piwik no script img

Gutachten zu "Stuttgart 21"Zentrale Mängel

Verlängerung der Fahrzeiten und Engpässe: Ein Gutachten stellt dem Großprojekt "Stuttgart 21" ein desaströses Zeugnis aus. Gegner planen am Samstag eine Großdemo.

So sieht die Zukunft aus: Computeranimation der Bahn zeigt den unterirdischen Bahnhof Stuttgart 21. Bild: dpa

STUTTGART taz | Das baden-württembergische Innenministerium wollte eine brisante Studie am liebsten unter Verschluss halten - nun ist sie doch ans Licht gekommen: Ein 60-seitiges Gutachten legt zentrale Mängel des gigantischen Bahnprojekts "Stuttgart 21" offen. Was als hochmoderne Technik angepriesen wird, entpuppt sich darin als "hohes Stabilitätsrisiko" und "knapp dimensionierte Infrastruktur". Dies berichtet der Stern in seiner neuen Ausgabe. Das Gutachten zeige, wie recht die Bürger mit ihrem Protest hätten, und liefert ihnen neue Munition für den Kampf um das Milliardenvorhaben.

Vor zwei Jahren hatte das Land Baden-Württemberg die Züricher Firma SMA mit der Studie beauftragt. Im Mittelpunkt stand die Berechnung der Fahrplankonsequenzen und -möglichkeiten von "Stuttgart 21", bei dem der Kopfbahnhof durch einen unterirdischen Durchgangsbahnhof ersetzt werden soll.

Laut Stern sprechen die Schweizer in ihrem Fazit von "Engpässen", die in einem bislang störungsfreien Verkehrssystem entstehen würden. "Konflikte zwischen Hauptbahnhof und Flughafen mit dem Regionalverkehr" würden festgestellt, was "nicht kompatibel mit den angenommenen Fernverkehrszügen in Stuttgart" sei. Die Autoren des Gutachtens rechnen mit "Fahrzeitverlängerungen" und kommen zu dem Ergebnis, dass eine "Gestaltung des Fahrplans nur in sehr geringem Maße möglich" sei. Schließlich werfen sie die Frage auf: "Letztes Wort bezüglich Infrastruktur-Dimensionierung gesprochen? Letztes Wort bezüglich Konzeption S-Bahn gesprochen?"

Entscheidend ist, von wem die Studie kommt: SMA gilt weltweit als eine der führenden Firmen, wenn es um die Planung von Bahnsystemen geht, und erhält regelmäßig Aufträge der Deutschen Bahn. Deshalb wird das nun bekannt gewordene Gutachten eine neue Dimension in die Diskussion bringen. Weil es nicht um Emotionen der betroffenen Bürger geht, die die Gegenseite gerne als innovationsfeindlich abtut. Sondern um eine sachliche und akribische Berechnung, die von den Befürwortern bezahlt wurde.

Für Samstag hat das Aktionsbündnis gegen "Stuttgart 21" eine Großdemonstration in der Stuttgarter Innenstadt geplant. "10.000 Bürger plus x", so erwarten die Veranstalter, wollen dafür sorgen, dass das letzte Wort tatsächlich noch nicht gesprochen ist.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • BJ
    Baumschützer Jah

    @Bodo Menschenfreund, Sie haben sich offensichtlich noch gar nicht mit dem Thema beschäftigt. Die Gegen-Initiative heißt "K21" und kämpft nicht für Erhaltung des Status Quo sondern für einen attraktiven Kopfbahnhof und eine sinnvolle Lösung, die bei nur 1/3 des investierten Geldes unzählige Vorteile gegenüber der momentan propagierten S21-Lösung hätte.

    S21 hingegen ist weder innovativ noch sinnvoll.

     

    @Jens Herzberg

    Danke für Ihren Kommentar. Selber BESSER machen – das ist nämlich genau das, wofür momentan jeden Montag (ist der Wochentag dabei wichtig?) ca. 4000 Leute am Stuttgarter Bahnhof demonstrieren. Und am heutigen Samstag knapp 20.000 im Park daneben.

