Zivilgesellschaft in Dresden: "Hier versagt das Bürgertum"

Der Naziaufmarsch hat Dresden vereint, glaubt Aktivist Christian Demuth. Und seit dem Marwa-Mord gebe es Sorge ums Image. Anti-Nazi-Aktivisten werden weiterhin als "linksextrem" verunglimpft.

Blick auf Dresden. Bild: Tim Lehmann - Lizenz: CC-BY-SA

taz: Herr Demuth, in Dresden gab es vor dem 13. Februar stets kontroverse Diskussionen. Diesmal sind sich alle einig im Kampf gegen rechts?

Christian Demuth: Wir begrüßen den Wandel, wenn nun die CDU-Oberbürgermeisterin Helma Orosz und andere klar Front gegen Rechtsextremismus machen. Man lernt tatsächlich. Die Stadt sprüht nun zum Beispiel offiziell weiße Rosen auf die Straße. Für eine ähnliche Aktion wurden Mitglieder unseres Vereins einmal fast zwei Stunden von der Polizei festgehalten und danach von Nazis verprügelt.

Wem ist das zu danken?

Live-Ticker vom Nazi-Aufmarsch und den Gegen-Aktionen. Unsere Reporter berichten am Samstag live aus Dresden.

Da spielen gewiss die Erfahrungen des Vorjahres hinein, als sich die CDU zunächst dem "GehDenken" strikt verweigerte, die Bürgermeisterin in letzter Minute noch etwas machen wollte und die Aktion kläglich scheiterte. Seit mit der Ägypterin Marwa El Sherbini die Frau eines ausländischen Doktoranden in Dresden ermordet wurde, gibt es Betroffenheit, aber auch kalkulierte Sorge um den Ruf der Stadt, um ihr wissenschaftliches und ökonomisches Image. Nicht von ungefähr hat der Rektor der Uni die Menschenkette angemeldet. Jetzt werden Leute wach, die lange nichts unternommen haben.

Sie haben keine Bedenken, das Bündnis "Dresden Nazifrei" zu unterstützen, das einen Aufmarsch blockieren will?

Ich lasse es mir nicht nehmen, als Demokrat friedlich gegen Nazis zu protestieren. Auch Blockaden sind vom Bundesverfassungsgericht gedeckt. Ich kann nur an alle appellieren, dabei auch gewaltfrei zu bleiben. Mich stört dabei aber etwas anderes, nämlich unverändert altes Denken. Es scheint, als wolle man die Nazidemo und die Gegendemos auf die Neustädter Elbseite verbannen. Die "Guten" auf der südlichen Elbseite bilden dann die Menschenkette. Da schimmert immer noch die überholte Gleichsetzung von rechts und links durch. Aktive Gegenwehr wird kriminalisiert, wie die Durchsuchungen beim Bündnis zeigten. Wenn man gegen rechts ist, ist man Linksextremist. Aber wir haben in Sachsen ein Rechtsextremismus-, kein Linksextremismus-Problem!

Immerhin hat auch der CDU-Ordnungsbürgermeister in der Anhörung zum Versammlungsgesetz geäußert, dass Dresden die Polarisierung allein dem Nazimarsch zu verdanken hat.

Es gibt einen Lernprozess bei ganz vielen Leuten, auch vielen Verantwortlichen, keine Frage. Aber das Grundmuster bleibt bestehen. Das führt dann dazu, dass die Stadt den Nazis den Schlesischen Platz vor dem Neustädter Bahnhof zuweist. Von hier aus wurden aber die Dresdner Juden in die Vernichtungslager deportiert! "Stillos" ist nur eine Bewertung, die einem da einfällt.

Gibt es überhaupt eine Chance, diesen Aufmarsch jemals zu unterbinden?

Auch eine Menschenkette verhindert den Naziaufmarsch so wenig wie ein Versammlungsgesetz. Die werden in 20 Jahren noch kommen, das ist ihr wichtigster Aufmarsch in Deutschland. Das neue sächsische Versammlungsgesetz erweist sich als wirkungslos und zeigt eigentlich nur, wie wenig der Ruf nach dem Staat hilft und wie sehr es dafür auf Zivilcourage ankommt. Andere Städte wie Leipzig oder Jena haben es geschafft, solche dumpfen Aufzüge sozusagen hinauszuekeln, den Nazis die Lust zu nehmen.

Warum braucht Dresden dafür länger?

Ein Dresdner Problem besteht ja darin, dass hier das Bürgertum versagt, dass sich die Mitte der Gesellschaft nicht klar gegen alte, braune Ideologien positioniert. Aber ein verständlicher Grund für diese Zurückhaltung ist auch, dass die Verantwortlichen Dresden Jahr für Jahr in eine Art Belagerungszustand versetzen und völlig übertrieben vor Randalen warnen. Bei den Polizeisperrgürteln quer durch die Stadt verliert mancher die Lust, an diesem Tag auf die Straße zu gehen. Und wenn dann, wie im Vorjahr, die Auflagen für die Nazis milder ausfallen als für das "GehDenken", ist das merkwürdig. Andererseits sorgen viele Antifa-Anhänger mit ihrem Räuber-und-Gendarm-Spiel und ihrem martialischen Auftreten auch nicht für mehr Akzeptanz.

Bevor der Dresdner Marsch zu einem straff organisierten und isolierten Großereignis der braunen Szene wurde, gab es nicht wenige Dresdner, die sich im offiziellen Gedenken der Stadt nicht wiederfanden und sich dem "Trauermarsch" anschlossen. Jetzt gehen sie nicht mehr offen dorthin.

Die DDR hatte die Propaganda aus dem Goebbels-Ministerium im Grunde dankbar aufgenommen, um gegen die angloamerikanischen Imperialisten Stimmung machen zu können. Die Instrumentalisierung dieses Angriffs begann ja schon wenige Tage danach. Das wirkt ebenso fort wie der "Mythos Dresden", und dieses Potenzial sprechen Nazis an, wenn sie etwa vom "Bombenholocaust" reden.

Haben die Dresdner angesichts der Toten und der Zerstörungen nicht auch ein Recht auf stille Trauer?

Solange die Nazis nicht wegbleiben, genügt stille Trauer allein nicht. Zudem muss man fragen, wer denn die Verantwortung dafür trägt, dass dieser Nazimarsch in den vergangenen 15 Jahren solche Ausmaße annehmen konnte. Es hat seitens der Landesregierung oder der Stadtspitze nie eine echte Gegenwehr gegeben. 2010 wird nun das erste Jahr sein, in dem der Ministerpräsident und der Innenminister in der Menschenkette stehen werden.

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