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Archiv-Artikel

Power, Chuzpe und ein Event-Talent

Seit 2002 ist Christine Mielitz Operndirektorin in Dortmund. Bislang ist ihre Bilanz eher durchwachsen

Bei ihrer ersten Intendanz im thüringischen Meiningen pilgerten Heerscharenvon Fans zum bis datounbekannte Spielort

Christine Mielitz ist eine Powerfrau. Immer in Bewegung, wirkt sie zunächst schmal und zerbrechlich, bevor ihre Eloquenz und bohrende Präsenz das Zarte schnell vergessen lassen. Ein Theatertier. Als sie 2002 als Operndirektorin die Nachfolge von John Dew in Dortmund antrat, übernahm sie kein leichtes Erbe. Dew gewagter Spielplan hatte sich zuletzt vor allem der Ausgrabung vergessener Werke des französischen Repertoires des 19. und 20. Jahrhunderts verschrieben, was ihm Lob der Presse und Applaus eines treuen Stammpublikums einbrachte. Aber die Auslastung sank und die Abonnements waren rückläufig.

Das musste sich nach Meinung der Verantwortlichen in der Stadt gründlich ändern und so hielt man Ausschau nach einer Nachfolge, die künstlerischen Anspruch mit Kassenwirksamkeit zu einen versprach. Für beides empfahl sich die gebürtige Chemnitzerin Mielitz nachdrücklich. In Tuchfühlung mit den Größen ostdeutscher Regietradition sammelte sie erste Theatererfahrungen, bevor sie selbst als Regisseurin in ersten Häusern arbeiten konnte. Mehrfach war sie Oberspielleiterin, schließlich seit 1998 Intendantin im thüringischen Meiningen, wo sie allen Unkenrufen zum Trotz Wagners Ring an gleich vier aufeinander folgenden Tagen auf die Bühne wuchtete. Mit einer Mischung aus Chuzpe und Event-Talent holte sie genügend Sponsoren an Bord und mobilisierte die Szene so geschickt, dass Heerscharen von Fans ins bis dato unbekannte Meiningen pilgerten. Das waren gleich drei Fliegen mit einer Klappe: Mut statt Resignation, künstlerischer Ehrgeiz statt Sparzwang, volles Haus statt trauriger Rest-Elite. In Dortmund war man begeistert.

Doch die erwartete Rechnung ist bislang nicht so glatt aufgegangen. Neben soliden Achtungserfolgen gab es Ausreißer nach oben und unten. Heftig akklamiert wurde ihr „Wozzeck“, ein Reinfall war dagegen die eigene Inszenierung der Uraufführung eines seltsamen Ladenhüters: „Das Treffen in Telgte“ nach Günter Grass.

Mielitz‘ Ruhm als Regisseurin wuchs derweil auswärts unaufhörlich weiter. Zweimal inszenierte sie unlängst an der Wiener Staatsoper, Wagners “Fliegenden Holländer“ und „Parsifal“, bei den Salzburger Festspielen Zemlinskys „König Kandaules“.

Nun aber greift Mielitz in Dortmund abermals zu den Sternen des Musiktheaters und setzt erneut Wagners Tetralogie in Szene. Das Haus ist zwar um ein vielfaches leistungsfähiger als das kleine Provinzhaus in Meiningen – dafür ist die Ring-Konkurrenz in NRW nicht zu unterschätzen. Dennoch ist es wohl als Signal zu verstehen, dass Mielitz zu ihrer bewährten Wunderwaffe greift, der Sogkraft von Wagners betäubender Endzeitmusik.

REGINE MÜLLER