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Kommentar Merkel und WMAuslaufmodell auf der Tribüne

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Auf dem Fußballfeld in Kapstadt sah man die Definition eines Modells der Zukunft. Die Gäste Merkel und Ballack hingegen verkörperten das alte Prinzip - neben dem Platz.

D ie Zukunft war auf dem Rasen zu bestaunen, die Vergangenheit erkannten wir auf der Tribüne. Zunächst sahen wir die Kanzlerin, die sich wie eine aus der Depression erwachte Manische über das Treiben auf dem sportlichen Feld freute. Und dann war da auch noch Michael Ballack, der wegen Verletzung am Turnier nicht teilnehmen kann. Beide verkörperten das alte Prinzip. Ballack, der Leitwolf, der zu Machtworten neigt, ein Freund klarer Hierarchien - ein Fußballsoldat, kein Inspirator mit Coolness.

Merkel war die kongeniale Tribünenergänzung - sie und ihre Regierung, die in Umfragen bislang mit keinem Zehntelprozent von der guten, ja irritierend mitreißenden Stimmung im Lande profitieren konnten. Die womöglich weiß, dass ihre Regierung diese produktive, zukunftsorientierte Atmosphäre niemals wird repräsentieren können. Nicht weil ihre Politik schlecht inszeniert ist, sondern weil es die falsche Politik ist. Eine, die Chaos verströmt und deshalb nach Machtworten verlangt. Die Wählerschaft weiß präzise zu unterscheiden zwischen ergreifenden Fußballperformances und einer Regierung, die mehr spaltet als moderiert und kein Angebot für eine integrierende Zukunft unterbreitet.

Auf dem Platz in Kapstadt sah man eine - hier nur fußballerische - Definition dessen, was ein Zukunftsmodell sein kann: junge Spielende, die selbst Verantwortung übernehmen müssen, weil die Leitwölfe gerade unpässlich sind. Die buchstäblich jeden Weg auf dem Rasen gehen, um ihre Teamkollegen zu unterstützen. Der Star ist die Mannschaft selbst, nicht eine befehlsstrukturierte Einzelkönnerschaft.

Der Autor

Jan Feddersen ist Redakteur der taz und leitet den WM-Schwerpunkt.

Und die Regierung? Ein Konglomerat aus genervter Matronenpseudoheiterkeit der Kanzlerin und Beachvolleyhaftigkeit ihrer neoliberalen Alliierten. Beide ein Auslaufmodell - weder willens noch begabt, politische Prozesse anzuregen, die nicht sofort berechtigte wütende Proteste provozieren. Sie stehen für das Gestern, für das Beharren auf einem gesellschaftlichen Modell, das sich nicht auf Gemeinsinn, sondern auf Kampf und Ausgrenzung konzentriert.

Michael Ballack wird nicht mehr gebraucht, die Jungen können es, hin und wieder leicht verunsicherbar, bestens ohne ihn. Merkel sollte ihre Ausflüge nach Südafrika genießen. Es sind Abschiedsexkursionen. Sie hat - wie die von ihrer repräsentierte Politik - ihre Zukunft ersichtlich hinter sich.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

14 Kommentare

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  • J
    Joeris

    Grundsätzlich ist es ja eine Ehre für die Akteure wenn Staatsoberhäupter, Prominente oder Königsfamilien kulturellen und sportlichen Ereignissen beiwohnen.

     

    Zumindest hab ich das eigentlich bisher immer so eingeordnet.

     

    Letzten Samstag überkam mich jedoch schon nach dem ersten Tor das nackte Grauen.

    Ganz Fusbball-Deutschland musste sich im Moment der Freude und des Jubelns diese Frau anschauen.

    Eine Zumutung auf die mit Sicherheit gerne jeder verzichtet hätte.

  • L
    Laura

    Merkel stellt keine Autoritätsperson mehr dar. Auch Ballack wird im Fußball nicht mehr gebraucht. Doch es gibt einen Unterschied. Ballack hat gemerkt, dass die junge Mannschaft auch ohne ihn auskommt. Ist seine Reha-Behandlung so wichtig, dass er überraschend abreist? Merkel scheint es nicht wahrzunehmen, dass ihre Zeit abgelaufen ist. Immer noch hält sie an ihrem System fest, obwohl die Mehrheit der Deutschen von ihr enttäuscht sind. Kann man ein ganzes Land regieren, auch wenn die eigene Koalition nicht mehr zusammenhält?

