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Archiv-Artikel

Martin Kippenberger, Multiplikator

AUSSTELLUNG Zu seinen Lebzeiten mag man mehr auf den Mann und weniger auf seine Kunst geguckt haben – im Hamburger Bahnhof konzentriert man sich nun bei der Martin-Kippenberger-Schau wirklich auf sein Werk

Man bekommt im Hin und Her zwischen den Gemälden, den Büchern, Platten und Zitaten einen in jeder Beziehung undidaktischen Hinweis auf die vormalerischen Einflüsse Kippenbergers in seiner Berliner Zeit

VON CORD RIECHELMANN

„Jung sein heißt, den Kippenberger so zu lassen, wie er ist“, hat Martin Kippenberger als noch junger Mensch in einer Bearbeitung von Songs von David Bowie geschrieben. Die handschriftlich notierte Version Kippenbergers zu Bowies Liedern klebt in der Ausstellung im Hamburger Bahnhof über den gedruckten Versionen der Songs vom „Hunky Dory“-Album, das David Bowie 1971 aufgenommen hatte. Die Platte war mit Songs wie „Life on Mars“ eine der wirkmächtigsten Referenzen für die Musik- und Kunstsubkulturen der frühen achtziger Jahre.

Knapp über Kippenbergers Zeilen zum Jungsein kann man in der Collage die ersten Zeilen aus Bowies „Eight Line Poem“ lesen, in denen es heißt: „The tactful cactus by your window / Surveys the prairie of your room“. Und dieser taktvoll das Zimmer überblickende Kaktus, von dem Bowie schon 1971 so singen konnte, wie es die Grünen nie mehr lernen werden, scheint mit seiner stacheligen Übersicht auch den Kuratoren der Ausstellung im Hamburger Bahnhof, Udo Kittelmann und Britta Schmitz, beigestanden zu haben.

Was hier im Hamburger Bahnhof nämlich zu sehen ist, ist eine Erzählung um Martin Kippenberger, zusammengestellt allein aus dem Werk Kippenbergers. Dabei ist es den Kuratoren gelungen, die Person Kippenberger, die zu Lebzeiten in ihrer dröhnend inszenierten Präsenz oft den Blick auf das Werk verstellte, so behutsam in den Hintergrund zu rücken, dass sie dem sogenannten Menschen nicht zu nahe kommen.

Kippenberger kommt nach Westberlin

Was dabei in einer erstaunlich frischen Form zum Vorschein kommt, ist der tiefe Ernst, mit dem Kippenberger seine Themen verfolgte und in den gegebenen Raum der Kunst hineinfunkte.

Funken ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen. Als er 1978 mit einer erheblichen Erbschaft im Gepäck von Hamburg nach Westberlin übersiedelt, kamen die entscheidenden Einflüsse für junge, kunstambitionierte Menschen aus der Musik. Punk war gerade in Westberlin angekommen, und Martin Kippenberger war einer ihrer Multiplikatoren.

Als Geschäftsführer im SO 36 organisierte er unter anderem Auftritte mit den Bands der Stunde, von Adam and the Ants, Kleenex, Red Crayola, Scritti Politti und Mittagspause. „Musik ist schön“, hat Kippenberger dazu notiert, und auf die Frage, wie es weitergehen soll, geantwortet: „Umso lauter, umso besser“.

Kippenberger mit dem „Tatort“-Kommissar

Aber auch der Krach konnte nicht verdecken, dass „Berlin neu gestrichen werden muss“, wie er verkündete. Beide Zitate finden sich im Hamburger Bahnhof unaufdringlich an die Wand geschrieben. Den jeweiligen Ausstellungsräumen ist immer ein Zitat Kippenbergers zugeordnet.

Um die Formel „Berlin muss neu gestrichen werden“ sind ein großformatiges Porträt des ehemaligen Schauspielers und „Tatort“-Kommissars Hansjörg Felmy und ein ebenso großes Selbstporträt gruppiert, das Kippenberger mit Fellkragenmantel unter dem Schriftzug „Souvenirs“ zwischen zwei Emblemen zum dreißigjährigen Jubiläum der DDR zeigt. In einer Vitrine mitten im Raum gibt es dazu eine Single Kippenbergers mit dem Titel „Luxus“, die er bei den S.O. 36 Records herausgebracht hat. Daneben liegt eine Ausgabe des Buchs „Vom Eindruck zum Ausdruck. Jahrhundert Kippenberger“, erschienen 1979 im Verlag Pikasso’s Erben.

Man bekommt im Hin und Her zwischen den Gemälden, den Büchern, Platten und Zitaten einen in jeder Beziehung undidaktischen Hinweis auf die vormalerischen Einflüsse Kippenbergers in seiner Berliner Zeit, die auch physisch spürbar werden.

