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Archiv-Artikel

Auch Richter müssen leiden

Hartz IV schafft also doch Arbeit: bei den Sozialgerichten. In Niedersachsen haben sich die betroffenen Richter jetzt lautstark zu Wort gemeldet. Ihre Forderung: 25 neue Stellen. Bekommen werden sie die wohl nicht

In einem sind sich alle einig: Bald geht nichts mehr. Niedersachsens Sozialgerichtsbarkeit, bisher ohnehin schon eine kleine Einheit in den Reihen der Landesjustiz, droht der Stillstand der Rechtspflege. Verursacher der Misere ist das vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt – besser bekannt als „Hartz IV“.

Die Vorschrift mit dem hohen Gruselfaktor hat dafür gesorgt, das Klagen gegen die Bundesagentur für Arbeit, die seit Anfang des Jahres über Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld II entscheidet, vor den Sozialgerichten laufen – und nicht mehr vor den Verwaltungsgerichten. Doch die Sozialgerichte gehörten personell noch nie zu den stärksten Spruchkörpern des Landes. Die Wucht der Neuregelung traf sie darum unvorbereitet, aber mit ganzer Härte. „Die Akten prasseln nur so auf uns nieder“, sagt Michael Phieler, stellvertretender Vorsitzender der Bundes Niedersächsischer Sozialrichter.

Um die 7.500 Verfahren mehr, so schätzt der Sozialrichter-Bund, sind in den letzten Monaten bei den Sozialgerichten landesweit neu aufgelaufen. Das entspricht einer Erhöhung um fast 30 Prozent. Neueinstellungen von Richtern hat es dagegen kaum gegeben: „Man versucht sich mit der Abordnung von Verwaltungsrichtern zu helfen“, erklärt Peter Taubert, Vorsitzender der Richter-Organisation. Doch Abordnungen sind freiwillige Maßnahmen, ihre Höchstdauer beträgt ein Jahr. Viel bewegen lässt sich damit nicht, denn auch die Verwaltungsgerichte schwimmen in einer Flut neuer Klagen. Unter diesen Bedingungen wird kaum ein Verwaltungsrichter den eigenen Schreibtisch mit Freuden verlassen, um anderswo den Kollegen unter die Arme zu greifen.

Neueinstellungen von Sozialrichtern sind scheinbar die einzige Lösung, aber dafür hat das Land kein Geld. „Mindestens 25 neue Stellen landesweit“, wünscht sich der Bund niedersächsischer Sozialrichter, damit Rechtssuchende vor den Sozialgerichten nicht unnötig lange im Regen stehen. Um dem Anliegen Nachdruck zu verleihen, hat Sozialrichter-Bund kürzlich mit einem offiziellen Schreiben beim Justizministerium und den Landtagsfraktionen vorgesprochen. Doch was aus dem Ministerium kommt, wirkt eher rührend hilflos: „Über die Zahl etwaiger Neueinstellungen müssen wir uns mit dem Finanzminister abstimmen“, sagt Jutta Rosendahl, Sprecherin des Ministeriums. Gerüchteweise sickerte durch, dass „Neueinstellungen an allen Standorten“ geplant sein sollen – aber der Finanzminister ist dieser Tage nicht für seine Großzügigkeit bekannt. „Die lange Verfahrensdauer vor den Sozialgerichten ist den Mandanten schon jetzt nur schwer zu vermitteln“, sagt Joachim Krempin, Fachanwalt für Sozialrecht in Lüneburg. Bis zu einem Endurteil kann es Jahre dauern, weil den Richtern die Zeit fehlt, um sich in die schwierige Rechtsfragen einzuarbeiten. „ Dabei werden angesichts der hohen Arbeitslosigkeit die Verteilungskämpfe um das Ersatzeinkommen immer härter“, weiß Rechtsanwalt Krempin – sprich: Die Zahl der Verfahren steigt weiter an. Ein Ende ist nicht in Sicht. Elke Schneefuß