    MUTIG sein, gegen Lobby und Regierungsparteien ankämpfen, das braucht Deutschland heute wieder. Bevor die Politik-Ohnmacht eines Tages eskaliert.

    Wer glaubt, gegen Politik könne man eh nichts machen, der bekommt einen Tunnelbahnhof und längere AKW-Laufzeiten gleich noch oben drauf…

    Wenn wir nicht sagen was wir wollen – die Lobbies aus der Wirtschaft sagen es auf jeden Fall.

  • MS
    M. Stocker

    @Jens Herzberg:

     

    Sie sind der typische begeisterte Mitläufer, der dem aus nagenden Minderwertigkeitskomplexen unserer Provinztrottel-Politiker geborenen S21-Projekt hinterherläuft. Klar, dass in der Taz keine ausführliche Diskussion stattfindet, bevor Sie jedoch die S21-Gegner als verbissene Konservative darstellen, wäre ein Blick auf die Realität hilfreich, z.B. unter kopfbahnhof-21.de.

    Hier gehts nicht um 'Mut' oder 'Fortschrittlichkeit'. Was soll bitte daran fortschrittlich sein, eine funktionierende, bestehende Bahn-Infrastruktur mutwillig zu zerstören? Durch einen Flaschenhals im Keller der Stadt und eine chronisch leerstehende Retortenstadt zu ersetzen? Warum müssen wir Steuerzahler für ein Projekt haften, das vielleicht ein Paar Immobilieninvestoren steinreich macht, die Öffentliche Hand aber bettelarm und handlungsunfähig? Pech für die Neocon-Ideologen! Die Stuttgarter wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, über den Tisch gezogen zu werden, nur damit die Sucht nach Denkmälern und der Größenwahn einer politischen Kaste befriedigt werden kann.

    Zu den Plakaten und der Werbung: auch die wird von UNS bezahlt, ohne dass wir vorher gefragt wurden. Deshalb dürfen wir auch die Flächen ein bisschen mitnutzen. Kommen Sie mir jetzt bloß nicht mit der Müslireigel-Werbung, die wir ebenfalls über den Produktpreis bezahlen. Den Müsliriegel kann ich liegen lassen. Die Kosten von S21 werden uns aber aus der Tasche gezogen, egal ob 70% aller Stuttgarter und 56% aller Baden-Württemberger dagegen sind. Deshalb: oben bleiben!

  • NP
    N. Picasso

    Vielen Dank für den Artikel! Die SMA-Studie spricht die Wahrheit. Alles, was die Gegner bis jetzt gesagt haben, hat sich bewahrheitet.Und es geht noch weiter. Es ist ja eine Ausnahmegenehmigung durch einen "Ministererlass" durchgegangen, indem dem Fernverkehr gestattet würde, durch den S-Bahntunnel vor dem Flughafen Stuttgart zu fahren. Das heißt aber auch, einige Zuggattungen wären von vornherein für den Tunnel ausgeschlossen, z, Bsp: Doppelstockwagen. Gerade eminent wichtig für den Pendlerverkehr! Die Sicherheit steht nicht fest. Rettungswege sind nur 1m breit, Vorschrift sind 1,20.Die Fernzüge ragen aber noch in die Fluchtwege rein, also bleiben nur noch 90cm Fluchtweg übrig! Wie oft hatten wenige Zentimeter im technischen Bereich über Leben und Tod entschieden! Die Gleisabstände sind auch mit 3,80m zu gering.

    Der S-Bahnhof Flughafen hat andere Bahnsteighöhen als ein Fernbahnsteig. In diesem Bahnhof sollen aber beide Zuggattungen halten. Mobilitätseingeschränkten Menschen würden hier Hürden auferlegt. Noch ist es deshalb nicht genehmigt.

