: Welt ohne Wölfe
Die Kunsthalle würdigt das 25-jährige Bestehen der Künstlergemeinschaft „Die Schlumper“ mit einer Ausstellung im Hamburger Gang
von Petra Schellen
Was wäre wohl passiert, wenn Gott weder Wölfe noch Löwen erschaffen hätte? Wenn er die Welt ausschließlich mit friedfertigen Wesen bevölkert hätte: Wäre augenblicklich das Paradies angebrochen? Vielleicht, vielleicht auch nicht; das Gesamtwerk Werner Voigts lässt jedenfalls anderes vermuten: Zwar hat der Schlumper-Künstler den blutrünstigen Wolf nicht in sein „Schöpfungs“-Gemälde integriert, obwohl die Vorlage, ein mittelalterlicher Altar von Meister Bertram, dies zeigt. Trotzdem zeugt Voigts „Passion“, die Stationen seines eigenen Lebens auflistet, vom wenig paradiesischen Zustand dieser Welt.
Ab Freitag dieser Woche wird die Kunsthalle die Ausstellung Die Schlumper. Kunst in Hamburg präsentieren, die auch Voigts Gemälde birgt, die jedem Comic-Zeichner zur Freude gereichen dürften. Und auch wenn sich der Maler darin gelegentlich selbst als Sünder outet („habe im Kaufhaus Mundwasser gestohlen“): Gott wird schon wachen; nicht umsonst hat Voigt eine altar-ähnliche Vitrine mit den vergoldeten Tonlettern „Gott“ dazugestellt.
Werner Voigt zählte zu den Ersten, die Mentor Rolf Laute vor 25 Jahren zu den Schlumpern holte – einer Gruppe kreativer Bewohner der damaligen Alsterdorfer Anstalten, die ab 1983 freitags im Keller des Stadthauses Schlump zusammen malten. Seit 1998 gibt es in der Rinderschlachthalle an der Feldstraße reguläre Arbeitsplätze für inzwischen 24 Künstler. Im Jahr 2002 schließlich übernahm die Evangelische Stiftung Alsterdorf die Schirmherrschaft über das Projekt.
Seit 25 Jahren betreut Laute die Gruppe, die er als „Sozialskulptur“ bezeichnet. Und auch wenn sich der aktuelle Diskurs – inklusive eigentlich abgehakter Reflexionen über Art Brut und Ähnliches – recht fortschrittlich gibt, ist es doch erst wenige Jahre her, dass der damalige Kunstvereins-Leiter Stephan Schmidt-Wulffen keine Schlumper-Kunst in seinem Haus zeigen wollte. Ernst zu nehmende Kunst müsse reflektiert sein, so seine These – ein Ansatz, dem Kunsthallen-Direktor Uwe M. Schneede widerspricht: Es gehe darum, „etwas noch nicht Gewusstes, Gefühltes, Erlebtes in eine Form zu bringen, die so überzeugend und gültig ist, dass sie ihre Inhalte fremden Betrachtern zu übermitteln vermag“, betont er.
Und vielleicht lagert hinter den gestrengen Anforderungen an „Kunst“ auch die vage Furcht der „Reflektierten“, ihre Kompositionen könnten sich als genauso gelungen erweisen wie die der Alsterdorfer Kollegen. Eine Vermutung, die sich angesichts der Schlumper-Gemälde in der Tat aufdrängt: Nicht weniger überzeugend als die ihrer „reflektierten“ Kollegen gestalten sich die abstrakten, präzise durchkomponierten Gemälde etwa Inge Wulffs und Ringa Spingies‘. Und obwohl etlichen Schlumper-Bildern die perspektivische Darstellung fehle, lasse sich dies, so Kunsthistoriker Christian Mürner, nicht gegen sie verwenden: „Bis zur Renaissance wurde in Europa ausschließlich folienartig gemalt.“
Wer will andererseits, wenn es um Komposition geht, den Intuitions-Partikel herausdestillieren aus der so schlicht numerisch per IQ definierten „geistigen Behinderung“? Schwer auch, den Schlumpern einen Mangel an Selbstreflexion und Humor nachzuweisen.
„Dies ist der ,Affenbaum‘“, sagt Uwe Bender zum Beispiel und zeigt auf ein Blatt mit vier verschmitzten Gesichtern. Er ist zur Beschriftung der Eingangs-Tafel in die Kunsthalle gekommen und trägt ein blaues Plastik-Klunkerarmband zur Kapitänsmütze. Freundlich grüßt er jeden, den er trifft, erklärt bereitwillig seine Bilder und hilft auch schon mal gestisch nach, wenn man nicht sofort versteht. „Das ist meine Freundin“, sagt er und drückt die ernst dreinblickende Nicole an sich; ihm liegt viel daran, dass man begreift. Eine Hammond-Orgel habe er zu Hause, denn eigentlich sei er Rockmusiker, erzählt er noch. Und die beiden Köpfe auf dem Bild da vorn – das seien Mann und Frau. Und darunter: Ist das ihr Kind? „Nein. Das ist ein Kopf, der aus der Erde wächst.“ Als Vollblut-Künstler versteht sich Bender, der stolz seine Fotos auf einer Bilderwand im Performance-Raum Karl-Ulrich Idens zeigt; es ist ihm wichtig, Teil der Gruppe zu sein, die im Grunde keinen künstlerischen Schutzraum braucht.
„Was mich an diesen hoch talentierten Künstlern fasziniert, ist die Tatsache, dass ihre Arbeiten völlig eigenständig sind“, sagt Rolf Laute, der zugunsten der Schlumper-Betreuung eigene künstlerische Ambitionen aufgab. „Hier gibt es keine Anleihen bei Zeitgenossen: Was man hier sieht, kommt direkt von innen.“ Und selbstverständlich brauchten diese Künstler Assistenz. Aber die beschränke sich auf ein Minimum: Material – grundierte Leinwände und Farben zum Beispiel – stellt Laute den Schlumpern zur Verfügung, damit sie das Passende wählen können. „Bei uns gibt es keinen Zwang. Hier kann jener machen, was er will“, betont Laute.
Eine Methode, die ihm unter den Alsterdorfer Pflegern nicht nur Lob eintrug. „Sie fanden, dass ich die Künstler zu selbstbewusst werden ließ. Sie waren dann nicht mehr pflegeleicht.“ Eine Maxime, der man Heimen und Wohngruppen immer noch folge und die Laute unwürdig findet. „Denn mal ehrlich: Hätten Sie Lust, jeden Donnerstag um 17 Uhr baden zu gehen?“
Die Ausstellung ist vom 25.11. 2005 bis zum 29.1.2006 in der Kunsthalle zu sehen. Geöffnet Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr.