Initiative kämpft gegen Gutscheine für Asylbewerber: Die Angst des Flüchtlings vor der Kasse

In Brandenburg bekommen Flüchtlinge oft Gutscheine statt Bargeld. Das ist diskriminierend, sagen ihre Unterstützer - und organisieren "antirassistische Einkäufe".

Mit Geld zu zahlen bedeutet für Asylbewerber ein Stück mehr Freiheit. Bild: ap, Daniel Roland

Gut, dass Danièl* kein Deutsch spricht. Im Penny-Markt im brandenburgischen Hennigsdorf nördlich von Berlin ist gerade ein stark alkoholisierter Kunde an ihm vorbeigetorkelt. "Hier ist Deutschland", hat der Mann geraunt und dabei in die Richtung der zwölf afrikanischen Männer und Frauen rund um Danièl geschaut. Der Kameruner unterhält sich gerade auf Französisch mit einer Frau aus dem Senegal. Danièl ist einer von knapp 200 Flüchtlingen im Landkreis Oberhavel. Heute wartet er auf sein Geld - denn immer am ersten Freitag im Monat organisiert die Initiative united against racism and isolation (uri) "antirassistische Einkäufe" für Flüchtlinge.

Das System der Einkäufe ist schnell erklärt. Der Landkreis Oberhavel gilt bei Flüchtlingsorganisationen als besonders restriktiv gegenüber Asylbewerbern. Flüchtlinge bekommen hier Wertgutscheine statt Bargeld. Als Alleinstehender erhält Danièl monatlich Gutscheine im Wert von knapp 190 Euro. Dazu gibt es 40 Euro Taschengeld in bar. Die Gutscheine schränken den Einkauf ein, weil man mit ihnen nur in ausgewählten Geschäften einkaufen darf und Waren wie Alkohol oder Zigaretten von vornherein ausgeschlossen sind.

Um die Flüchtlinge zu mehr Bargeld und damit Selbstbestimmung kommen zu lassen, bieten die Teilnehmer des sogenannten Antira-Einkaufs einen simplen Tausch: Gutscheine gegen Bargeld. "Die Teilnehmer, meist Studierende, können ihren Wochenendeinkauf machen", erklärt Mareike* von uri. "Der einzige Unterschied ist, dass am Ende an der Kasse eine Person aus dem Flüchtlingsheim mit Gutscheinen steht und bezahlt."

Der nächste Antira-Einkauf von uri findet statt am Freitag, den 9. April. Anmeldung mit Einkaufssumme bis spätestens 6. April unter antira.einkauf@web.de

uri ist eine Initiative aus Hennigsdorfer Flüchtlingsheimbewohnern, der dortigen Antifa-Gruppe HAI, ein paar MitarbeiterInnen der KuB (Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und MigrantInnen e.V. in Kreuzberg) und der antirassistischen Gruppe CORASOL. Mehr Infos hier.

In folgenden Brandenburger Landkreisen werden nach wie vor Gutscheine oder Chipkarten statt Bargeld an Flüchtlinge ausgeteilt: Prignitz, Oberhavel, Uckermark, Barnim, Havelland, Oder-Spree, Ober-Spreewald-Lausitz sowie in Cottbus.

Und so schieben alle vier Wochen freitags etwa 30 meist junge Menschen ihre Einkaufswagen durch die Supermarktgänge zwischen Kühltheken und Palletten aus Konservendosen. Die Flüchtlinge hoffen, dass die Wochenendeinkäufe der Antira-Teilnehmer möglichst groß ausfallen - denn dann können sie umso mehr Gutscheine umtauschen. "Weniger Gutscheine bedeuten mehr Freiheit", sagt Danièl. An guten Tagen können die Flüchtlinge für 1.400 Euro Gutscheine umtauschen, an schlechten für 600. Heute haben die Antira-Teilnehmer für 800 Euro eingekauft, manche Flüchtlinge wirken etwas enttäuscht. "Next time will be better", meint einer.

Während die Teilnehmer einkaufen, warten die Flüchtlinge mit ein paar Kindern hinter den Kassen des Supermarktes. Bis alle eingekauft haben, sind knapp zwei Stunden vergangen, denn mit Gutscheinen zu zahlen dauert länger als bar. Erlaubt sind nur "Gegenstände des Alltagsgebrauchs", deshalb muss die Kassiererin jeden Artikel prüfen. Früher seien etwa Guthabenkarten für Handys ohne Probleme über die Scanner der Kassen gewandert, erklärt Mareike. Mittlerweile sei das nicht mehr immer so. Denn was ein "Gegenstand des Alltagsgebrauchs" ist, sei nicht überall gleich definiert. Im Landkreis Oberhavel nehmen 55 Geschäfte Gutscheine an, jedes einzelne hat einen Vertrag mit dem Kreis über die Auslegung des Begriffs "Gegenstand des Alltagsgebrauchs" abgeschlossen. Den Kassiererinnen sei aber klar, welche Artikel sie verkaufen dürften und welche nicht, erklärt der Verkaufsleiter des Penny-Marktes in Hennigsdorf, Werner Ewering. Für die Supermarktkette mache es kaum einen Unterschied, ob das Zahlungsmittel Bargeld oder Gutscheine seien; lediglich der Verwaltungsaufwand sei bei Gutscheinen etwas höher.

Die Mitglieder von uri hoffen, dass die Geschäfte irgendwann geschlossen Gutscheine boykottieren und nicht mehr annehmen. "So könnte man das System unterlaufen", sagt Mareike.

