: „Es gibt kein weibliches Führen“
VON HEIDE OESTREICH
taz: Frau Lukoschat, auf Angela Merkels Weg ins Kanzleramt sind einige schwergewichtige Männer verloren gegangen. Ist es Zufall, dass dies gerade dann passiert, wenn eine Frau an die Macht kommt?
Helga Lukoschat: Es ist für dieses Land immer noch irritierend, dass eine Frau auf dem Weg in ein politisches Spitzenamt ist. Seit Merkels Kandidatur kann man ein fortwährendes kollektives Augenreiben beobachten. Deshalb denke ich, dass man die Rückzüge von Merz, Seehofer oder Stoiber nicht ganz von Merkels Geschlecht trennen kann. Edmund Stoibers Äußerung, er „könne“ nicht mit ihr, kann natürlich auch schlicht auf die Person bezogen sein. Aber: Mit der mächtigen Frau „nicht können“, das passt auch in das Geschlechterklischee.
Es gibt viele Geschichten von Firmen, in denen die leitenden Angestellten reihenweise kündigten, als eine Frau Chefin wurde. Wie sehr ist diese Haltung in den Köpfen verankert?
Dass man Frauen in Loyalitätssysteme der Macht einbezieht, ist hierzulande noch neu. Man fördert den anderen, weil man hofft, dass er einem nützen wird. Das sind seit Urzeiten erprobte Systeme zwischen Männern. Sie wissen, bei aller Konkurrenz, wann es um Aufstiegschancen geht, und dann sind sie loyal. An solchen Strukturen nahmen Frauen bisher nicht teil. Denn man ging davon aus, dass sie nicht in eine Position kommen, in der sie einem nützen können.
Offiziell ist es doch gar keine Frage, ob wir reif für eine Kanzlerin sind. Handelt es sich bei dieser Irritation um etwas Unbewusstes?
Teilweise. Es wäre peinlich, zuzugeben, dass man erschüttert ist, wenn eine Frau an die Macht kommt. Deshalb wird kein Politiker explizit darüber reden. Es sind eher Verhaltensweisen, die zu denken geben.
Welche zum Beispiel?
Angela Merkel wird immer noch behandelt, wie eine politische Anfängerin. Wie geht sie mit den Männern um? Kann sie es? Schafft sie es? Es gibt in Deutschland keine Wahrnehmungsmuster für eine Frau in einem Spitzenamt. Das Ausmaß der Verächtlichkeit, die etwa Gerhard Schröder nach der Wahl an den Tag legte, ist auch so ein Indiz: Das kann man nicht nur mit dem knappen Wahlergebnis erklären.
Nach Schröders Anmaßungen in der Elefantenrunde inszenierte er etwas Interessantes: Doris Schröder-Köpf weist den Rüpel zu Hause zurecht, und der transportiert das schmunzelnd in die Presse – ohne sich zu entschuldigen.
Der Unterton war: Die Frauen fanden das nicht gut, aber ich war auf meine Art ehrlich, als echter Kerl. Das ist ein schönes Beispiel für ein oft unterschätztes Phänomen: Männer können in der Politik auf eine bestimmte Art von Virilität zurückgreifen, die sie stärkt. Aber Frauen können nicht auf eine stärkende Femininität zurückgreifen. Zu „weiblich“ bedeutet: zu weich.
Was passiert mit einem Männerbund wie dem „Andenpakt“ in der Union, wenn an der Spitze eine Frau auftaucht? Ein Männerbund definiert sich ja gerade über die Abgrenzung gegenüber Frauen.
Ich glaube, dass wir eine pragmatische Verwandlung des Männerbundes erleben werden. Diese Ausgrenzung der Frau ist nicht so konstitutiv, wie die Vokabel „Männerbund“ suggeriert. Die Macht sitzt jetzt woanders. Wenn ein neuer Magnet in die Eisenspäne fällt, dann richten sie sich neu aus.
Keine Querschüsse aus der zweiten Reihe mehr?
Doch, selbstverständlich. Aber jetzt kann sie Wohltaten verteilen, und danach muss man sich richten. Man sagt ihr ja auch nach, dass sie in dieser Beziehung von Helmut Kohl viel gelernt hat. Das deckt sich übrigens mit den Erfahrungen aus der Wirtschaft: Wenn die Frau erst einmal als Chefin etabliert ist und das Unternehmen läuft, dann hören auch die Illoyalitäten auf.
Hilft Merkel die Tatsache, dass sie eine Frau ist, auch manchmal – nach dem Motto: Wer mobbt, bekommt schlechte Presse?
Das wäre nur der Fall, wenn die Angriffe zu stark auf ihr Geschlecht zielten. Aber so dumm ist niemand mehr. Die Angriffe werden auf etwas anderes zielen und damit den Geschlechterfaktor verdecken.
Hat sie bei der Presse einen Bonus?
Nein. Die Presse spiegelt die allgemeine Verunsicherung. Mal ist Merkel zu hart, mal kann sie es nicht. Die Süddeutsche Zeitung etwa meint oft, sie müsste Mitleid mit der armen Angela haben. Die Autoren bringen es nicht fertig, von Respekt zu schreiben. Die FAZ greift sie eher auf der politischen Ebene an, das ist ehrlicher.
