: berliner szenen Gekaufte Zeit
Eulen wegschmeißen
Irgendwie beschäftigten sich am Wochenende alle mit Zeit und Geld: Unterm Fernsehturm, mitten im graupeligen Nachmittagsdunkel, stand das Wohnmobil von Mamouchi, ein paar freundlichen Künstlerinnen, die einem erst mal ein Stoffetikett mit ihrem Namen in die Klamotten stickten und dann gegen Geld Zeit mit einem verbrachten. Ich kaufte drei Minuten „Hausmusik auf der Bettkante“, zog die Stiefel aus, legte mich in die enge Fahrerkabinendachkoje, bekam noch ein Stückchen Eiskonfekt und hörte zu, wie sie mir eine Unplugged-Version von „Good Night“ vorsangen, besser als Ringo Starr das je hingekriegt hat. Danach kaufte ich gleich noch zehn Minuten „Heimkino“ dazu.
Mamouchi brachten Sekt und Chips und ließen mich mit einem niedlichen Schwarz-Weiß-Fernseher allein, auf dem ich nachinterpretierte Ausschnitte aus Heimatfilmen anguckte, in den Hauptrollen die Mamouchi-Mitglieder. Am schönsten war eine Szene zwischen einer Frau (vermutlich der Geierwally) und einer Eule. Die Frau wollte die Eule am Ende von Leidenschaft zerrissen aus dem Fenster schmeißen, damit diese frei sein und wegfliegen konnte. Die Eule flog nur ganz kurz, es war nämlich ein Plastikeulenmodell.
Abends kaufte ich ein bisschen Zeit in der „friendly capitalism lounge“, mit Jim Avignon, Fehmi Baumbach und ungefähr 1.000.000 Besuchern in der Galerie neurotitan. Es war so voll, dass man sich nur noch in ein wunderschönes großes Rennwagenholzmodell zwängen konnte, und man sah zwar die Kunst vor lauter Leuten nicht, aber dafür gab es Livemusik und je später der Abend wurde, desto günstiger erschien mir die gekaufte Zeit. Zeit ist eben nicht nur Geld sondern auch umso kürzer, je glücklicher man ist. JENNI ZYLKA