In Berlin hat das funktioniert. Dort gab es früher Chipkarten, das Prinzip ist das gleiche. 2007 stellte mit Spandau der letzte Bezirk zu Bargeldauszahlungen um, nachdem eine Initiative lange für die Abschaffung gekämpft hatte. Bezirksstadtrat Andreas Höhne (SPD) aus Reinickendorf erinnert sich, dass damals vor allem die Apotheken keine Chipkarten mehr akzeptieren wollten. "Da hatten wir fast keine Wahl."

Für den Penny-Markt in Hennigsdorf kommt ein Boykott des Gutschein-Systems allerdings nicht in Frage. "Kunden mit Gutscheinen sind trotzdem Kunden", sagt Ewering. Zudem habe man mit der Behörde vereinbart, dass nur zehn Prozent der Einkaufssumme als Rückgeld zurückgegeben werden müssen. Wer also nicht genau rechnet beim Einkaufen, verliert mit den Gutscheinen auch noch Geld.

Für Danièl geht es gar allerdings nicht so sehr darum, welche Dinge er mit seinen Gutscheinen konkret kaufen darf und welche nicht. Das Schlimme, sagt er, sei die Situation an der Kasse, wenn die Rechnung beglichen werden muss. "Mit Gutscheinen zu bezahlen, dauert viel länger, ich halte immer den ganzen Verkehr auf", erklärt der 37-Jährige. Wenn dann noch eine Diskussion an der Kasse um Zigaretten oder Alkohol beginne, fühle er sich bloßgestellt.

"Ich bin jetzt mittlerweile seit drei Jahren in Deutschland", erzählt er. Aber eigentlich habe er nichts gesehen vom Land und sich kaum integriert. Seinen richtigen Namen möchte er nicht verraten, bei der Frage nach seinem Heimatland überlegt er so lange, dass die Antwort erfunden klingt. "Ich misstraue jedem", rechtfertigt er sich, "gerade Journalisten." Ihm hätten schon viele gesagt, sie seien auf seiner Seite und am Ende habe er Probleme bekommen. "Du kannst hier jeden fragen - keiner wird dir seinen echten Namen verraten."

Integration von Flüchtlingen im laufenden Asylverfahren ist allerdings auch nicht das Ziel. Grundlage der Gutscheinregelung ist das Asylbewerberleistungsgesetz, das 1993 von der CDU-FDP-Bundesregierung beschlossen wurde. Ziel war, den Flüchtlingsstrom nach Deutschland zu begrenzen. Mit einem restriktiven Gesetz sollte der sogenannte Asylmissbrauch und die Flucht aus wirtschaftlichen Gründen erschwert werden. Seit 1993 ist die Höhe der Leistungen des Gesetzes unverändert geblieben, obwohl eine Angleichung an die Preisentwicklung eigentlich vorgesehen war.

Inzwischen habe sich auch die Flüchtlingsbewegung grundlegend verändert, sagt die Flüchtlingsreferentin des Kirchenkreises Oranienburg, Simone Tetzlaff. "Mittlerweile schaffen es immer weniger Leute nach Deutschland", sagt sie, "die Mauern an den Grenzen werden immer höher." Abschreckung, das einstige Ziel des Gesetzgebers, sei deshalb überflüssig. "Und außerdem: Wer glaubt denn, dass eine Umstellung von Gutscheinen zu Bargeld die Flüchtlingsbewegung in irgendeiner Weise verändern würde?"

Über die Gutscheine habe sich bei ihr noch kein Flüchtling beschwert, sagt dagegen die Pressesprecherin des Landrats, Irina Schmidt. "Bislang haben wir nur positive Erfahrungen mit den Gutscheinen gemacht", so Schmidt. Außerdem sei die Gesetzgebung auch im Sinne der Flüchtlinge. Die erhalten nämlich ein Drittel weniger, als Arbeitslosengeld-II-Empfänger. "Deshalb sind Alkohol und Zigaretten für Flüchtlinge gar nicht empfehlenswert." Auf die Frage nach ihrer Haltung zu den Antira-Einkäufen sagt Schmidt, sie habe davon bislang nur aus der Zeitung erfahren. Dass das Gesetz damit einmal monatlich öffentlich unterlaufen wird, spiele für sie keine Rolle. "Wir arbeiten hier nach den Buchstaben des Gesetzes, wir haben ein reines Gewissen", sagt die Pressesprecherin.

In Brandenburg haben in den letzten Jahren einige Landkreise vom Gutschein- zum Bargeldprinzip umgestellt. So halten von den 14 Landkreisen und vier kreisfreien Städten nur noch acht an Sachleistungen und Gutscheinen fest (siehe Kasten). "Der Landkreis Oberhavel ist eine der letzten Gutschein-Bastionen", erklärt Tetzlaff.

Danièl hat sich mittlerweile an Hennigsdorf und die Gutscheine gewöhnt. Dass mit den Antira-Einkäufen zumindest einmal im Monat der Gesetzgeber an der Nase herumgeführt werden könne, mache Mut. "Die Leute von uri geben mir Hoffnung" sagt Danièl, während die Teilnehmer mit vollgepackten Rucksäcken Richtung S-Bahn laufen. Einige afrikanische Frauen haben derweil genug im Supermarkt herumgestanden. Sie gehen mit dem frisch getauschten Bargeld erst mal einkaufen.

* Namen von der Redaktion geändert

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