: Eine Frau fürs Grobe
GEWALT In Lina Wertmüllers Filmen geht es meist wüst und derb zu. Ihr Gespür für die Darstellung von Dominanz- und Unterwerfungslüsten beweist die Regisseurin besonders in „Liebe und Anarchie“
VON BARBARA SCHWEIZERHOF
Heute wäre das wohl der Name eines nostalgisierenden Cafés: „Liebe und Anarchie“. Lina Wertmüllers Film aus dem Jahre 1973 aber ist nichts für Menschen, denen es nach Kulinarischem gelüstet. Im Gegenteil, streckenweise ist „Liebe und Anarchie“ ein eher unappetitlicher Film, schließlich spielt er im von Mussolini beherrschten Italien der 30er Jahre – nicht gerade eine Zeit der feinen Sitten. Und so ist auch der Titel kein griffiger Slogan für Freiheit und Leidenschaft, sondern steht für eine sehr ernsthafte Betrachtung dieser beiden Phänomene und wie sie aufeinander einwirken, die Liebe und die Anarchie. Andererseits ist es natürlich eine Farce. Aber niemand vermochte Ernst und Farce mit so viel Sexappeal auf die Leinwand zu bringen wie eben „La Wertmüller“, die große italienische Regisseurin, in ihrer besten Zeit.
Dafür steht schon die frühe Szene, in der man einen kleinen Jungen auf dem Topf sitzen sieht. Er fragt seine Mutter laut: „Was ist das, ein Anarchist?“ Und sie antwortet: „Das ist einer, der Könige und Königinnen umbringt, Bomben wirft und mit einem Strick um dem Hals endet. Und jetzt sei still!“ Es handelt sich um eine Kindheitserinnerung des Bauern Antonio (Giancarlo Giannini). Er ruft sie sich beim Betrachten der Leiche seines Freundes Michele ins Gedächtnis, denn Michele ist als Anarchist von der Polizei erschossen worden. Er hatte Benito Mussolini umbringen wollen. Nun übernimmt Antonio diesen Auftrag.
So weit zur Anarchie. Die Liebe kommt ins Spiel, als Antonio in Rom bei seiner Verbindungsfrau Salomè (Mariangela Melato) eintrifft. Salomè, die zur Anarchistin wurde, nachdem Mussolini-Männer ihren Liebhaber vor ihren Augen totprügelten, arbeitet in einem Bordell. Antonio gibt sie dort als ihren Cousin aus. Ihr unbedingtes politisches Engagement besteht darin, dass sie alles für ihn bestens vorbereitet hat und ihm außerdem seine nunmehr angebrochenen letzten Tage versüßen will. In größter Beiläufigkeit bietet sie sich ihm dafür gar selbst an. Tonino lehnt nicht ab. Aber kurz darauf, beim turbulenten Abendessen im Kreis der „Mädchen“, die doch allesamt Frauen sind, treffen seine Augen auf die dunkel umrandeten von Tripolina (Lina Polito). Es ist Liebe auf den ersten Blick. An den Attentatsplänen aber will Antonio festhalten.
Lina Wertmüllers voller Name lautet Arcangela Felice Assunta Wertmüller von Elgg Español von Braueich. Geboren ist sie quasi als ganz feine Dame. Umso erstaunlicher, dass sie sich als Regisseurin den Ruf einer „Frau fürs Grobe“ zugelegt hat. Derb und wüst geht es in ihren Filmen oft zu, und es wird auch viel Derbes und Wüstes geredet, das aber in bestechend authentischer Form. Den Schauspieler Giancarlo Giannini hatte Wertmüller bereits 1972 für ihren „Mimi – in seiner Ehre gekränkt“ als Idealbesetzung einer bestimmten Männerfigur entdeckt. Mit seinen rötlichen Haaren und dem mit Sommersprossen übersäten Gesicht verkörpert Giannini oft den hässlichen, groben Mann, dessen Machoimage auf groteske Weise unterlaufen wird – bis hin zur Kläglichkeit. Aber gerade aus Letzterem erwächst manchmal auch unvermutete Zärtlichkeit. In „Liebe und Anarchie“ wirkt sein Antonio zuerst wie ein tumber Tor. Das ganze Bordell macht sich über sein Ungehobeltsein lustig. Aber Tripolina findet zu ihrem Erstaunen in ihm den raren Liebhaber, der sie achtet.
In einer tollen Sequenz kontrastiert Wertmüller die Machogrobheit eines Faschisten (gespielt von Eros Pagni) mit der des Anarchisten: Bei einem Nachtspaziergang auf dem Capitol liefern sie sich ein merkwürdiges Duell vor symbolträchtiger Architekturkulisse. Temperament und Leidenschaft treten gegen Pathos und Größenwahn an, und das vor der römischen Stadtkulisse, in deren Steinmonumente sich beides ausdrückt.
„Liebe und Anarchie“ belegt, welch besonderes Gespür Wertmüller für die Darstellung von Sex und Macht, Dominanz- und Unterwerfungslüsten besaß. Das Bordell zeigt sie im Übrigen, fast ohne den Voyeur im Kinozuschauer zu bedienen – mit dem ihr eigenen Sarkasmus lässt sie die Mädchen in einer Einlage alle Verführungsposen durchspielen, samt Augengeklappere und neckischem Brüsteentblößen. Die wahrhaft romantischen Szenen in diesem Film aber, egal ob politisch oder privat, kommen ohne solche Posen aus.
■ „Liebe und Anarchie“: 22./23. 2. um 20.15 Uhr im Regenbogenkino