Chinesischer Volkskongress: Die Inszenierung in der Krise

Die Massenveranstaltung Volkskongress in Peking läuft perfekt. Doch in den Zeitungen Chinas gibt es einen beispiellosen Protest gegen die Diskriminierung der Landbevölkerung.

Programmierter Applaus: Chinesischer Volkskongress. Bild: dpa

Kurz vor neun Uhr lässt sich ein buddhistischer Mönch mit langen Haaren und gelbbrauner Robe im Foyer noch schnell einen Pappbecher Jasmintee reichen. Er ist einer von 2.939 Delegierten beim Nationalen Volkskongress und kommt aus der südlichen Küstenprovinz Fujian, zweitausend Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Das wichtigste Problem, mit dem China derzeit fertigwerden muss? "Wir brauchen mehr Arbeitsplätze."

Eine hübsche Dame mit rosa Schleierhut, Muslimin aus Zentralchina, will sich "für die Bauern" einsetzen. Und der Pekinger 4-Sterne-Luftwaffengeneral aus Peking, eine breite Ordensschnalle an der Brust, verspricht sich "Fortschritte in der großen Sache der Erneuerung des Vaterlandes". Dann schreiten sie in den riesigen Saal unter dem leuchtenden roten Stern. Punkt neun Uhr beginnt in der Großen Halle des Volkes ein Schauspiel, das Chinas Medien wie jedes Jahr als großes politisches Ereignis und als Beleg für die blühende "Demokratie chinesischer Prägung" inszenieren: Premierminister Wen Jiabao liest seinen Rechenschaftsbericht vor, dessen deutsche Übersetzung 68 Seiten umfasst, und verkündet das Regierungsprogramm für das nächste Jahr. Er steht kerzengerade hinter einem mit rosa Blüten geschmückten Pult und verspricht sich nie.

"Das Jahr 2009", verkündet der Premier, "war das schwierigste Jahr für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes seit Beginn dieses Jahrhunderts." Das Land habe die Folgen der weltweiten Finanzkrise bitter zu spüren bekommen: Rückgang der Exporte, Schließung von Fabriken, "deutlich mehr Arbeitslose". Mit einen energischen Konjunkturprogramm sei es der Regierung aber gelungen, die schlimmsten Konsequenzen aufzufangen.

Für das nächste Jahr strebe er ein Wirtschaftswachstum von rund 8 Prozent (2009: 8,7 Prozent) an. Weil die Steuereinnahmen infolge der Krise geschrumpft sind, werde sich das Land in diesem Jahr mit 113 Milliarden Euro verschulden, erklärte Wen. Das ist das höchste Haushaltsdefizit seit der Gründung der Volksrepublik vor 60 Jahren.

Während die Volksvertreter in der Halle Wen applaudieren, ist draußen große Angst vor unerwünschten Protesten zu spüren: Nicht nur um den Tiananmenplatz, sondern auch an vielen wichtigen Straßen der Stadt sind zahlreiche Zivilpolizisten und Uniformierte aufgezogen. Bittsteller und Oppositionelle wurden aus der Stadt gebracht, andere dürfen ihre Wohnungen nicht verlassen oder werden ständig bewacht.

Während sich viele Pekinger wenig um den Volkskongress kümmern, regt sich unter Intellektuellen Widerspruch gegen die strikten Maßnahmen. Sogar die englischsprachige KP-Zeitung Global Times, mutiger als ihr chinesischsprachiges Schwesterblatt, zitierte einen Pekinger Rechtsprofessor: Die Polizei sollte die Rechte der Petenten schützen, statt diese zum Schweigen zu bringen. In einer beispiellosen Gemeinschaftsaktion hatte mehr als ein Dutzend Zeitungen vor wenigen Tagen ebenfalls dazu aufgerufen, die unterschiedlichen Bürgerrechte von "Städtern" und "Bauern" endlich aufzuheben. "Lasst die nächste Generation die heiligen Rechte genießen, die in unserer Verfassung garantiert sind, Freiheit, Demokratie und Gleichheit", hieß es in dem Appell an den Volkskongress. Das sogenannte Hukou-System war 1958 unter Mao Zedong eingeführt worden, um die Bauern nach der Kollektivierung daran zu hindern, in die Städte zu flüchten.

Unklar ist, wie weit sich der Kongress mit diesem Thema befassen wird, das Millionen auf den Nägeln brennt. Regierungschef Wen Jiabao versprach in seiner Rede schrittweise Reformen: Die Regeln würden zunächst in kleineren Städten gelockert, "schrittweise" werde dafür gesorgt, dass Bauern die gleichen Rechte wie Städter erhielten, erklärte er.

Gleichzeitig werde die KP die Dörfer fördern und eine "schöne ländliche Umgebung" schaffen, in der die Bauern "glücklich leben können".

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