Bürgerrechtler über Acta: "Ich hoffe auf Käse und das Parlament"

Das Acta-Abkommen betrifft Käsesorten ebenso wie die Frage, was man im Netz darf. Der Bürgerrechtler Jérémie Zimmermann kritisiert die Ergebnisse der Geheimniskrämerei der Unterhändler.

Werden durch Acta Provider zu Internetpolizisten? Bild: Illustration von Felix Gephart

taz: Herr Zimmermann, die neue Version des Acta-Abkommens ist veröffentlicht worden. Auf der einen Seite werden darin Markennamen wie Parmesan und Camembert geschützt, auf der anderen Seite werden Urheberrechtsverletzungen im Internet bekämpft. Wie passt das zusammen?

Jérémie Zimmermann: Das Abkommen stellt industrielle Fälschungen von Autoteilen oder DVDs auf die gleiche Stufe wie Filesharing zwischen zwei Individuen im Internet. Die Maßnahmen, die dagegen ergriffen werden sollen, sind übertrieben. Und könnten, wenn man damit Internetnutzer attackiert, riesige Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit haben - und auch auf die Privatsphäre der Nutzer.

Erklären Sie doch einmal: Was droht Internetnutzern in Europa konkret, wenn Acta so, wie es jetzt ausgehandelt wurde, umgesetzt wird?

Die Rechteinhaber - das heißt die Musik- und Filmindustrie - bekommt neue Werkzeuge an die Hand, mit denen sie Druck auf die Internet Service Provider ausüben können. Das betrifft Google, YouTube - aber auch die Firmen, die jeder von uns für seine Internetverbindung bezahlt. Sie sollen akzeptieren, Nutzern, die zu viel downloaden, den Internetanschluss zu kappen oder ihre Leitung langsamer zu machen. Oder Webseiten, die für Filesharing genutzt werden, zu blockieren.

Und wie sollen die Rechteinhaber die Internetanbieter dazu zwingen können?

Das Abkommen wird ein Druckmittel für die Unterhaltungsindustrie. Sie kann Internetanbieter drängen, Polizeiaufgaben zu übernehmen. Vorbei an juristischen Autoritäten und ohne die Möglichkeiten für einen fairen Prozess.

JÉRÉMIE ZIMMERMANN ist 32 Jahre alt. Er ist Mitbegründer und Sprecher der französischen Netzbürgerrechtsgruppe La Quadrature du Net, einer Vereinigung, die sich für Freiheit und Bürgerrechte im Internet einsetzt.

Inhalt: Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement soll eine Art Allzweckwaffe gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen werden - eine, die gegen gefälschte Markenshirts oder Gourmetprodukte vorgeht, aber eben auch gegen Filesharing via Internet.

Um all das in ein internationales Handelsabkommen einfließen zu lassen, treffen sich seit 2007 Vertreter aus den USA, der EU, Japan, Kanada und neun weiteren Ländern und verhandeln über den Vertragstext - unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Erst im März 2010 sickerte eine erste Vorabversion durch, weitere folgten. Ende September 2010 startete die 11. Verhandlungsrunde über das Abkommen in Tokio. Anfang Oktober wurde die dort ausgehandelte Version des Abkommens veröffentlicht.

Kritik: Vor allem Netzaktivisten fürchteten, dass das Abkommen rigide Kontrollmaßnahmen im Internet nach sich zieht.

Worin genau besteht denn die Gefahr? Früher haben Sie kritisiert, dass das Abkommen sogenannte "Three Strikes"-Regelungen einführen sollte: Wer wiederholt beim Filesharing erwischt wird, dem soll der Internetzugang gekappt werden. Das steht im aktuellsten Entwurf gar nicht mehr drin.

Es gibt in dem Vertragstext keine Verpflichtungen mehr, das umzusetzen. Aber die Existenz der strafrechtlichen Sanktionen erzeugt einen sehr hohen Druck auf die Provider. Und auf die Meinungsfreiheit per se.

Inwiefern?

Acta ist sehr viel mehr als ein normales Handelsabkommen, weil es neue strafrechtliche Sanktionen einführt. Das allein würde schon rechtfertigen, das gesamte Abkommen zu kippen - denn solche Zwangsmaßnahmen sollten nicht geheim verhandelt, sondern öffentlich und demokratisch debattiert werden. Dazu kommt, dass Acta diese Sanktionen dann vorsieht, wenn jemand bei Urheberrechtsverletzungen hilft oder dazu anstiftet. Damit kann großer Druck auf Internet Service Provider und Internet Access Provider ausgeübt werden: Entweder sie akzeptieren die Schritte gegen ihre Nutzer, die die Unterhaltungsindustrie von ihnen verlangt. Also beispielsweise das Filtern von bestimmten Inhalten. Oder sie riskieren, vor Gericht gezerrt zu werden beziehungsweise strafrechtliche Sanktionen. Da ist es einfach zu prognostizieren, dass sie wohl eher gegen die Nutzer vorgehen werden als Strafmaßnahmen zu provozieren.

Und sonst ist alles okay?

