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Archiv-Artikel

Restkarten für Nicht-Reiche

KULTURELLE TEILHABE In fünf Bremer Kultureinrichtungen wird es ab dem 1. Januar gültig sein: Das Kulturticket ist besser als nichts und schlechter, als es sein könnte. In erster Linie ist es kostenneutral

Ist die Veranstaltung ausverkauft, dann bleibt die kulturelle Teilhabe im Versuchsstadium stecken.

Der Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen vom Juni 2007 enthält zahlreiche Formulierungen, die in der Sache klar, zeitlich allerdings unbestimmt sind. Da steht zum Beispiel: „Wir werden erweiterte Partizipationsmöglichkeiten für sozial benachteiligte Menschen schaffen, in dem der Zugang z. B. durch die Einführung eines Kulturtickets für Kultureinrichtungen erleichtert wird.“ Schließlich sei „kulturelle Bildung eine Voraussetzung für kulturelle Teilhabe an der Gesellschaft“. Ab dem 1. Januar soll ein solches Kulturticket tatsächlich in Bremen-Stadt erhältlich sein.

Anfang September 2008 ging die zeitliche Dehnung des koalitionären „wir werden“ sogar den Regierungsfraktionen zu weit: Sie forderten den Senat auf, innerhalb von sechs Monaten darzulegen, wie die Zugangsbarrieren für kulturelle Teilhabe aller Bremerinnen und Bremer abzubauen seien. Über ein Jahr später, im Oktober dieses Jahres, beantragte die Linksfraktion eine förmliche Rüge des Senats wegen Missachtung des Parlamentsbeschlusses. Das Kulturressort verwies daraufhin auf Umfang und Notwendigkeit „rechtlicher und wirtschaftlicher Vorprüfungen“.

Gemessen an diesem behaupteten Aufwand ist das nun vorliegende Ergebnis überschaubar: Eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn dürfen EmpfängerInnen von Hartz IV und anderen Transferleistungen bei derzeit fünf Bremer Kultureinrichtungen Restkarten erwerben. Voraussetzung ist der Besitz einer „grünen Karte“, wie man sie auch für das ÖPNV-Sozialticket – das so genannte „StadtTicket“ – beantragen muss. In der logistischen Koppelung an das Stadtticket, um das äußerst zäh gerungen wurde, liegt auch der eigentliche Grund für die Verzögerung des Kulturtickets.

Als Vorbild für das Bremer Kulturticket verweist der Senat auf Berlin. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied zu dem dort 2005 vom PDS-Kultursenator Thomas Flierl eingeführten Ticket: Während es in wichtigen Berliner Kulturinstitutionen wie dem „Berliner Ensemble“ feste Kontingente von Drei-Euro-Karten gibt, die im Vorverkauf erworben werden können, beschränken sich die Bremer Partizipationsmöglichkeiten auf die Abendkasse: Ist die Veranstaltung ausverkauft – was bei der Deutschen Kammerphilharmonie fast immer der Fall ist – bleibt die kulturelle Teilhabe im Versuchsstadium stecken. Die nämlich folgt der strikten Prämisse der Kostenneutralität: Mit Mindereinnahmen sei nach derzeitigem Stand nicht zu rechnen, stellt der Senat dementsprechend fest, da es sich um „ein reines Restkartenmodell“ handle.Museen, die per se keine „Restkarten“ haben, sind vom „Kulturticket“ ohnehin ausgeschlossen. Dass dieses seinen Namen also nur sehr bedingt verdient, ist auch dem Senat klar: „Ein generelles Kulturticket kann in Bremen derzeit auf Grund der sehr unterschiedlichen Trägerstrukturen der Einrichtungen noch nicht eingeführt werden“, heißt es in einem Bericht an die Bürgerschaft.

In der Tat beschränkt sich die jetzt beschlossene „Testphase“ auf das Bremer Theater, die Shakespeare Company, die Philharmoniker, die Schwankhalle und die Kammerphilharmonie. Für den 30. September 2010 hat der Senat die Vorlage eines „Berichts über die angewendeten Maßnahmen“ zugesichert.

Henning Bleyl