Nach der Wahl: Wie Weihnachten, irgendwie

Bei der CDU macht nicht nur der Spitzenkandidat ein langes Gesicht, auch bei der GAL hält sich die Freude in Grenzen. Für Linkspartei und FDP, vor allem aber für die Basis der demnächst wohl allein regierenden SPD wird der Wahl- ein sehr schöner Abend.

Tief gesunken und fremd geblieben bei Partei und Wählern: Der Spitzenkandidat der CDU, Christoph Ahlhaus mit seiner Ehefrau Simone. Bild: dapd

HAMBURG taz | Wahlparty 2011 bei der Hamburger CDU, das ist wie Weihnachten in einer Familie, deren Mitglieder sich fremd geworden sind. Alle wissen, dass an der Veranstaltung kein Weg vorbeiführt. Die Frage ist, wie man den Abend ohne größeren Ärger rumbringt. Die Antwort ist: viel Essen. Und dann vor den Fernseher.

Als um Punkt 18 Uhr im Festsaal des Hotels Grand Elysée die wandfüllende TV-Leinwand eingeschaltet wird, ist ein Großteil der Christdemokraten gerade mit der Currywurst beschäftigt oder auch mit der Spinatquiche mit Senfei. Ohne Vorwarnung bekommt die Partei-Basis die Prognose von 20,5 Prozent um die Ohren gehauen. Vereinzeltes Stöhnen. Und viele fragende Blicke. Prognose? Muss man die ernst nehmen?

Man muss. Um 18.15 Uhr betritt außerplanmäßig Spitzenkandidat Christoph Ahlhaus den Saal und geht auf die Bühne. Verhaltener Applaus. Ahlhaus ist gekommen, weil es dann doch so katastrophal aussieht. Der Minusrekord von 1993 liegt bei 25,1 Prozent. Ahlhaus hat eine Rede vorbereitet, die er abliest. Er weiß nicht, wie er die Basis ansprechen soll. Siezen oder Duzen? "Es ist mir eine Herzensangelegenheit, angesichts dieses Wahlergebnisses zuerst zu Ihnen, zu Euch zu kommen. Ich will mich bei Ihnen, bei Euch bedanken."

Ahlhaus kündigt an, dass er sein Bürgerschaftsmandat annehmen werde. Bei der Basis macht das keinen Eindruck. Ein Sinnbild dafür, wie verwurzelt Ahlhaus in der Hamburger CDU ist, liefert der schwarze Kleinbus, der vor dem Hoteleingang steht. "Team Ahlhaus" steht auf dem Bus. Auf dem Kennzeichen steht WOB - Wolfsburg.

Parteichef Frank Schira hat ein ähnliches Problem, wird im Gegensatz zu Ahlhaus aber leidenschaftlich in seiner Rede. "Man kann und darf nach so einem Ergebnis nicht weitermachen wie bisher", ruft er in den Saal. "Man muss sich auch selbst prüfen." Dass man nicht an Stühlen kleben dürfe, sagt Schira auch und dass jetzt die gesamte Partei entscheiden müsse, wie es personell weitergeht. Das gefällt der Basis.

Am Ende winkt Schira unter Applaus in den Saal und man weiß nicht recht, ist es ein Abschiedswinken oder soll es Aufbruch signalisieren. Schira entschließt sich spontan, durch den Saal zu gehen, Parteifreunde umarmen. Da ist der Applaus längst verstummt. Bei der Hamburger CDU wird an diesem Abend nicht aufgebrochen. Sondern Abschied genommen.

Kein Freibier bei der SPD

Es ist brechend voll. Aus allen Richtungen strömen Besucher kurz vor 18 Uhr zur Altonaer Fabrik, um zwischen Kamera-Kabeln die ersten Prognosen abzuwarten. "Ich glaub nicht, dass es so hoch wird", sagt ein junger SPDler. Seine Eltern sind auch nicht wählen gegangen. "Alles viel zu kompliziert".

Dann um Punkt 18 Uhr die Prognosebalken auf der Leinwand. Frenetischer Jubel. 20,5 Prozent CDU, 49,5 Prozent SPD. Dicht an dicht stehen die Genossen und Genossinnen und warten auf Olaf Scholz, der diesen Moment um die Ecke zu Hause war. Viele sehr jung, viele stolz mit rotem Schal, die meisten mit Bier in der Hand.

"Fehlt nur noch die eins vorne bei der CDU", witzelt ein glücklicher Juso. Alleinregierung fände er gut. "Dann gibt es keinen Zickenkrieg um Stadtbahn und Elbvertiefung." Auch mit mehr Posten sei zu rechnen. Gibt es mehr SPD-Senatoren, rücken für die mehr Kandidaten in die Bürgerschaft nach, die "Mitarbeiter brauchen".

Aber es gibt auch Zurückhaltung. Der Ex-Parteichef Mathias Petersen spricht von einem Vertrauensvorschuss, "da müssen wir ordentlich was tun, um den zu halten". Ein junger SPDler befürchtet neuen roten Filz. "Ist nicht gut, wenn eine Partei alleine regiert. Die Hamburger SPD ist zu versaut."

Dann ertönen "Olaf, Olaf"-Rufe vom Eingang her. Der kleine Mann ist im Kreis der großen Kameraleute nicht zu sehen, bis er vorn neben seiner Frau Britta Ernst auf der Bühne steht. Spricht von einem "sehr, sehr" guten Ergebnis, und dass die SPD all das halten wird, was sie vor der Wahl versprach. "An die Arbeit", endet Scholz kurze Rede.

Die 20-Uhr-Hochrechnung bestätigt den Trend. 64 von 121 Sitzen für die SPD. Er wäre schon enttäuscht, wenn die Grünen nicht mitregieren, sagt ein Zuschauer von der Tribüne. "Bäumefällen und solche Sachen, da passen die besser auf."

