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Archiv-Artikel

Der Star als Opfer, der Detektiv als Mörder

SÜDAFRIKA Die Affäre um den Mord des Sportlers Oscar Pistorius an seiner Freundin wird zum Live-Krimi: Chefermittler Hilton Botha ist selbst des versuchten Mordes angeklagt

Südafrikas Polizei hat nicht den besten Ruf, wenn es um korrekte Sicherung von Beweismitteln geht

AUS JOHANNESBURG MARTINA SCHWIKOWSKI

Der spektakuläre Mordfall um den südafrikanischen Behindertensportchampion Oscar Pistorius hat eine dramatische Wendung genommen: Der zuständige Chefermittler der Polizei wurde am Donnerstagabend, nachdem die seit Dienstag laufende Verhandlung über den Antrag des Sportlers auf Freilassung gegen Kaution erneut vertagt wurde, abgesetzt. Der Grund: Er hat selbst sieben Mordanklagen gegen sich laufen.

Nach einer harten Befragung durch die Verteidiger des wegen vorsätzlichen Mordes an seiner Freundin Reeva Steenkamp angeklagten Pistorius machte Detektiv Hilton Botha am Donnerstag unschlüssige Aussagen im Zeugenstand. Es geht darum, dass Botha in betrunkenem Zustand aus einem Polizeiwagen bei einer Verfolgungsfahrt auf sieben Insassen in einem Mini-Bus-Taxi geschossen haben soll. Das liegt fast zwei Jahre zurück. Aber jetzt kommt ein scheinbar unglaubwürdiger Detektiv Pistorius’ Verteidigern gelegen. Botha soll im Mai wegen versuchten Mordes an den Taxi-Insassen vor Gericht gestellt werden.

Die Sache ist ein mittlerer Polizeiskandal: Die Polizei hat bestätigt, dass die Vorwürfe gegen Botha zunächst fallengelassen und nun wieder neu aufgenommen worden sind. Von wem, wann und warum, ist unklar. Aber auf jeden Fall hat Pistorius’ Team mit dieser Enthüllung einen Coup gelandet.

Ganz Südafrika verfolgt diese Gerichtsaffäre und den Sturz ihres gefeierten Sporthelden. Es gibt kaum einen Ort, an dem nicht darüber diskutiert wird. Im Geschäft an der Kasse, im Wartezimmer beim Arzt – jeder will die neuesten Entwicklungen wissen. Fernsehsender senden nonstop. Jeder hat eine Meinung und viele Menschen, besonders jüngere Leute, sind enttäuscht: Wie konnte Oscar, unser Idol, so tief sinken – unabhängig davon, ob er nun wirklich des vorsätzlichen Mordes schuldig ist oder nicht?

Der 26-jährige beinamputierte „Prothesenläufer“ war der Liebling von Südafrika. Bis er am Valentinstag in den frühen Morgenstunden seine Freundin Reeva Steenkamp erschoss, mit seiner eigenen Pistole in seinem Haus in einer luxuriösen Golfplatzsiedlung. Ein sicherer Ort für wohlhabende Leute. Nach eigenen Angaben hatte er die 30-Jährige für einen Einbrecher gehalten und sie aus Versehen mit vier Schüssen getroffen. Der Staatsanwalt spricht von Absicht. Steenkamp wurde im Badezimmer erschossen, vermutlich als sie auf der Toilette saß, von außen durch die Tür. Sie wurde am Dienstag in ihrer Heimatstadt Port Elizabeth beigesetzt.

Vor ihrem Tod hatte es den Ermittlungen von Hilton Botha zufolge lautstarke Auseinandersetzungen im Hause Pistorius gegeben. Doch der Detektiv konnte nicht genau sagen, ob die als Zeugen vernommenen Nachbarn 300 oder 600 Meter entfernt wohnen. Sie konnten auch die Stimmen nicht genau zuordnen.

Botha gab außerdem zu, er habe während der Untersuchung des Tatorts nicht die vorgeschriebenen Schutzhüllen für seine Schuhe getragen. Mit jedem Tag tauchen neue Ungereimtheiten auf. Pistorius’ Verteidiger sagen, dass es sich bei den in seinem Schlafzimmer gefundenen Testosteron-Schachteln und Spritzen um harmlose Substanzen handele, nicht um illegale Drogen. Polizist Botha gab daraufhin im Gericht am Mittwoch zu, dass er die Aufschrift der Schachteln nicht vollständig gelesen hätte. Heraus kam aber auch, dass er und sein Team eine Gewehrkugel nicht entdeckt hatten, die in der Toilettenschüssel steckte und daher Aufschlüsse über die Schussrichtung geben müsste. Verteidiger Barry Roux machte gestern deutlich: „Es gibt keinen Beweis, dass Pistorius wusste, dass seine Freundin in der Toilette war. Es gibt keine Beweise für einen Mord.“

Südafrikas Polizei hat nicht den besten Ruf, wenn es um korrekte Arbeit und die Sicherung von Beweismitteln geht. In diesem Fall könnte das entscheidende Konsequenzen haben. Dennoch: Zunächst trifft die Affäre Pistorius selbst und sein Image. Der Star, von dem sich täglich mehr Sponsoren distanzieren, verliert nicht nur Millionen durch den Verlust seiner Verträge, sondern auch die Zuneigung seiner Fans. Bei den bisherigen vier Verhandlungstagen brach Pistorius häufig weinend zusammen, seine Familie sitzt direkt hinter ihm und unterstützt ihn. Oft mit einer Hand auf seiner Schulter, wenn er sich kaum halten kann. Der junge Star mit dem charmanten Auftreten hat sein Behindertendasein,wie er sagt, als Chance ergriffen, um sich zu beweisen. Jetzt kommt es auf die Beweise vor Gericht an, ob er erneut eine Chance hat.