Die Carpenters: When I was young

Der Sound des Easy Listening: Sie waren das erfolgreichste Softpopduo der 70er Jahre. Eine persönliche Annäherung an das Werk der Geschwister Karen und Richard Carpenter.

Carpenters-Plattencover. Bild: Universal Music

Die Fakten aus dem Privatleben von Popstars wirken fast immer banal, verglichen mit der Aura ihrer Plattenaufnahmen. In besonderem Maße gilt das für die Carpenters, die Band der beiden US-Geschwister Richard und Karen Carpenter. Leben und Image der Carpenters unterschieden sich fundamental von der mythenumrankten Aura eines Elvis, oder Michael Jackson. Außer über Karens Tod, im Zusammenhang mit ihrer Magersucht 1983, gab es während der bald 20-jährigen Karriere der Carpenters so gut wie keine Berichte über das Privatleben der beiden Geschwister.

Die Carpenters waren das "blitzsaubere" Spiegelbild der Mittelschicht, das sprichwörtliche Gesicht aus der Zahnpastawerbung. Über ein Jahrzehnt gehörten sie zu den bestverdienenden Popstars der USA; in jedem Haushalt gab es Exemplare ihrer Alben, und noch heute findet man sie gebraucht in den Secondhand-Plattenläden.

Karen Carpenter wäre dieses Jahr 60 Jahre alt geworden. Ihr älterer Bruder und Duopartner Richard lebt, inzwischen 64-jährig, nach wie vor im Süden Kaliforniens. Aufgewachsen in den Nachkriegsjahren in New Haven, Connecticut, zogen die Carpenters mit ihren Eltern 1963 in einen Vorort von Los Angeles.

Der Anfang: Die Carpenters gründeten sich 1968 in Los Angeles. Die Geschwister Richard (geboren 1946) und Karen (geboren 1950) erhielten im Jahr darauf ihren ersten Plattenvertrag bei der Firma A&M Records.

Der Sound: Namhafte Komponisten wie Burt Bacharach oder Roger Nichols halfen beim Songwriting des Carpenters-Markenzeichens: Easy Listening Sound, der vor allem auf weichgespülte Klänge von Piano und Streicherarrangements setzt und die markante Stimme von Karen betont.

Die Hits: Songs wie "Close to you" (1971) oder "Weve only just begun" (1970) blieben monatelang an der Spitze der Charts, die Carpenters waren das erfolgreichste Popduo der 70er Jahre.

Das Ende: Richard wurde abhängig von Beruhigungsmitteln, Karen erkrankte an Magersucht. Komplikationen im Zusammenhang damit führten am 4. Februar 1983 zu ihrem Tod.

Stimme der Kindheit

Als sie 1969 bei Herb Alperts A&M Records einen Plattenvertrag unterschrieben, war Karen gerade 19 Jahre alt. Ihre erste Single, die Platz 54 der US-Billboard-Charts erreichte, war eine Balladenversion des Beatles-Songs "Ticket to Ride". Im Sommer 1970 landeten sie mit der Ballade "Close to You" von Burt Bacharach in den USA zum ersten Mal auf Platz eins der Charts. Im selben Jahr setzten sie ihren Erfolg mit dem Hitsong "Weve Only Just Begun" fort. Bis heute gilt er als ihre Erkennungsmelodie. Viele weitere Alben und zahlreiche Hitsingles sollten bis zu Karens Tod folgen.

In meiner Kindheit hatte ich zwar ihre Songs mitgesummt, aber die waren für mich nichts als eingängige Melodien aus dem Radio. Doch 2003, kurz nachdem ich von New York nach Berlin gezogen war, sollte ich sie durch einen Freund neu kennenlernen.

