühmt über seinen Insiderbericht über die englischen Fußballhooligans oder seine Zeit als Küchensklave in einem New Yorker Nobelrestaurant) in seinem Katalogbeitrag argumentiert.

Diese Dramatik aber erzielt Walton Ford über seinen altmeisterlichen Stil, der damit nicht einfach nur schrullig ist, sondern funktional legitimiert. Zudem lässt er jede reaktionäre Wendung missen, wie sie in der figurativen Malerei so häufig anzutreffen ist, etwa in den antimodernistischen gegen fortschrittsgläubige Abstraktion und Selbstreferenz gewendeten malerischen Tiraden Neo Rauchs. Ebenso wenig gibt es bei Walton Ford schlechte Malerei wie etwa bei Werner Tübke, dem seine in Renaissancekleider gewandeten Frauengestalten immer unfreiwillig zu Pin-ups à la Mel Ramos gerieten. Und last not least gibt es bei Walton Ford auch kein Gutmenschentum, dergestalt, dass er uns zum Schutz von Tier und Umwelt aufrufen und uns unsere in diesem Feld begangenen Verbrechen in Erinnerung bringen will.

Dafür reicht die drastische Komik allemal, wie sie "The Island" (2009) zeigt, tatsächlich eine Insel, aufgehäuft aus unzähligen Körpern eines kleinen Raubtiers mit einem sichtlich barbarisch scharfen Fang, in dem arme unschuldige, blutig zerrissene wollig-weiße Lämmlein zappeln. Es handelt sich um den tasmanischen Wolf oder auch tasmanischen Tiger, den Thylacin, der ein beuteltierartiger Vetter von Känguru und Wallaby ist und den die Schafe züchtenden Siedler noch im 20. Jahrhundert vollkommen ausgerottet haben.

Dafür reicht auch die Dramatik in dem ein Meter fünfzig mal drei Meter messenden Aquarell "Chingado" (1998) aus, das einen spanischen Bullen zeigt, der einen mexikanischen Jaguar vergewaltigt, wobei der Jaguar mit seinem Fang die Kehle des Bullen zerreißt. Just die Frische von Walton Fords - durch stupendes kunst- und naturwissenschaftliches Wissen genährter - technisch-malerischer Perfektion macht diese Bildidee zur gewalttätigen Zeugung Mexikos zum gültigen politischen Statement.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.