Grünes Grauen bei der GAL

Alles so stimmig, am Anfang. Die GAL hat zu ihrer Wahlparty in den Ballsaal des Millerntorstadions geladen, mit Blick auf das satte Grün des Rasens. Grün auch die Tischdecken der Stehtische, an denen hier und da Menschen in grünen Pullovern oder grünen Schals stehen, im grünen Licht von Scheinwerfern.

Dann aber 18 Uhr, die erste Prognose, ein kurzer Augenblick, wo gar nichts mehr stimmt, und nur der flammende Sonnenuntergang im Westen, den hier keiner sieht, schön anzusehen ist. Das Stimmenthermometer auf den Bildschirmen rings um im Saal klettert und klettert, die SPD, o weh, o weh.

Ein kurzes, freudiges Aufatmen, als die CDU in den Keller sackt, aber dann ist die GAL dran: Ein paar Hände gehen in die Höhe, aber nur so weit, während der Balken bei elf Prozent stehen bleibt, dass sie offene Münder deckeln. Ansonsten gehts bergab, "Scheiße", stöhnen einige, und für einen Augenblick sind nur drei Gesichtsausdrücke im Saal zu sehen: Lang, länger, am längsten.

Aber wie das mit der Wahrheit ist: Sie blitzt nur einmal kurz und klar auf - und wird danach gleich wieder verwischt. Den Rest des Abends teilt sich der Saal in zwei Lager. Die einen sagen: Es ist eine tüchtige Packung, eine Quittung. Schließlich läge die GAL bundesweit irgendwo bei 20 Prozent.

Für die anderen spricht später der stellvertretende Landesvorsitzende Anjes Tjarks auf der Bühne: Er sagt, es gibt noch Hoffnung, schließlich war das erst eine Prognose. Und er sagt: "Wir haben eineinhalb Prozent zugelegt." Nachdem diese Worte in der Stille verhallen, rätselt er: "Hier gibt es offenbar ein Mikrophon-Problem." Nein, ruft einer aus den hinteren Reihen: "Hier gibt es ein Prozent-Problem." Ungerührt versucht Tjarks es noch mal: "Wir haben in einer schwierigen Lage zugelegt" - und nun begreift ein Teil der Basis die Botschaft und klatscht, verhalten.

Andere sind dessen ungeachtet auf der Weg zur Bar. "Komm", sagt ein Mann zu seiner Begleitung, "wir brauchen erst mal Drogen." Denn grün zu sein geht bei diesem Grauen wohl am leichtesten noch blau.

Linke Erleichterung

Es herrscht eine gelöste Stimmung, als am Wahlabend im Tiefgeschoss des Altonaer Museums, das vor Kurzem noch auf der schwarz-grünen Abschussliste stand, unter Gallionsfiguren ehemaliger Segler, die Prognose für die Linkspartei bekannt gegeben wird.

"Ohne uns schnappt Scholz noch über", steht auf Postkarten auf den Stehtischen. "Jaaaah!", grölt plötzlich die Menge. Entgegen aller Prognosen soll die Linke mit sieben Prozent wieder in die Hamburgische Bürgerschaft einziehen. Und das, obwohl die Medien die Partei in den letzten Tagen eher draußen sahen.

"Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen", sagt ein Wahlkampfhelfer an die Adresse auswärtiger Unterstützer. "Ihr habt uns den Arsch gerettet." Die Unterstützerin aus Baden-Württemberg bestätigt: "In Hamburg weht manchmal ein harter Wind".

Dennoch herrscht auch ein wenig Missstimmung. Die absolute SPD-Mehrheit stößt auf Unverständnis. "Das gibt uns für die nächsten Jahre den Drive", sagt der Bürgerschaftsabgeordnete Norbert Hackbusch. "Das ist eine völlige Klatsche für die GAL", sagt ein anderer. Ein Linker schüttelt aus Unverständnis den Kopf. "Dass die FDP reingekommen ist, versteh ich nicht." Aber eines ist sicher: Die Linkspartei ist weiter im Parlament.

FDP: Gefeiert wird später

Das Ergebnis ist offiziell noch nicht da, als um kurz vor sechs die FDP-Spitze bereits Siegerbilder inszeniert. Es sind mehr Journalisten als Freidemokraten gekommen zur liberalen Wahlparty im "ElbKontor" in der Nähe des Baumwalls. Sie verteilen sich über die hinteren Stuhlreihen. Spitzenkandidatin Katja Suding bittet sie, nach vorne zu rücken, zur Bühne. Der Pressesprecher verteilt Jubelschilder für die kurze Ansprache. "KatJA" steht drauf, wie auf den vielen Plakaten.

"Die Prognose ist wirklich sehr, sehr gut", sagt Suding dann um kurz nach sechs, und die Anwesenden recken die verteilten Jubelschilder in die Höhe. "Es sieht so aus, dass wir es nach sieben Jahren endlich geschafft haben", sagt Suding auch noch. Dann entschwindet sie ins Wahlzentrum im CCH.

Man ist glücklich über den Einzug ins Parlament - und kaum betrübt wegen Scholz möglicher Alleinregierung. "Das ist mir lieber als Rot-Grün", sagt Fritz Ohnesorge, ein Schild in der Hand. Das sieht auch Anna von Treuenfels so. Die einstige Kampagnen-Leiterin von "Wir wollen lernen", Listenplatz vier, ist wohl bald Abgeordnete: "Wir wollen jetzt eine starke bürgerliche Partei und Korrektiv sein."

Eine gute Stunde später hat sich die Party dann auch gefüllt mit feierwilligen Freidemokraten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.