Wir hörten zusammen seine Vier-CD-Compilation der Carpenters rauf und runter. Und während wir den Songs lauschten, fragte ich mich überrascht, wieso wir als schwule Männer eine solche Begeisterung für diese Stimme aus der Vergangenheit empfinden konnten. Mein Partner berichtete von einem Bekannten, der bei einem Carpenters-Fantreffen in England gewesen war. Und dass sich dort 2000 schwule Männer versammelt hätten, allesamt verrückt nach Karen Carpenter.

Vielleicht wäre es bei dieser Anekdote geblieben, hätte ich nicht noch eine Dokumentation über den britischen Autisten Daniel Tammet gesehen. Seine Geschichte rührte mich, und ich las seine Autobiografie. Darin beschreibt er, wie er sich die Zahl Pi auf 50.000 Stellen genau merken kann und welche Farben und Formen spontan vor seinem geistigen Auge entstehen, wenn er mit diesen Zahlenmengen jongliert. Ein Satz gegen Ende des Buches bestätigte meine Vermutung: Er beschrieb die einfachen Freuden des Lebens - im Garten arbeiten, ein Abendessen genießen und seine "Lieblingsband hören, die Carpenters".

Warum verlieben wir uns in eine Stimme unter vielen? Besteht unser Gehirn lediglich aus einem Netzwerk aus Pfeiftönen und Frequenzen, deren Echo wir überall heraushören wollen? Untersuchungen haben gezeigt, dass der Corpus callosum (der "Balken", der die linke und die rechte Hirnhemisphäre verbindet) bei schwulen Männern im Durchschnitt dichter und aktiver ist als bei ihren heterosexuellen Pendants. Aber erklärt das irgendetwas? Theoretisch kann es durchaus mehr weibliche als schwule Carpenters-Fans geben, vielleicht gehen diese Frauen schlicht nicht zu den Fantreffen.

Karen Carpenter klingt für mich wie eine alte Freundin. Gelegentlich ein bisschen zu fröhlich und nervös, fast nasal und zu sehr darauf bedacht, zu gefallen. Aber immer vertraut. Ich wundere mich, wie wohl mir ihre Stimme auf langen Flügen oder an einsamen Abenden in meinem Wohnzimmer tut. Karens Stimme ist oft als "seltsam körperlos" beschrieben worden. Sie scheint tatsächlich leicht über der Instrumentalbegleitung zu schweben. Das liegt zum einen am Produzententalent ihres Bruders, zum anderen an der Präzision ihrer Intonation. Nur in Ausnahmefällen wurde sie von Bläsern oder Streichern unterstützt, um etwaige Mängel zu kaschieren.

Alles am richtigen Platz

Es ist nicht nur die Wärme in Karens Altstimme, die die Carpenters so besonders macht. Es sind auch die zurückhaltenden Arrangements, der lässige Rhythmus, der niemals die Melodie erschlägt. Und es ist das Gefühl, alles befinde sich am richtigen Platz, etwas, was auch damit zu tun hat, dass Richard mit dem Oeuvre J. S. Bachs vertraut war.

Der queere US-Regisseur Todd Haynes hat mit Barbiepuppen den Film "Superstar - The Life of Karen Carpenter" über die Magersucht von Karen gedreht. Allerdings interessiert er sich darin weniger für ihre Musik, sondern benutzt Karen vielmehr als Symbol eines fehlgeleiteten Feminismus. Das ist in etwa so, als ob man einen Film über Frida Kahlos Wirbelsäulenverletzung drehen würde, ohne einen Blick auf ihre Gemälde zu werfen.

Wenn man die Carpenters als kulturelles Phänomen betrachtet, muss man auf die anhaltende Beliebtheit des Duos in Fernost verweisen. Nur wenige Popstars aus dem Westen sind dort so weit in den Äther vorgedrungen - und das will sowohl etwas über Sender als auch über Empfänger sagen. Einerseits wird die japanische Kultur von Sentimentalität beherrscht. Andererseits gibt es, ähnlich wie bei Magersüchtigen, eine Ablehnung der natürlichen Kurven des weiblichen Körpers - in Fernost das uralte Bestreben, den menschlichen Körper möglichst flach darzustellen (der Kimono hat den gegenteiligen Effekt des Dirndls) und die Dinge in ein perfektes Miniformat zu bringen. Man denke nur an das Bonsaibäumchen.