  • A
    Ausdauersportler

    Das beiden Gemeinsame liegt doch klar auf der Hand! Sie klammern mit Gewalt an der Ihnen übertragenen Aufgabe und erkennen beide nicht, dass ihnen inzwischen (oder jemals) die Fähigkeiten dazu fehlen. Warum müssen Fussballer neuerdings mit den Füßen voran aus der Mannschaftskabine getragen werden? Da findet niemand mehr den rechten Zeitpunkt, den Rücktritt selber zu erklären! Politikdarsteller - auch so schlechte - wählt man wenigstens irgendwann einmal ab. Schmerzhaft ist hier nur die Länge der Wahlperiode und die Schwere der Aufgaben, die ein weiteres dreijähriges Aussitzen in kollektiver Leistungsverweigerung mit den "Leistungsträgern" der FDP sicher nicht erlauben.

  • S
    Stefan

    Wenn Ihr "Anti-Merkel" nicht so sehr als "Pro-Links" und "Kontra-Physiker" versteht, bin ich einverstanden. Links ist link und PhysikerInnen sind Klasse. Bloß Angela, naja.

  • FK
    Florian Kren

    Das Uebersehen des offensichtlichen Widerspruchs ist geradezu herrlich:

    " Auf dem Platz in Kapstadt sah man eine - hier nur fußballerische - Definition dessen, was ein Zukunftsmodell sein kann: junge Spielende, die selbst Verantwortung übernehmen müssen, weil die Leitwölfe gerade unpässlich sind. Die buchstäblich jeden Weg auf dem Rasen gehen, um ihre Teamkollegen zu unterstützen. Der Star ist die Mannschaft selbst, nicht eine befehlsstrukturierte Einzelkönnerschaft."

     

    Da bewundert ein Autor eine (Mini)-Geselschaft in der jeder eigenintiative beweisen muss und vor allem die Leistung nicht zaehlt und wer diese nicht bringen kann - auch wenn es ohne eigenes Verschulden ist - , der muss von der Tribuene aus zuschauen, der wird ausgegrenzt.

    Und wie man sieht, ist sowas sehr erfolgreich.

    " Und die Regierung? Ein Konglomerat aus genervter Matronenpseudoheiterkeit der Kanzlerin und Beachvolleyhaftigkeit ihrer neoliberalen Alliierten. Beide ein Auslaufmodell - weder willens noch begabt, politische Prozesse anzuregen, die nicht sofort berechtigte wütende Proteste provozieren. Sie stehen für das Gestern, für das Beharren auf einem gesellschaftlichen Modell, das sich nicht auf Gemeinsinn, sondern auf Kampf und Ausgrenzung konzentriert."

    Genau das will die FDP vereinfacht gesagt auch. Eine Gesellschaft in der vor allem die Leistung zaehlt und wer die nicht bringt, der ist vielfach aufgrund materiellen Mangels ausgegrenzt.

     

    Wie kann man einerseits sich ueber das Fehlen von Befehlsstrukturen freuen, aber gleichzeitig fuer die Gesellschaft noch viel mehr "Befehle" aka Regeln wollen?

  • G
    GonZoo

    Bei der TV-Übertragung habe ich mich gefragt, ob die Fernsehmacher den Ernst des Spiels dadurch auflockern wollten, daß sie nach jedem Tor eine fette, häßliche Plunz auf den Rängen zeigte, die dümmlich grinsend klatschte als ob man in ihrer betreuten Wohngruppe endlich wieder die Benjamin-Blümchen-Kassette eingelegt hätte.... Sind das Spätfolgen stundenlangen Verblödungsglotzens von Hoppsassa-Revuen aus dem "Palast der Repüblik?

  • G
    GonZoo

    Übrigens, für das Einfiegen von Angela Merkel hat der deutsche Steuerzahler 200.000 Euro bezahlt. Man nennt sie schon "die Ulla Schmidt der Union"...

  • U
    Unterschicht

    Wieviel hat der nette, kleine Ausflug dem Steuerzahler denn gekostet?

