Konrad Zuse und die Nacht der Wissenschafen: Mit 100 Jahren im Internet angekommen

Der Berliner Computererfinder Konrad Zuse wäre am 22. Juni 100 Jahre alt geworden. Jetzt digitalisieren die Freie Universität Berlin und das Deutsche Museum München seinen Nachlass - und machen ihn so für alle zugänglich.

Konrad Zuse, 1989, mit seinem Nachbau, des sogenannten Z 1, im Berliner Museum für Verkehr und Technik Bild: dpa

Gerade einmal 64 Wörter konnte der erste funktionstüchtige Computer der Welt speichern. Heute würde das wohl nicht einmal für die Dateinamen auf einer Festplatte ausreichen. Und doch war die 1941 in Kreuzberg erbaute Computermaschine Z3 eine bahnbrechende Erfindung, "die erste vollautomatische, programmgesteuerte und frei programmierbare, in binärer Gleitpunktrechnung arbeitende Rechenanlage", wie es der Münchner Informatik-Pionier Friedrich Ludwig Bauer einmal ausdrückte. Kurzum also der erste funktionierende Computer, wie wir ihn heute kennen.

Sein Schöpfer war der 1910 in Berlin geborene Konrad Zuse. 1995 ist er gestorben, im Juni dieses Jahres wäre er 100 geworden. Aus diesem Anlass wird Zuse nun post mortem die Ehre zuteil, selbst Eingang in die digitale Welt zu finden: Die Freie Universität Berlin (FU) und das Deutsche Museum in München haben begonnen, seinen Nachlass vollständig zu digitalisieren.

Gentechnik zum Mitmachen im Wedding, Hypnose-Experimente in Adlershof oder die Kuh als Musikinstrument an der Freien Universität: Das Programm der Langen Nacht der Wissenschaft am Samstag, 5. Juni, verspricht auch in diesem Jahr ungewöhnliche Einblicke in die Berliner und Potsdamer Forschungseinrichtungen. Insgesamt 70 Institute öffnen ihre Türen und präsentieren mehr als 2.000 Aktionen in ihren Räumen und Laboren.

Im Jahr 2001 luden zum ersten Mal Berliner Wissenschaftler gemeinsam zu einer Langen Nacht ein. Seitdem sind die Besucherzahlen kontinuierlich auf zuletzt 40.000 zahlende Besucher gestiegen.

Von 17 Uhr bis 1 Uhr in der Nacht führen Forscherinnen und Forscher durch ihre Labore, zeigen Experimente und laden zu Vorträgen ein. Neu dabei sind in diesem Jahr 13 Institutionen, darunter das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und das Max-Planck- Institut für Bildungsforschung.

Eintritt: 10 Euro im Vorverkauf, 12 Euro Abendkasse, ermäßigt 6 beziehungsweise 8 Euro; Familienticket 20 oder 24 Euro. (dpa)

Weitere Infos unter www.langenachtderwissenschaften.de

Die Wissenschaftler werden dabei einiges an Speicherplatz brauchen: "Kisten voller Notizen, Pläne und Dokumente warten darauf, im Internet zugänglich gemacht zu werden. Das ist wissenschaftshistorisch wunderbar, denn wir können vom Denken Konrad Zuses viel lernen", freut sich der Präsident des Zuse-Instituts Berlin, Peter Deuflhard. Ihn verband ein kollegiales wie freundschaftliches Verhältnis mit dem betagten Erfinder.

