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Archiv-Artikel

Merkel drohen böse Weihnachtsbriefe

Beamte protestieren, weil der Bund ans Weihnachtsgeld will. Viele Firmen haben die Bescherung längst abgeschafft

BERLIN taz ■ Der hessische CDU-Ministerpräsident Roland Koch hatte es angekündigt: Heulen und Zähneklappern werde es nach den Koalitionsverhandlungen geben. Solche Geräusche sind nun von den Bundesbeamten und Pensionären zu vernehmen. Die neue Regierung will in der öffentlichen Verwaltung 1 Milliarde Euro einsparen – und beginnt beim Weihnachtsgeld der Staatsdiener.

Statt bisher 60 Prozent eines Monatsgehalts sollen die 304.000 Beamten nur noch die Hälfte bekommen, auch bei den 146.000 Pensionären wird der vorweihnachtliche Geldsegen halbiert. Der Deutsche Beamtenbund läuft gegen die Pläne Sturm und will Angela Merkel (CDU) eine Million Protestbriefe ins Kanzleramt schicken.

Unmut erregte vor allem das Argument, mit dem etwa der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) die Kürzungen verteidigte. „Hier holt der Bund nur das nach, was die Länder schon seit langem gemacht haben“, sagte Milbradt.

Britta Müller, Sprecherin des Beamtenbundes, will dieser Argumentation nicht folgen. Die Kürzungen in den Ländern setzten eine Abwärtsspirale in Gang, die zu immer weiteren Streichungen führe, sagte sie: „Der Verweis auf die Länder ist deshalb im höchsten Maß zynisch.“

Anfang 2004 haben die Länder eine Öffnungsklausel im Tarifrecht durchgesetzt, die es ihnen erlaubt, Urlaubs- und Weihnachtsgeld für Landesbeamte selbst zu bestimmen. Daraufhin setzten die Länder beim Weihnachtsgeld sofort den Rotstift an. Auch die Bundesbeamten mussten 2004 bereits Kürzungen hinnehmen.

Der Blick in die freie Wirtschaft zeigt jedoch, dass das Weihnachtsgeld längst nicht mehr für alle Beschäftigten selbstverständlich ist. Eine Umfrage der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ergab zwar, dass drei von vier Beschäftigten von ihrem Arbeitgeber eine Jahressonderzahlung bekommen. Dabei gibt es aber starke regionale und branchenspezifische Unterschiede.

Auffällig ist vor allem ein deutliches Ost-West-Gefälle. Während im Westen 75 Prozent der Arbeitnehmer noch Sonderleistungen erhalten, sind es in den ostdeutschen Bundesländern nur knapp 61 Prozent. „Das Weihnachtsgeld hängt vor allem davon ab, wie stark die Tarifbindung ist und wie die Branche wirtschaftlich dasteht“, sagt Reinhard Bispinck, Tarifexperte der Hans-Böckler-Stiftung.

So bekommen in der Chemieindustrie und im Bankenwesen noch über 86 Prozent Weihnachtsgeld. In Krisenbranchen wie dem Baugewerbe sind es hingegen insgesamt nur noch 55 Prozent – ostdeutsche Maurer gehen an Weihnachten in der Regel schon leer aus.

Am mutigsten wollen die Koalitionäre jedoch bei jenen streichen, für die keine Lobby trommelt: Zivis und Rekruten sollen gar kein Weihnachtsgeld mehr bekommen. Und auch das bisher übliche Entlassungsgeld von knapp 690 Euro soll komplett wegfallen. JAN PFAFF