    Aber auch die Sicherheit am geplanten Stuttgart 21 Tunnelbahnhof erscheint mir sehr fragwürdig. Wenn ein Mannheimer Bahnhof bei 100 000 Reisenden täglich 5 Bahnsteige hat und der Tunnelbahnhof nur 4 Bahnsteige bei ca. 300 000 Reisenden bekommen soll, dann kann man sich ausmalen, wie extrem beengt das dort zugehen wird.Erst Recht an den Engstellen bei den Rolltreppen. Und wenn die Menschen in Eile sind, weil sie nur noch eine Minute Zeit zum Einsteigen in den Nahverkehrszügen haben und zwei Minuten für den Fernverkehr, dann seh ich Schwarz.

    Es gibt noch so viele eklatante Mängel bei dem Projekt zu beklagen - man ist nur noch stinkwütend auf die oberen Parteifraktionen (CDU, SPD, FDP Stuttgart), die offensichtlich "Generalsekretäre der Profitlobbyisten" sind und dieses Projekt blind verfolgen, um der Immobilienmafia und anderen treu zu dienen.

    Leider hat diese "Treue" bundesweit Auswirkungen: vom finanziellen Aspekt bis zum Bahnverkehrlichen.

  • JH
    Jens Herzberg

    @ Jenkmän : In die Politik gehen und selber BESSER machen und nicht immer rummotzen...

    @ Jens Schlegel: Vielleicht is das wirklich so... aber wirklich neu ist es auch nicht !

    @ Thomas Sch. ISt der Bahnhof wirklich Ihre Kirche ? Erstens kommt er ja nicht ganz weg und zweitens ist dieser Monumentalbau (mit einem gewissen Geschmäckle, sie wissen welches ich meine) alles andere als hübsch, besorgen sie mir mal ne Postkarte.

     

    Wenn die Deutschen durch LENA oder die Fußballer in der Welt zur zeit ein besseres Image bekommen dann weil sie MUTIG, fortschrittlich und symphatisch sind . Ich sehe hier aber so viele Konservative Miesmacher, die das Bild vorher geprägt haben. Gegen die Politik kann man eh nichts machen , Rechtsradikale sind keine mehr da (jedenfalls nicht genug) , Atomkraftwerke werden (wahrscheinlich) auch keine mehr gebaut, also raus und Montagsdemonstrieren (wie doof, hier gings um Wichtigeres als um einen Bahnhof !) Hätte man den Dienstag genommen wäre der Anklang geblieben, aber nicht der Vergleich mit Kampf um Menschenrechte ! Also in fröhlich, friedlicher Stimmung wie auf einem Gewerkschafterfest demonstrieren. Und wo undemokratische Entscheidungen verurteilt werden wird das Verständnis dann wieder gedreht wenn die Werbung für S21 verunglimpft, beschmiert und überklebt wird, man dreht sich Toleranz und Demokratieverständnis wie man es gerade braucht.

  • TS
    Thomas Sch.

    Ein Bahnhof unter der Erde. Das muß man sich mal ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen. Unter der Erde ! Wozu dat denn ? Weil wir so wenig Platz haben oder was ? Warum leckt sich der Hund die Eier ? Weil er´s kann. Vieleicht planen wir ja demnächst auch einen Flughafen unter der Erde. Oder einen Seehafen. Wie wär´s denn mal mit einem Plenaarsaal ? Da könnten wir die Politiker gleich mit unter die Erde bringen. Ein Sprichwort hilft vielleicht: Wer Honig will, muß der Biene sumsum leiden können. Also, liebe Leute, entscheidet Euch: Wenn Ihr Verkehr haben wollt, dann bitte auch mit seinen Nebenwirkungen. Einen Bahnhof, den man nicht sehen oder hören, aber benutzen will. Was ist das denn für eine Einstellung ? Irgendwie erinnert mich das ganze an die Geschichte der Schildbürger, die versuchen Licht per Kartons ins fensterlose Rathaus zu bringen und sich wundern, warum´s nicht funktioniert. Haben Sie schon mal überdacht, warum früher die Bahnhöfe gigantische Kathedralen waren ? Nein, nicht nur, weil die Lokomotiven damals noch Funkenflug, Rauch und Lärm produziert haben, sondern auch, weil man Stolz auf das Geschaffene war und es eitel hergezeigt hat. All die schönen Prospekte in Weitwinkeloptik, die große, helle Hallen zeigen, werden in Wirklichkeit -ich versprech´s Ihnen- nach einiger Zeit dunkle, abgasgeschwängerte Kellergebilde geworden sein, in denen sich Frauen und Kinder fürchten. Sie können das bereits besichtigen, bei anderen derartigen Bahnbetonexperimenten hier vor Ort in Deutschland.