In Karens Stimme steckt eine seltsame Zweischneidigkeit. Obwohl sie in ihrem allerersten Hit, "Close to You", den Eindruck von Unschuld erweckt, ist ihr Tonfall nicht jugendlich oder süßlich. Tatsächlich lässt ihre Altstimme eine sehr viel ältere Sängerin vermuten. Aber wenn sie singt, fühlt man sich fortwährend an die Wunder der Kindheit erinnert; auch bei melancholischen Balladen klingt sie überzeugend, dennoch schwingt in der polierten Perfektion eine sonderbare Distanziertheit mit.

Keine von Karens Liebesaffären hielt lange. Abgesehen von den fortwährenden Tourneen verlief das Leben für sie ereignislos und enttäuschend. Und diese Kluft zwischen ihren echten Alltagssorgen und ihrer augenscheinlichen Begeisterung für die künstliche Welt des Aufnahmestudios entspricht im Kern dem Wesen einer Jazzsängerin.

Häufig ist auf den soziologischen Aspekt des Carpenters-Phänomens hingewiesen worden - ihre Popularität schien von Mitte bis Ende der 1970er Jahre gegen den vorherrschenden Trend des Mainstreamrock anzulaufen. Die Stücke von Karen und Richard erinnern eher an die Soulhits von Motown und den Barbershop-Gesang der 1950er Jahre. Richard Carpenter hat immer wieder bestritten, dass ihre Musik irgendetwas mit dem fahnenschwenkenden Patriotismus der US-Mittelschicht zu tun hätte. Er sprach sich einmal sogar für die Legalisierung von Marihuana aus.

Waren die Carpenters demnach ein Anachronismus in der Ära der sexuellen Befreiung? Waren sie tatsächlich der fade Sound der weißen Vorstadtkinder, während die Klänge im Radio immer schwärzer und funkiger wurden?

Vielleicht könnte man die Carpenters als den Schwanengesang der 1960er Jahre bezeichnen - sie sind die wahren Kinder nicht der Flower-Power-Bewegung, sondern des Nachkriegswohlstands der Mittelschicht. Was aus ihrer gesamten Diskografie heraussticht, ist die Befangenheit gegenüber Musik selbst. In vielen Texten und Songs klingt etwas an, was das simple Bedürfnis, Hits fürs Radio zu produzieren, übersteigt. Damit meine ich nicht etwa eine selbstironische Haltung, sondern vielmehr ein Bewusstsein von dem hohen Grad an Künstlichkeit in ihrer Kunst. Ihr Song "Yesterday Once More" beginnt mit der Zeile: "When I was young, I used to listen to the radio." Darin wird angedeutet, dass die Sängerin selbst auch eine Hörerin ist - oder vielmehr, dass der Star selbst auch ein Fan sein kann.

In Europa hätten die Carpenters mit ihrer Kunstfertigkeit vielleicht eine Karriere in der klassischen Musik eingeschlagen. Da ihre Geschichte allerdings in Los Angeles beginnt, wurde die Kunstfertigkeit benutzt, um gewinnbringendes Massenentertainment zu produzieren. Offenbar war es diese Konfrontation mit den hungrigen Augen der Massen, die zu Karens tragischem Tod führte.

Deshalb versuche ich, mir die Carpenters nicht zu oft anzuhören, weil ich Angst habe, ihr Glanz könnte eines Tages verblassen. Aber nach ein paar Monaten klingen sie wieder genauso perfekt wie früher.

Dank an David Rycraft für die Carpenters.

Aus dem Englischen von Harriet Fricke

Diesen Text finden Sie, zusammen mit viel anderem Lesefutter, auch in der aktuellen sonntaz vom 20./21.11.2010.

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