Nein. Laut den Artikeln 5 und 6 des Entwurfes soll ein Acta-Komitee eingerichtet werden, in dem Änderungen am Vertrag verhandelt und verabschiedet werden. Das heißt: Acta wird selbst zu einer Art Gesetzgeber. Nachdem zum Beispiel das Europäische Parlament das Abkommen akzeptiert haben wird, kann es vom Acta-Komitee dennoch modifiziert werden. Das bedeutet im Klartext: Wenn im Abkommen heute eine Passage drinsteht, die komplett harmlos erscheint, kann sich das schnell ändern. Jetzt heißt es zum Beispiel an einer Stelle: Behörden könnten Internet Service Provider zwingen, persönliche Daten ihrer Kunden an Rechteinhaber zu übermitteln. Wenn aus diesem "könnte" in Zukunft ein "muss" oder "soll" wird, ändert sich die gesamte Bedeutung. Darum ist das Ganze nicht akzeptabel. Ich denke, dass kein gewählter Repräsentant von irgendeiner Demokratie das tolerieren sollte.

Viele andere Acta-Kritiker wie der kanadische Wissenschaftler Michael Geist oder die US-Bürgerrechtsgruppe Public Knowledge finden den jüngsten Entwurf vergleichsweise harmlos. Sie sind einer der letzten wirklich scharfen Kritiker. Warum?

Der Text hat sich mit der Zeit verbessert. Aber ich teile den Optimismus derer, die sie gerade genannt haben, nicht. Meiner Ansicht nach hat sich Acta von sehr, sehr, sehr schlimm zu sehr, sehr schlimm entwickelt. Die Sprache in dem Abkommen ist vage, subtiler geworden und die meisten juristischen Bestimmungen sind rausgeflogen. Aber ich glaube, die Leute tappen damit in genau die Falle, die die Aushandler von Acta für sie ausgelegt haben: Natürlich haben sie auf ein paar Punkte verzichtet. Aber das ist natürlich gemacht worden, um den Widerstand gegen das Abkommen herunterzukühlen.

Vieles, was die Unterhaltungsindustrie gerne in das Acta-Abkommen eingefügt hätte, stand zwar in ersten Versionen des Vertragstextes, ist aber inzwischen gestrichen. Damit sind die Vertreter der Film- und Musikfirmen doch geschlagen, oder etwa nicht?

Nein, die sind komplett glücklich damit. Sie wollten mehr, aber sie sind glücklich. Für sie ist das ein wichtiger erster Schritt. 39 Länder dazu zu bringen, solche vagen Maßnahmen zu beschließen und ihnen so mächtige Werkzeuge an die Hand zu geben - das ist schon ein riesiger Sieg. Es gibt eine Pressemitteilung der Motion Picture Association of America, in der sie die jüngsten Fortschritte und das jetzige Ergebnis begrüßen.

An welchem Punkt der Verhandlungen befinden wir uns eigentlich? In Japan hat man sich zwar auf einen neuen Entwurf für das Acta-Abkommen geeinigt, fertig ist man aber noch nicht. Wird es eine weitere Verhandlungsrunde geben?

Nein. Sie haben versprochen, dass es keine weitere Verhandlungsrunde geben wird. Ich glaube, das liegt vor allem daran, dass die japanische Regierung gerne den Ruhm dafür einheimsen würde, dass das Abkommen bei ihnen verhandelt wurde. Sie würde Acta gern als Tokio-Agreement etikettieren.

So einfach ist das aber nicht. Es gibt zumindest noch ein paar Punkte, in denen man sich nicht einigen konnte.

Ein paar Punkte? Die wichtigste Frage von allen ist noch offen: Wie weit soll das Abkommen reichen? Es geht darum, ob geografische Markenbezeichnungen Teil des Abkommens werden oder nicht. Soll Acta also nun regeln, wann ein Käse sich Parmesan und Camembert nennen darf? Für die Europäer ist das ziemlich wichtig - aber die USA wollte davon noch nie etwas hören. Das ist ein wirklich großes Thema, dass noch ungeklärt ist. Und wir werden sehen, dass das dann im Rahmen von technischen Treffen und Telefonaten geklärt wird - aber ohne eine neue Verhandlungsrunde. Das zeigt einmal mehr, wie irre dieser ganze Prozess ist - wenn die Knackpunkte zwischen Ministerien ausgehandelt werden.

Nennen Sie den Prozess deshalb "Fälschung von Demokratie"?

Ja. Der gesamte Acta-Prozess ist darauf ausgerichtet, demokratische Parlamente und die öffentliche Meinung zu umgehen. Er enthält Bestimmungen, die sich einfach so verändern können, auch nachdem das Vertragswerk angenommen wurde - und so dauerhaft demokratische Prozesse umgeht. Wenn wir das einmal akzeptieren, bei einem so wichtigen Thema wie Zugang zum Internet, das eng mit freier Meinungsäußerung, Datenschutz und dem Recht auf faire Prozesse zusammenhängt, dann öffnen wir generell die Tür für solch ein undemokratisches Vorgehen.

Haben Sie den Eindruck, dass Sie das Abkommen zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr verhindern können?

Nein, natürlich nicht! Wir können eine Kampagne starten, damit das Europäische Parlament das gesamte Acta-Abkommen ablehnt. Und das bereiten wir schon seit Jahren vor. Es wäre ja denkbar, dass die EU aus dem gesamten Abkommen aussteigt, weil die geografischen Markenbezeichnungen ausgeklammert werden.

Dann ruht Ihre Hoffnung jetzt auf der Markenmacht der Hersteller von Parmesan und Camembert?

Ja, ich hoffe auf den Käse und auf das Europäischen Parlament.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.