So hat die Musikerin und Produzentin Gudrun Gut, Anfang der achtziger Jahre als Mitbegründerin von Bands wie Mania D, Malaria! und Matador eine der wichtigsten Musikerinnen überhaupt, 26 Songs von unter anderem DAF, David Bowie, Palais Schaumburg und Gotthilf Fischer ausgewählt, die dezent in einem Nebenraum zu hören sind.Toll ist dabei an diesen Songs, die in den Achtzigern sozusagen on the air waren und auch in Kippenbergers Körper gedrungen sind, zu hören, wie unterschiedlich sie gealtert sind. Während „Telephon“ von Palais Schaumburg tatsächlich zu einem alten Hut geworden ist, bleibt Red Crayolas „Coconut Hotel“ tausendmal lebendiger als jeder abgestandene Kokosnussmythos, wie ihn aktuell Christian Kracht aufgeschrieben hat.

Kippenberger in New York mit den Twin Towers

Zu Krachts blöder Deutschmythentümelei hat Kippenberger bereits eine gute Frage gestellt. „Welche Erinnerungen sollten wir uns nicht ins Gedächtnis rufen?“, lautet sie, und darunter hängt ein kleines Foto von Kippenberger in New York mit den Twin Towers im Hintergrund. Niemand wird die beiden Türme heute ohne Erinnerung an den Einsturz der Türme nach dem Flugzeugattentat ansehen, von dem Kippenberger, der 1997 im Alter von nur 44 Jahren in Wien gestorben ist, nichts wissen konnte.

In dieser kleinen, in der Ausstellung nebensächlich präsentierten Episode kommt ein Merkmal des Gesamtwerks Martin Kippenbergers zum Ausdruck, das seine Aktualität für eine noch längere Zeit sichern dürfte. Kippenberger ist weder der Herr seiner Erinnerungen noch der Meister seiner Werke. Es gibt für ihn keinen Grund, sich über das Elend der anderen zu erheben, dazu haben sich die Verhältnisse viel zu tief in ihn eingegraben. Oder andersherum gesprochen: hat er sich den Verhältnissen viel zu sehr ausgesetzt. Und die Verhältnisse, in und an denen er arbeitete, waren die des Kunstbetriebs.

Kippenberger und der Kunstbetrieb

Der Kunstbetrieb war dann auch der Grund seines Abschieds aus Berlin. „Lieber Maler male mir …“ hieß eine Ausstellung von, ja, Werner Kippenberger im Frühjahr 1981 in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Berlin, die zwölf großformatige Bilder zeigte, die im Auftrag Kippenbergers und nach seinen Vorlagen vom Kinoplakatmaler Werner angefertigt worden waren.

Zu der Zeit war Kippenberger aber schon auf dem Weg woandershin. „Der „Einer von Euch, unter Euch, mit Euch“-Kippy-M.-Kippenberger war nicht mehr in der Stadt. Er ging nach Paris, wo die Verbindung von Kunst und Geld damals realer war als in Westberlin. Und jetzt kommt auch die eigene Malerei mit teuren Ölfarben in sein Werk.

Nur lebt ein Werk trotz teurer Farben und überbordender Ideen nicht von diesem Brot allein. Ein Werk in der Kunst braucht Gegner in der Kunst, denn die Kunst ist, darin der Philosophie verwandt, ein Kampfplatz.

Und in der Wahl seiner Gegner hat Martin Kippenberger Glück. „Jeder Künstler ist ein Mensch“, ruft es von der Wand im ersten Saal im Hamburger Bahnhof, und darunter sieht man Kippenberger auf einem Plakat als Joseph Beuys im Schnee auf einer Rohrskulptur sitzen. „Der Kippenberger. Das Sahara- und Anti-Saharaprogramm 81/82“ hieß die Aktion. Neben dem Joseph-Beuys-Schriftzug sieht man noch den kleinen Aufdruck „wählt die Grünen“.

Kippenberger und der taktvolle Kaktus

Ein Akt, dem Kippenberger im Schnee nicht einmal mehr Ironie entgegenzusetzen hatte – so bescheuert fand er ihn schon zu einer Zeit, als die Grünen noch vor allem durch schlecht sitzende selbst gestrickte Pullover und Sonnenblumen auffielen. Es kann aber für einen taktvollen Kaktus nicht darum gehen, sich in Kämpfen mit schräg hängenden Sonnenblumen zu verzehren. Es muss einen Weg aus der Dialektik, aus der Gleichheit des sich Widersprechenden geben, sagt das Gesicht Kippenbergers auf dem Plakat auch. Und dieser Weg führt nur über das Material selbst, und das erste Material des Künstlers ist der Künstler, und deshalb muss die Hose runter.

Ganz buchstäblich und wie Kippenberger dann die Hose bis auf die Unterhose runtergelassen hat, dafür liefert diese Ausstellung im Hamburger Bahnhof eine erste Orientierung am Material seiner Kunst.