  • R
    Rajolos

    Eine Physikerin mit planem Pastorendeutsch und medienversessen bis zum Abwinken fährt nach Kapstadt, um in einer Mischung aus Machtkalkül und naiver Kleinmädchen-Attitüde vom Glanz des deutschen Spiels etwas zu erhaschen. Man muss sich nur anschauen, wie rechteckig ungelenk sie jubelt, wie sie mit Pitschi-Patschi-Händchen im Kita-Stil applaudiert, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie unreif ihre Körpersprache ist. Es ist gerade dieses rationale Physiker-Image der machtgierigen Pastorentochter zusammen mit ihrer körperlich emotionalen Backfisch-Unreife, die mich an der Dame zweifeln lassen. Sie ist in dieser Mischung überhaupt nicht harmlos - ganz und gar nicht.

  • D
    deviant

    Verstehe: Die Vergangenheit ist also Ballack der Leitwolf und Merkel, die kein Leitwolf sein kann? Leitwolf und kein Leitwolf, beides Vergangenheit - irgendwie klingt das ja paradox und man sollte sich schon entscheiden...

     

    Oder soll demnächst (nach der 5:0 Klatsche gegen die Niederlande, wenn man Özil und Co, ganz schnell wieder ausbürgern will) schlicht das Kabinett auf dem Fussballplatz kreatives Chaos verströmen und Ballack und seine Jungs dafür im Bundestag Basta-Politik machen? Schlechter könnten dies wohl auch nicht...

  • V
    vic

    Merkel und Ballack, in der Tat.

    Zwei Menschen, die in ihrer gewohnten Position nicht länger gebraucht werden.

  • R
    Redbranch

    Diese konstruierten Parallelen zwischen Ballack und Merkel sind ja ganz drollig und zeugen von einer gewissen Phantasie, aber mehr auch nicht.

     

    "Es sind Abschiedsexkursionen. Sie hat - wie die von ihrer repräsentierte Politik - ihre Zukunft ersichtlich hinter sich."

     

    Wie naiv ist das denn? Die eigenen Wünsche in wohlklingende Worte verpacken und schon sieht´s aus als ob es wahr wäre... pffff.

     

    Da das Leben nun mal leider kein Ponyhof ist, sollten wir vielleicht erstmal abwarten, was kommt. Frau Merkel ist es durchaus zuzutrauen, dass sie sich schon irgendwie wieder aus dem Schlamassel heraus manövriert. Ob das gut wäre, sei dahingestellt.

  • P
    Petra

    Ich habe es in den letzten Jahrzehnten immer für außerordentlich respektvoll empfunden, wenn unsere politische Führung, egal welcher Coleur, bei herausragenden Ereignissen den, in diesem Fall sportlichen, Vertretern unsere Landes ihre Aufwartung machten und somit ihre Unterstützung und ihre Achtung vor der Leistung dieser Menschen zum Ausdruck brachten. Diese Geste sollte als etwas natürliches erachtet werden. Es ist ein Trauerspiel wie insbesondere Medien und die jeweils politischen Gegner versuchen solche Aktionen madig zu machen, über zu interpretieren und vor allem zu politisieren. Merkel war sicherlich nicht da, weil sie politisch links oder rechts ist oder ein politisches Statement abgeben will, sondern einfach weil sie gerade Bundeskanzlerin ist mehr nicht. Dabei kann man es doch einfach mal belassen, liebe TAZ oder?

    Auch wenn Frau Merkel nicht mein Fall ist, muss ich sagen: schön dass Sie da waren Frau Bundeskanzlerin und wenn das Team ins Endspiel kommt fahren Sie bitte wieder hin, diese Manschaft und dieses Ereignis haben diese Aufmerksamkeit verdient.

  • M
    manoell

    Merkel scheint in ihrer "Matronenpseudoheiterkeit" (schöne, die Kanzlerin perfekt entlarvende Wortschöpfung von Jan Feddersen) gar nicht zu merken, wie krass der Unterschied in Sachen Leistung zwischen ihrer Regierungsmannschaft und der deutschen Fußballnationalmannschaft zurzeit zu Tage tritt.

    Und sie spürt und ahnt offensichtlich nicht, wie sehr ihr Auftritte wie dieser am Samstag in Kapstadt selbst schaden.

    So ernst die Lage in Deutschland auch ist: Kanzlerin Merkel (die Frau kann ja nicht mal richtig jubeln) ist auf dem besten Weg, zur allgemeinen Witzfigur zu werden.

    Für mich ist sie das schon lange.