  • A
    Anna

    Das Gutachten war sicher auch teuer (wie schon die nichtssagenden Werbekampagnen), die Beführworter einer Modernisierung des Bahnhofs (K21) haben diese ganzen Mängel schon gratis vor einigen Monaten offen gelegt, auf den Montagdemos habe ich all das auf jeden Fall schon lange erfahren. Jeder der über den Hbf Stuttgart fährt, kann sich allein mit gesundem Menschenverstand denken, dass die Pläne S21 nicht funktionieren können, da muss man nicht mal unbedingt Ingenieur sein. Die Strecken im Nahverkehr sind jetzt schon völlig überlastet, werden durch S21 noch störanfälliger, Anschlusszüge warten nicht mehr . . .

    Mein Vorschlag: wieder selbst mehr denken und weniger(schön)rechnen.

  • BM
    Bodo Menschenfreund

    Diese "neue" Studie zeigt doch nur eins: Man müsste eigentlich noch viel mehr klotzen, bestimmt nicht im Sinne der Gegner, die den unhaltbaren Status Quo erhalten wollen ...

  • S
    Schmidt

    Danke für die prima Artikel!

    S. Schmidt aus Stuttgart

  • UB
    Ulrike Braun

    Merci für Ihre Berichterstattung - bleiben Sie ruhig am Ball, das war sicherlich noch nicht alles an Haarsträubendem.

    Ein Hinweis allerdings: Statt dem aufgehübschten dpa-Bildchen, dass Sie wie die meisten andern auch gerne verwenden, lohnt mal ein Blick auf die Visualisierung des (sicherlich nicht parteiischen) Fraunhofer-Instituts:

    http://www.ve.iao.fraunhofer.de/index.php?id=29

    Da sieht das Ganze doch schon weniger putzig aus, nicht wahr?

  • JS
    Jens Schlegel

    Wer aus der Gegend Stuttgart kommt hat sie gesehen, die Werbung für Stuttgart 21. Das Geld, das alleine hierfür aufgebracht wird fehlt an Stellen die doch deutlich wichtiger sind. Bildung, Krankenkasse, echte Verbesserung des Nahverkehrs...

     

    Jede Vernunft, das Empfinden der Bürger nun noch ein Gutachten werden keinen Erfolg haben. Denn hier geht es um Geld. Wichtige Leute haben anderen Leuten Aufträge besorgt, dafür haben die Wahlkämpfe finanziert oder sind der Bruder des Bekannten der die Tochter des Cousins von ... geheiratet hat.

     

    Nein, ich traue mich nicht von Bestechung zu schreiben. Aber ich bin mir sicher, dass alle die heute entscheiden bei reiner Vernunft komplett anders entscheiden würden. Aber hier geht es um Macht und um Geld. Viel Geld...

     

    Daher wird auch die nächste Demonstration und das nächste Gutachten im Sande verlaufen. Hingehen werd ich trotzdem. Vielleicht trägts ja zu einem Politikwechsel bei.

  • J
    Jenkmän

    Egal ob Süd oder Nord: Politiker versuchen sich überall auf Kosten des Steuerzahlers zu verewigen. Der Steuerzahler fällt dabei jedes mal auf die Schnauze. Danke, Politik.