„Eher kontraproduktiv“

VORTRAG Eine lokale Bestandsaufnahme zum Armutsrisiko von Familien wird vorgestellt

■ 50, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Arbeit und Wirtschaft an der Uni Bremen.

taz: Frau Dingeldey, das klassische Familienmodell eines männlichen Alleinverdieners ist passé. In wie vielen Familien reicht es nicht mehr, wenn eineR allein arbeitet?

Irene Dingeldey: In Bremen lebt noch jede fünfte Familie nach dem Ein-Verdiener-Modell. Dieses Modell birgt allerdings erhebliche Armutsrisiken. Selbst elf Prozent der Vollzeiterwerbstätigen mit mittlerer Qualifikation wären arm, wenn sie ihre Familien allein mit ihrem Lohn versorgen müssten. Diese Armutsrisiken sind umso größer, wenn Frauen die Alleinverdiener sind. Sie erhalten nämlich oft niedrigere Löhne.

Was hat sich in den Familien verändert?

Das traditionelle Ernährermodell hat sich in ein modernisiertes gewandelt. Es gibt nicht mehr nur einen Alleinverdiener, sondern auch zusätzlich einen Partner, der in Teilzeit arbeitet. Allerdings bauen die meisten Familien noch darauf, dass das Haupteinkommen überwiegend vom Mann verdient wird und Frauen nur einen kleinen Teil dazu beitragen. Hintergrund sind die oft geringeren Löhne von Frauen.

Was kann die Bremer Politik zur Lösung da machen?

Auf kommunaler Ebene steht der Ausbau von Kinderbetreuungsstätten im Vordergrund, damit beide Partner arbeiten gehen können. Zudem ist das Engagement für die Einführung von Mindestlöhnen wichtig. Ziel der Tarifpolitik sollte es sein, die Differenz zwischen Männer- und Frauenlöhnen zu verringern.

Wäre es nicht sinnvoll, das Ehegatten-Splitting abzuschaffen?

Dies begünstigt das traditionelle Ernährermodell und ist für moderne Vorstellungen, der Gleichstellung beider Partner, eher kontraproduktiv. Zudem profitieren Besserverdienende von diesem System stärker als Geringverdiener und Familienformen jenseits der Ehe, wie zum Beispiel Alleinerziehende. Interview: Kim Neubauer

19 Uhr, Kultursaal der Arbeitnehmerkammer