Die „FAZ“ nennt sie immer „Frau Merkel“ …
Na ja, das ist halt albern.
Über weiblichen Führungsstil wird viel spekuliert. Wie würden Sie Merkels Führungsstil beschreiben?
Sie ist in der internen Kommunikation sehr erfolgreich. Es gibt ja kein weibliches oder männliches Führen, sondern klare Entscheidungen auf der einen Seite und Integration auf der anderen. Das scheint sie gut zu können. Sogar der SPD-Mann Peer Steinbrück sagte kürzlich öffentlich, er habe sie sehr unterschätzt und sei von dem offenen Stil angenehm überrascht.
Als Schröder Kanzler wurde, gab Doris Schröder-Köpf gleich die unterstützende Hausfrau. Eine solche Funktion hat Joachim Sauer nicht. Eine weitere Schwierigkeit für Merkel?
Dass die Frau zu Hause sitzt und wartet, ist doch ein sehr konservatives Modell. Warum soll Joachim Sauer keine stützende Funktion haben? Unterstützen kann man ja auf sehr vielfältige Art und Weise. Wenn man im entscheidenden Moment da ist und mit kühlem Kopf seine Meinung beiträgt, ist das vielleicht hilfreicher, als vieles, was Doris Schröder-Köpf gemacht hat.
Schröder-Köpf hat Merkel vorgeworfen, sie könne ohne Kinder schlecht Familienpolitik machen. Von verschiedener Seite kam die Kritik, Merkel gebe sich zu wenig als Frau zu erkennen. Hat Merkel in dieser Hinsicht ihr Image falsch frisiert?
Ich glaube, das Problem ist nicht die Weiblichkeit, sondern die Authentizität. Im Moment wirkt Merkel sehr kontrolliert. Von der Person wird nicht viel sichtbar. Zur Authentizität gehört zwar auch, dass sie eine Frau ist. Sie muss aber deshalb nicht mit Weiblichkeitsklischees hantieren, die mit ihr nichts zu tun haben. Renate Künast hat ganz bewusst einige Elemente in die Öffentlichkeit gebracht, die sie authentisch machten, das Rollerblade-Fahren etwa. Das reicht. Es muss nicht das Rezept für den Weihnachtspudding sein, wie bei Margaret Thatcher.
Thatcher hat sich als eine Art Übermutter der Nation inszeniert. Kommt man als Staatschefin nicht um Geschlechterklischees herum?
Das kommt auf die Person an. Margaret Thatcher war auf vielen Strecken ein Klischee, ein Klischee der englischen Mittelklasse. Sie hat ein bestimmtes Verhalten ausgelebt: Die Sparsamkeit, das Hausfrauentum, die Biederkeit, das war ihr Wesen, deshalb kam es so gut rüber.
Das steht Angela Merkel offenkundig nicht zur Verfügung.
Ja, das sind erschwerende Bedingungen. Die Pfarrerstochter aus der Uckermark mit einer gebrochenen Biografie – das ist etwas völlig anderes als das Modell Thatcher, das eine Mehrheit in Großbritannien repräsentierte.
War es klug, sich frauenpolitisch derart zurückzuhalten wie Merkel es getan hat?
Sie hätte das Thema dosiert einbringen müssen, dann hätte sie mehr Frauenstimmen gewinnen können. Sie hat stattdessen die Männer und die konservativen Frauen nicht verschrecken wollen. Aber die Unionswählerinnen sind nicht mehr so homogen. Wenn sie das Frauenthema geschickt mit der Demografie und der Wirtschaft, welche die Frauen braucht, verbunden hätte, hätte ihr das genutzt. Jetzt kann sie sich damit natürlich noch gefahrloser profilieren.
Jetzt? Sehen Sie Indizien dafür, dass sie das tut?
Ja, das Elterngeld etwa, das Rot-Grün nicht eingeführt hat, kommt jetzt unter einer CDU-Kanzlerin. Und Ursula von der Leyen ist als Frauenministerin wirklich ein anderes Kaliber, als es etwa Claudia Nolte war. Das liegt durchaus auch an Angela Merkel, auch wenn sie das nicht an die große Glocke hängt.
Abgesehen von diesen frauenpolitischen Spekulationen – wird Angela Merkel als Kanzlerin einen Unterschied für die Frauen machen?
Ja. Es wird selbstverständlicher sein, dass Frauen in Führungspositionen sind. Sie wird, ganz egal was sie macht, ein Vorbild gewesen sein.
Wie Thatcher, die von den Spice Girls zum „Original Spice Girl“ geadelt wird – ohne dass sich für Frauen etwas ändert?
Das ist nicht wahr. In England hat sich einiges geändert. Thatcher hat den gesellschaftlichen Wandel mit vorangetrieben. Generell sind die angelsächsischen Länder weiter als wir hier – zum Beispiel was die Akzeptanz und die Chancen berufstätiger Mütter betrifft. Es wäre schön, wenn die Deutschen da mal ein Quäntchen aufholen würden.