: Schräge Töne an der Nalepastraße
Sting, A-ha und Nena arbeiten gern auf dem Ex-DDR-Rundfunkgelände. Vor kurzem kaufte es eine Firma aus Sachsen-Anhalt. Doch nun versucht der Senat, das rückgängig zu machen. Ein Besuch
VON CHRISTO FÖRSTER
Butter, Eier, Käse. Die nüchterne Werbung auf den verdreckten Scheiben des Flachbaus ist noch so gut zu erkennen, als wäre sie frisch aufgeklebt. Dabei ist es Jahrzehnte her. Der alte Konsum, der hier vor sich hingammelt, war einmal Teil einer Kleinstadt mit bis zu 5.000 Einwohnern. Alle haben sie für den DDR-Rundfunk gearbeitet: Tontechniker, Dirigenten, Moderatoren, Hausmeister. Das kollektive Herz der ostdeutschen Fernseh- und Radiolandschaft.
Anders als im Westen, wo Rundfunk Ländersache ist, wurden in der DDR die meisten Bilder und Töne zentral produziert und in den Äther gejagt. Hier, an der Nalepastraße, ganz weit draußen in Lichtenberg. Wo es früher vor Menschen wimmelte, wo man in der Mittagspause zum Friseur ging und nach Feierabend in die betriebseigene Sauna, da herrscht heute gespenstische Stille. Wie ein erschlagener Riese liegt das Gelände am Ufer der Spree. Zumindest vormittags. Einzig aus einem kleinen Aufnahmestudio im ersten Stock des Hauptgebäudes dringen ein paar Soundfetzen durch den langen, kalten Flur.
Michael Haves, Bassist, spielt mit zwei Bläsern Arrangements für das neue Album seiner Band „Super 700“ ein. „So tot, wie es um diese Zeit wirkt, ist das Gelände gar nicht. Musiker sind nur keine Frühaufsteher“, sagt Haves. Tatsächlich werden die unzähligen Studios und Säle immer noch genutzt: Das Sinfonieorchester Babelsberg ist fester Mieter, genauso wie das Musikunternehmen „planet roc“. Erst vor kurzem war Nena für Aufnahmen da, Sting und A-ha schätzen die ruhige Atmosphäre, die Black Eyed Peas schauen häufig vorbei, wenn sie in Berlin sind. Auch wenn Musikstars und Orchester die Akustik der Räume und die einzigartige Aura des Ost-Relikts preisen – der Betrieb des Geländes verursacht jeden Monat ein Minus von 100.000 Euro.
Eine Schlammschlacht ist ausgebrochen
Dieses Geld können und wollen die fünf neuen Bundesländer, in deren Besitz das Areal nach der Wende übergegangen ist, nicht mehr aufbringen. Das Liegenschafts- und Immobilienmanagement Sachsen-Anhalt bekam die Vollmacht, den Klotz am Bein zu verkaufen, und hat dies jetzt getan. Der Baumaschinenhersteller Bau und Praktik GmbH aus Jessen in Sachsen-Anhalt ist neuer Eigentümer. Oder besser: Er geht davon aus. Denn als der Verkauf vollzogen war, ist eine Schlammschlacht um das alte Gelände ausgebrochen.
Unter den Mietern geht die Angst um, sie könnten ihr Zuhause verlieren. Angesichts des geringen Verkaufspreises von 350.000 Euro werden erste Gerüchte über Vetternwirtschaft laut, und Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) setzt plötzlich alles daran, doch noch das Land Berlin als Eigentümer in das Grundbuch eintragen zu lassen. Von Seiten der Senatsverwaltung heißt es, man habe Sorge um die Erhaltung des Geländes als Medienstandort, schließlich sei der neue Käufer bisher nicht in der Medienbranche in Erscheinung getreten. Ein Sprecher von Wolf sagt, die Senatsverwaltung sei erst zwei Stunden vor dem Notartermin über den Verkauf informiert worden. „Da wurden wir überholt“, gibt er zu.
Mit dem Anteil von 8 Prozent, den das Land Berlin an dem Gelände hält, hätte ein Verkauf so oder so nicht verhindert werden können. Die Senatsverwaltung, die nach eigenen Angaben schon lange selbst an Plänen für eine standortgerechte Nutzung arbeitet, hätte einzig von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen können. Ob dieses Vorkaufsrecht nach dem nun vollzogenen Verkauf noch eingefordert werden kann, ist fraglich. Juristisch ist der Fall ein Novum, und dass Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) das nötige Geld lockermachen würde, unwahrscheinlich.
