Gemüseproduktion: Die Zukunft der Paprika

Eine Erdöl-Raffinerie ist der Grund, warum in Schleswig-Holstein Paprika angebaut werden kann: Sie liefert die Wärme, die die Frucht braucht, um hier zu gedeihen.

Heimisches Produkt: Paprika aus Hemmingstedt. Bild: dpa

Die Luft riecht nach billigem Einwegfeuerzeug. Ein Shell-Logo strahlt zwischen rostfleckigen Tanks auf den gähnenden Hof. Im Hintergrund kratzt ein hagerer Schornstein am Himmel über Hemmingstedt.

Wie die Endzeit-Vision einer von Maschinen regierten Welt steht sie da, die Erdöl-Raffinerie am Rande der Westküstenautobahn A 23. Der Turm dient dem Kreis Dithmarschen mit seinen 175 Metern seit Jahrzehnten als Wahrzeichen. Nun entsteht, wenige hundert Meter entfernt, ein neues Wahrzeichen: Deutschlands größte Paprika-Fabrik. Gegen die Raffinerie erscheint sie wie der positive Gegenentwurf einer technisierten Zukunft: Außen Glas, dahinter weißes Tuch, innen sattes Grün. Würde Apple eine Paprika-Fabrik bauen, sähe sie so aus.

Während der Wind eine Wolke Shell über den Paprika-Parkplatz treibt, zwickt im Inneren ein Arbeiter mit abgeschnittener Jeans überzählige Blüten von den Ästen. Hinter einem improvisierten Schreibtisch aus Europaletten steht ein junger Mann mit Flaumbart und starrt ins Leere. Die Halle um ihn herum wird gerade erst fertiggestellt. Der Monitor vor ihm zeigt 20 Grad Raumtemperatur - ein ideales Klima für die rund 185.000 Paprika-Pflanzen der Firma Vitarom.

Um die Temperatur konstant zu halten, verheizt die Anlage rund 1.200 Megawattstunden in der Woche. So viel wie 15.000 Haushalte zusammen. Verständlich, dass kaum ein anderes Unternehmen in Deutschland Paprika züchtet. Auch Vitarom, ein Verbund aus vier Dithmarscher Erzeugern, wäre den Energiepreisen nicht gewachsen, stünde da nicht die Erdöl-Raffinerie. Jahrzehnte lang blies Shell die anfallende Abwärme ungenutzt ins Heideland. Mit einem Fernwärmenetz nutzt die Gemeinde nun die heiße Luft von Shell, um der lahmenden Wirtschaft neuen Atem einzuhauchen.

Bauleiter Frank Schoof zeigt auf ein paar weiße Rohre und einen Wassertank hinter den Paprika-Hallen: "Hier kommt die Energie direkt aus dem Boden." Das heiße Shell-Wasser wird durch ein verästeltes Rohrnetz dicht an den Pflanzen vorbeigepumpt. Die Heizungsrohre dienen als Schienen für die Erntewagen entlang der Pflanzen, die in so genannten Kulturrinnen wachsen.

Auf einer Länge von zusammen 80 Kilometern wurzeln die Pflanzen nicht in Erde, sondern in schwammartigen Substratmatten aus Naturfasern. Die Nährstoffe werden computergesteuert direkt in die Matten zu den Wurzeln gepumpt. Was nicht aufgenommen wird, fließt ab, wird automatisch analysiert und bestimmt die Zusammensetzung des nächsten Nährstoff-Cocktails. Sollte es zu warm werden, öffnen sich lautlos Lüftungsklappen und wenn die Sonne zu kräftig scheint, gleiten Stoffbahnen über den Hallenhimmel und sorgen wie Wolken aus Leinen für indirektes Licht.

Obwohl die Hemmingstedter die größten Paprika-Züchter Deutschlands sind, fällt ihre Arbeit bundesweit kaum ins Gewicht. Mit 1.400 Tonnen pro Jahr liefern sie gerade einmal ein halbes Prozent des deutschen Paprika-Bedarfs. 2007 waren das 290.000 Tonnen. Den Löwenanteil produzieren die Niederlande. "Halb Holland ist mit Abwärme versorgt", sagt Schoof.

Eine holländische Paprika im Hamburger Supermarkt ist rund 500 Kilometer weit gereist ehe sie im Regal liegt. "Unsere Stärke ist die Kundennähe", sagt Schoof. Vitarom - eine Wortschöpfung aus Vitamin und Aroma - verkauft seine Produkte regional. Was heute in Hemmingstedt geerntet wird, liegt morgen im Laden. Dafür hängt die Frucht zwei Tage länger an der Pflanze, "und das schmeckt man auch", beteuert Schoof.

Trotz des regionalen Bonus ziert das Dithmarscher Gemüse kein Bio-Siegel. Ein Grund dafür liegt in der Anbaumethode: Bio schreibt Erde vor. Wer auf Substrat züchtet, wird disqualifiziert. Auf Pestizid-Einsatz konnte Gärtnermeister Jens Kühn aber bisher verzichten.

Bei Schädlingsbefall schickt er lieber biologische Waffen ins Substrat-Feld: "Gegen die rote Spinne kämpfen gerade unsere Raubmilben und Raubwanzen", erklärt der Gärtner. Die Larven bestellt er in den Niederlanden. Wie auch einen Großteil der Technik und die Jungpflanzen. Selbst die Vorarbeiter kommen aus Holland: "Uns fehlen hier die qualifizierten Arbeitskräfte", sagt er.

Sollte mit der Paprika-Produktion einmal etwas schief gehen, baut Vitarom in einer zweiten Halle 95.000 Tomaten an. Ebenfalls mit Abwärme und computergefütterten Kulturrinnen. "Wir betreten mit der Paprika-Zucht Neuland", sagt Schoof, "die Tomaten sichern uns ab gegen Ernteausfall". "Wenns gut läuft, verdoppeln wir die Fläche in ein, zwei Jahren", ergänzt Kühn.

Trotzdem hält Schoof den Begriff Paprika-Fabrik für unglücklich gewählt: "Fabrik hat mit Maschinen zu tun, wir setzen auf Handarbeit - eigentlich sind wir eine Paprika-Manufaktur." Gärtnermeister Kühn kann den Vergleich wegen der Größe der Gewächshäuser verstehen. "Man muss sich eben der Zeit anpassen", kommentiert er Dimension und Methode des Anbaus. "Aber ein Kunstprodukt ist das sicher nicht. Wir machen hier keine Gen-Manipulation, wir schaffen den Pflanzen nur die Bedingungen, in denen sie sich am wohlsten fühlen", ergänzt Schoof während lautlose Stoffbahnen wie tausend Schlossgespenster den Himmel über ihm verdunkeln.

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