Kolumne Gerüchte: Intim. Anonym. Dunkel.

Psychothriller, Wanderstrecken, Kassler – jeder hat seine eigenen Rezepte gegen seelische Tiefs. Die Autorin verzehrt in solchen Zeiten am liebsten Mikrowellen-Essen.

Meine Freundin Britt hält von den Gerüchten zu "Burnouts" nicht viel, sondern erfindet eigene Heilmethoden. "Gegen seelische Tiefs", glaubt Britt, "helfen vor allem Wärme, Nähe, aber kein Sozialstress. Bin ich fest von überzeugt". Britt, handwerklich begabt, hat unsrer Freundin Suse zum 52. Geburtstag einen großen Plüschteddy, den sie auf der Kirmes gewonnen und umgebastelt hatte, geschenkt. Sie hatte den Teddy aufgeschnitten und eine Tasche für eine 1,8-Liter-Wärmflasche aus dem Drogeriemarkt darin eingenäht.

Suse war nicht beleidigt wegen des Geschenks. In Phasen großen Stresses - Suse arbeitet in einem mobbingträchtigen Sozialberuf - wirke das mit dem Teddy, erzählte sie mir. Sie liege dann abends im Bett, das wärmflaschengefüllte Kuscheltier an der Seite, und lese Thriller, in denen schwersttraumatisierte Menschen aus gruseligen Situationen herausfinden. "Irgendwie komme ich so bei mir an", erklärte Suse.

Mein Jugendfreund Winfried hält von der Wärmflaschenidee nicht viel. "Bewegung ist wichtiger", meint Winfried, der freiberuflich als Internethändler für Kunstgrafiken arbeitet und schon seit Jahren nur wenig mehr verdient als Hartz IV. Er wird von Existenzängsten geplagt, das wird mit den Jahren nicht besser, zumal jetzt auch noch ernste Bandscheibenprobleme hinzukommen.

Winfried hat sich seit kurzem angewöhnt, viele Strecken in der Stadt nicht mehr mit der U-Bahn zu fahren, sondern durch die Stadt zu wandern. Auch bei Sturm und Regen. Die Strecke vom Rathaus Neukölln bis zum Hackeschen Markt schafft er in einer Stunde und 45 Minuten. Spart auch Geld.

"Jeden Tag zwei Stunden laufen, und es geht dir gut", behauptet Winfried. "Die Bewegung, der Rhythmus, die Luft, das macht was mit deinem Hirn." Ich habe mal ausgerechnet, dass Winfried jeden Monat bis zu zehn Tagesetappen des Jakobsweges zurücklegt, rein bewegungstechnisch.

Von Sport hält meine Nachbarin Ulrike dagegen nicht sonderlich viel. Ulrike arbeitet als Bibliothekarin und hat derzeit mal wieder eine ihrer "düsteren Phasen", wie sie erzählt. Aber sie verfügt über ein Gegenmittel. Ihr Bruder hat ihr zum 40. Geburtstag eine Halbjahreskarte für die Kinos der Berliner Yorck-Gruppe geschenkt. Damit kann sie jetzt so viele Filme sehen, wie sie will. "Ich liebe dieses Dunkel im Kino", sagt Ulrike, "es ist intim, aber gleichzeitig anonym. Super."

Ulrike hat die fünfstündige Originalversion von "Carlos" durchgehalten, hat bereits zweimal den Film "Drei" gesehen, weiß einiges "Von Menschen und Göttern" und kennt "Das Labyrinth der Wörter". "Ich gehe gewissermaßen jeden zweiten Abend unter Leute", erzählt Ulrike fröhlich, "die Karte motiviert mich."

Ich selbst habe eine andere Methode zur Regression. Ich verzehre ein Fertiggericht mit Kassler und Sauerkraut aus der Mikrowelle. Anschließend haue ich mich aufs Bett und lege eine Folge der TV-Serie "Der Kommissar" ein. Nostalgie pur auf DVD.

Düstere Treppenhäuser, missgünstige Nachbarn, schuldbewusste Blicke, Schüsse. Fritz Wepper in jung. Erik Ode autoritär im Popelinemantel. Alles in Schwarz-Weiß, der Mief der späten sechziger Jahre. Damals war ich noch klein. Hätte früher nicht gedacht, dass ich heute damit wieder "bei mir" ankommen kann.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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