Zuse war nicht weniger als ein Genie: Mit 26 Jahren, gerade fertig mit dem Ingenieurstudium, machte er aus dem elterlichen Wohnzimmer in der Kreuzberger Methfesselstraße eine Computerwerkstatt. Dort hantierte er mit Laubsägen und Blechen und entwickelte zunächst den mechanischen Vorläufer der Z3, tischgroß, betrieben mit Handkurbeln und Hebeln. Eine Replik gibt es heute im Deutschen Technikmuseum Berlin zu bestaunen. "Zuse selbst hat diesen Nachbau Ende der Achtziger in hohem Alter bewerkstelligt", erzählt Deuflhard. "Und zwar komplett aus dem Kopf, da ja die Blaupausen wie die Maschine selbst im Zweiten Weltkrieg zerstört worden waren." Auch den Nachbau der Z3 besorgte Zuse persönlich - heute ist das Modell im Deutschen Museum München ausgestellt.

All die Dokumente aus seinem reichhaltigen Nachlass katalogisiert das Deutsche Museum zunächst. Dann legen die Münchner jedes einzelne Blatt in einen Scanner, um digitale Kopien zu erstellen. Jetzt kommen die Berliner ins Spiel, erklärt einer der Projektleiter, der FU-Informatik-Professor Raúl Rojas: "Unsere Aufgabe ist die sogenannte Tiefenerschließung." Dabei müssen sich die Forscher jedes Blatt Papier genau ansehen, um es mit korrektem Datum und einer genaueren Beschreibung versehen zu können. "Bei jedem Dokument fragen wir: Um welche Art von Maschine geht es hier? Was ist das für eine Patentanmeldung? Was kann man in diesem Dokument erwarten zu finden?", schildert Rojas. Schließlich solle ein umfassendes, online zugängliches Archiv ermöglichen, die Biografie Zuses besser zu verstehen.

Eine weitere Aufgabe der Berliner erfordert mehr das bloße Auge denn technische Hilfsmittel: Ein Experte versucht, die handschriftlichen Notizen Zuses zu entziffern. Keine leichte Aufgabe, denn sie sind in Stenografie verfasst. "Und Zuse hat nicht viel Wert darauf gelegt, alles so aufzuschreiben, dass Dritte es sofort verstehen", ergänzt Deuflhard schmunzelnd. Bei Überarbeitungen seiner Manuskripte habe Zuse zwar unterschiedliche Farben verwendet, aber nicht dokumentiert, wann er welche Farbe benutzte. Die bunten Seiten werden Stenografen und Interpreten eine Weile beschäftigen. Zunächst ist das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Projekt auf drei Jahre ausgelegt.

Für Rojas steckt hinter dem Zuse-Projekt auch ein allgemeiner Anspruch: "Unsere Studenten sollen nicht Fachidioten werden, sondern über den Tellerrand hinausblicken." Erst wenn man die lange Entwicklungsgeschichte des Computers kenne, bekomme man ein Gespür für die Problematik, die seine Anwendung in der Gesellschaft ebenfalls habe. Und so soll der digitalisierte Zuse-Nachlass auch eine Möglichkeit für Studierende sein, ein Verständnis von der Geschichte ihres Fachs zu erlangen. Zuse könne Studierenden von heute dabei ein leuchtendes Vorbild sein, meint auch der Mathematiker Deuflhard: "Er hatte keinerlei Angst vor einer richtigen Komplexität und war fähig zu höchster Abstraktion."

Dennoch blieb dem Erfinder der verdiente Ruhm verwehrt. "Er war eine sehr selbstbewusste Persönlichkeit und hat immer ein bisschen beklagt, dass in den USA und anderen Ländern sein Name nicht so bekannt war", erzählt Rojas von einer Begegnung mit Zuse kurz vor dessen Tod. Denn seine Forscherkollegen im Ausland hatten dem Berliner eins voraus: Freiheit und Publikationsmöglichkeiten, wie sie unter den Nazis in Deutschland nicht denkbar war. "Am Anfang war die Computergeschichte deshalb nur die der amerikanischen Maschinen", so Rojas.

Erst später habe man verstanden, dass es in vielen Ländern parallele Entwicklungen gegeben hatte. Das Wissen darum kann schon bald über alle Grenzen hinweg geteilt werden - von überall her, per Mausklick, mit Blick in das digitale Zuse-Archiv.

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