: Selbstheilung online
PSYCHOTHERAPIE Die Leuphana Universität in Lüneburg hat Online-Programme zur Behandlung psychischer Beschwerden entwickelt. Jetzt fehlen nur noch Testpersonen für eine Wirksamkeitsstudie. Aber nicht für jeden eignet sich eine Therapie im Netz
VON AMADEUS ULRICH
Wer glaubt, krank zu sein, tippt seine Symptome meist in eine Suchmaschine. Auf Webseiten und in Foren tauschen sich Nutzer über Krankheiten aus, um sich selbst zu therapieren, statt einen Arzt zu konsultieren. Studien zufolge suchen etwa 80 Prozent der Internetnutzer im Netz nach Gesundheitsinformationen. Doch was, wenn man sich nicht nur informieren, sondern direkt online behandeln lassen könnte?
Hier setzt die Leuphana Universität in Lüneburg an und entwickelt acht Programme, die Menschen mit Depressionen, arbeitsbedingtem Stress, Schlafstörungen und anderen psychischen Krankheiten helfen sollen. Im Fachjargon nennen sich diese Angebote internetbasierte Gesundheitsinterventionen (IGIs). „Unser Ziel ist, diese langfristig in die Versorgung zu integrieren“, sagt David Ebert, einer der Leiter des Projekts. Seit Anfang Februar sucht die Universität nach 2.000 Probanden, die die Online-Programme testen und anschließend in einer Längsschnittstudie mehr als sechs Monate begleitet werden – so soll die Wirksamkeit der Programme belegt oder eben auch widerlegt werden.
Ein Selbsttest: Online-Training gegen Stress. „Schön, dass Sie hier sind“, heißt es zur Begrüßung. In einem Video wünscht der Psychologe Matthias Berking, der den Teilnehmer während der Therapie begleitet, „das nötige Durchhaltevermögen“. Der Raum, in dem er sitzt, ist hell, Pflanzen ragen ins Bild. „Die meisten schwierigen Situationen können wir beeinflussen“, sagt er. Zwischen jeder Weisheit erklingt seichte Gitarrenmusik.
In sieben Lektionen soll man sich Methoden aneignen, um seine Probleme selbstständig lösen zu können: Man führt Tagebuch, erstellt Pläne, formuliert seine Ziele im Leben. Zwei Lektionen à 45 Minuten pro Woche sollte man absolvieren; jeden Tag erhält man drei SMS zur Motivation. Am Ende jeder Lektion zeigt einem der Psychologe beide Daumen und grinst etwas labil. Ein Online-Therapeut für jedermann, das klingt erst mal befremdlich.
Aber der Nutzen von IGIs ist international schon gut erforscht. Im deutschen Gesundheitssystem sind sie jedoch noch nicht wirklich präsent, während sie zum Beispiel in den Niederlanden zum Alltag gehören.
Mehrere Krankenkassen stehen seit einem Jahr mit der Uni in Lüneburg in Kontakt und unterstützen die Studie finanziell. „Momentan sprießen viele solche Angebote hervor, da muss man die Spreu vom Weizen trennen“, sagt ein Sprecher einer großen deutschen gesetzlichen Krankenversicherung. „Solche Gesundheitstrainings können aber natürlich keine Psychotherapie ersetzen.“ Vielmehr seien sie eine Ergänzung.
“Wir haben in Deutschland eine kuriose Situation“, sagt David Ebert. Depressionen würden meist erst dann behandelt, wenn sie schon stark ausgeprägt sind. „Unsere Programme bieten diesen Leuten weitaus früher die Möglichkeit, an ihren Beschwerden selbstständig zu arbeiten – und so ihre Lebensqualität zu steigern.“
Ferner sei die Anonymität der Nutzer ein Vorteil des Online-Trainings. Man erreiche eine ganz andere Zielgruppe, sagt Ebert. „In Deutschland werden nur etwa die Hälfte aller psychischen Störungen überhaupt behandelt.“ Vielen fehle oftmals die Überwindung, zum Arzt zu gehen oder sie wüssten nicht, dass ihnen eine Psychotherapie tatsächlich helfen kann. „Diese Programme können eine Versorgungslücke schließen“, sagt auch die Psychologin Hanne Thiart, die am Forschungsprojekt beteiligt ist. Meist seien die Wartezeiten für eine Psychotherapie „unglaublich“ lang. „Stellen Sie sich vor, Sie haben ein gebrochenes Bein, müssen aber ein halbes Jahr auf die Behandlung warten.“
Hinzu komme die Orts- und Zeitunabhängigkeit dieser Programme. Der Patient muss nicht zum Arzt fahren, sondern lediglich seinen Laptop aufklappen. Daher seien die IGIs besonders für Berufstätige mit wenig Zeit interessant: für allein erziehende Frauen etwa. In diesem Vorteil steckt aber auch ihr großer Nachteil: Sie bedürfen der Selbstständigkeit ihrer Nutzer. „Wenn ich zum Arzt gehe, erwarte ich, dass er mir hilft“, sagt David Ebert. „Bei diesen Programmen muss ich die Methode jedoch gezielt in meinen Alltag integrieren.“
Und die Frage bleibt, ob Patienten mit psychischen Beschwerden nicht den Kontakt zu realen Menschen möchten? Nicht unbedingt, sagt die Psychologin Hanne Thiart. Auch in einem Online-Programm sei es laut zahlreichen Studien möglich, eine gute therapeutische Beziehung aufzubauen. „Menschen sind jedoch individuell, das darf man nicht vergessen. Es gibt natürlich auch viele, für die ist es eindeutig besser, in die Praxis zu gehen.“
An der Studie teilnehmen und sich informieren kann man auf der Seite www.geton-training.de