Norbert Felgner ist Objektleiter. Er wundert sich, dass das Land Berlin erst jetzt, wo es wohl zu spät ist, aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. „Wäre rechtzeitig investiert worden, hätte die ganze Panik verhindert werden können“, sagt er. „Und mir kann niemand erzählen, dass die Politiker nichts vom Zustand hier gewusst haben. Zu den Partys im Foyer sind sie wenigstens regelmäßig gekommen.“
Seit 31 Jahren arbeitet Felgner auf dem Rundfunk-Areal. Es ist sein Leben. In der Kleingartenkolonie direkt nebenan hat er eine kleine Laube. Wenn er dort am Wochenende hinfährt, schafft er es nie an der Einfahrt zum Rundfunk vorbei. Immer muss er abbiegen. Dann zuckelt er im Schritttempo die schmalen Wege zwischen den einzelnen Gebäuden entlang, steigt aus, um nach dem Rechten zu sehen, und schwelgt in Erinnerungen.
Felgner ist klar, dass endlich etwas passieren muss. Zwar wäre ihm wohler, wenn das Gelände in Länderhand bliebe, aber letztlich ist ihm der Erhalt der Aufnahmestudios und -säle am wichtigsten. „So etwas wie hier gibt es kein zweites Mal auf der Welt. Es wäre jammerschade, diese Einrichtungen einfach sich selbst zu überlassen“, sagt er.
Felgner hat sich mit dem Übergang in privates Eigentum abgefunden. Seit er kurz nach der Einstellung des regelmäßigen Sendebetriebs Anfang der 90er-Jahre die Leitung des Objekts übernahm, befindet er sich ständig in der Rolle des Vermittlers. Diesmal geht es unter anderem darum, die einzelnen Parteien auf eine Erhöhung der Mietpreise vorzubereiten. „Hier gibt es Bands, die zahlen für ein 250-Quadratmeter-Studio 50 Euro im Monat, weil nach der Wende unbedingt der Leerstand verhindert werden sollte. Das geht natürlich nicht ewig so weiter.“
Als Felgner feierlich die Tür zum großen Aufnahmesaal aufschließt, wird er für einen kurzen Moment ganz still. Andächtig setzt er sich in einen Klappsessel und lächelt ein Lächeln zwischen Wehmut, Stolz und Hoffnung. Dann steht er auf, schlurft durch den Raum und bleibt erst in der hintersten Ecke stehen. „Hören Sie das? Egal, wo man steht, egal wie laut man spricht, die Akustik in diesem Saal ist einfach phänomenal.“
Er hat Recht. Das weiß auch die Bau und Praktik GmbH, laut Vertrag die neue Eigentümerin. Das Unternehmen gibt sich in diesen Tagen viel Mühe, die Argumente seiner Gegner zu entkräften. Man wolle das Rundfunkgelände auch künftig als Medienstandort erhalten und habe der etablierten Industrie- und Markterschließungsfirma GoEast Invest, die für die Projektentwicklung zuständig ist, auch dieses Ziel vorgegeben. Wolf Hartmann, Vorstandsvorsitzender von GoEast Invest, sprach gestern noch einmal mit Vertretern der Senatsverwaltung, um erneut sein Konzept für die standortgerechte Nutzung vorzulegen, den Wirtschaftssenator von den guten Absichten des neuen Eigentümers zu überzeugen und die Querelen zu beenden. Der Weg zur Einigung ist mühsam.
Geldgeber aus Dubai sind interessiert
Als Norbert Fengler vor Wochen mit dem Käufer und potenziellen Investoren einen Rundgang über das Gelände machte, da war er schon ein bisschen verwundert. Geldgeber aus Dubai hatte er nicht erwartet. Aber GoEast Invest hat eben gute Kontakte in den Nahen und Mittleren Osten. Und Hauptsache, sein liebstes Kind, das längst in den Brunnen gefallen ist, kann wieder hochgezogen werden, bevor es ertrinkt. Dafür wird Fengler kämpfen und vermitteln. Die Hoffnung gibt er nicht auf.
Direkt neben dem heruntergekommenen Konsum-Gebäude, wo es einmal Eier, Butter und Käse gab, befindet sich die alte Milchbar. Fengler hat sie wieder hergerichtet. Nur er hat den Schlüssel zu diesem Mini-Museum. Zwischen 50er-Jahre-Stühlen und vergilbten Verdienstorden hat er hier in den letzten Jahren oft mit Freunden gefeiert. Von der mit Holz vertäfelten Wand starrt Erich Honecker. Er hat mal gesagt: „Aus unseren Betrieben ist noch viel mehr rauszuholen.“