Stadtumbau in Prenzlauer Berg: Gut bestuckt

Das Bötzowviertel in Prenzlauer Berg ist seit 1995 öffentlich gefördertes Sanierungsgebiet. Im April läuft das Programm aus. Die Straßen sind hübsch, die Mieten hoch. Turnhallen oder ein Jugendclub fehlen.

Aus alt mach neu: Prenzlauer Berg wird immer schicker. Bild: dapd

Die grauen Fassaden, von denen der Putz bröckelte, sind längst verschwunden. Hell leuchten die stuckverzierten Hauswände der Hufelandstraße. Unter den neuen Dachziegeln liegen frisch ausgebaute Dachgeschosswohnungen. Statt Einschusslöchern gibt es Graffitis, statt Schlaglöchern verkehrsberuhigende Gehwegvorstreckungen. Für die einen ist das Bötzowviertel in Prenzlauer Berg das Paradebeispiel für Gentrifizierung; für die anderen einfach nur ein sehr erfolgreiches Sanierungsgebiet.

Denn diese flächendeckende Modernisierung ist weder Zufall noch Selbstläufer, sondern die Folge einer politischen Entscheidung des Berliner Senats. Zu Beginn der 1990er Jahre hatte dieser beschlossen, einzelne Viertel vor allem im Osten der Stadt zu Sanierungsgebieten zu erklären und diese mit entsprechender finanzieller Förderung aufzuwerten. 22 gab es davon in ganz Berlin, in 15 davon ist die Sanierung mittlerweile abgeschlossen. Das Sanierungsgebiet Bötzowstraße zwischen Danziger, Greifswalder und Bötzowstraße gehört zu den verbliebenen sieben. Im April soll es nun diesen Sonderstatus verlieren.

"Etwa 50 Millionen Euro sind in den vergangenen 16 Jahren in das Gebiet geflossen", sagt Mathias Gille, Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Zwei Drittel des Wohnungsbestandes seien in der Zeit modernisiert, die Häuser an das Fernwärmenetz angeschlossen und die soziale Infrastruktur in Form von Schulen, Kitas und Spielplätzen ausgebaut und saniert worden. Zudem wären Baulücken geschlossen worden und so über 200 neue Wohnungen entstanden, etwa die Town Houses auf dem Gelände der ehemaligen Schweizer Gärten. "Die städtebaulichen Missstände wurden beseitigt, weitere Investitionen darüber hinaus können wir nun nicht mehr rechtfertigen. Wir wollen aus dem Viertel schließlich kein Zehlendorf machen", sagt Gille.

Die Studie: Die Bevölkerung von Prenzlauer Berg seit 1989 komplett gewechselt, heißt es gern. Aber stimmt das auch? Die Asum GmbH hat ermittelt, wo die heutigen Haushalte im Bötzowviertel vor der Wende ihr Heim hatten:

Im Kiez: 14 Prozent.

Im Rest von Prenzlauer Berg:

15 Prozent.

Im Rest von Ostberlin:

25 Prozent.

In Westberlin: 16 Prozent.

In Westdeutschland:

20 Prozent.

In Ostdeutschland: 6 Prozent.

Im Ausland: 3 Prozent.

Dabei ist es gerade das, was viele an der Entwicklung der Sanierungsgebiete, zu denen einst auch der Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg oder die Rosenthaler Vorstadt in Mitte zählten, kritisieren: Die "Zehlendorfisierung" der Altbauquartiere im Stadtzentrum, von Stadtsoziologen Gentrifizierung genannt und stets mit einem negativen Beigeschmack daherkommend. Denn mit den Sanierungen steigen die Mieten, die bald fast nur noch gut ausgebildete und ebenso verdienende Zugezogene bezahlen können. Deshalb wird nach und nach die sozial meist schwächer gestellte ursprüngliche Bevölkerung verdrängt - so zumindest die Theorie.

Inwieweit sich diese auf den Bötzowkiez übertragen lässt, zeigt ein Blick in eine Sozialstudie vom September des letzten Jahres. Die Asum GmbH für Angewandte Sozialforschung und urbanes Management hat diese im Auftrag des Senats und der Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung S.T.E.R.N., die die Sanierungen in den Gebieten koordiniert, angefertigt, um nach 16 Jahren Förderung ein Fazit ziehen zu können. Tatsächlich haben die Mieten im Viertel stark angezogen und liegen mittlerweile mit einer durchschnittlichen Nettokaltmiete von 5,66 Euro pro Quadratmeter fast einen Euro über dem Berliner Mietspiegel. Bei Neuvermietungen werden sogar mehr als 8 Euro fällig - sowohl bei sanierten wie unsanierten Wohnungen.

Auch das mittlere Haushaltseinkommen ist seit 1997 folgerichtig um fast 50 Prozent auf rund 2.000 Euro gestiegen. Zum einen, weil Menschen mit geringem Einkommen von Zugezogenen mit höheren Einkünften verdrängt wurden. Zum anderen, weil auch zahlreiche Stammbewohner mittlerweile mehr verdienen. Unter anderem, weil die einstigen Studenten nun berufstätig sind.

Was jedoch überrascht, ist die Tatsache, dass von den heutigen Haushalten des Gebiets bereits vor der Wende 14 Prozent im Kiez lebten - über die Hälfte der Haushalte besteht aus alteingesessenen Ost-Berlinern. Nur rund ein Fünftel der heutigen Bewohner des Sanierungsgebiets Bötzowstraße hat seine Wurzeln in den alten Bundesländern (siehe Kasten). Das Klischee der gentrifizierten Schwaben-Hochburg wird damit zumindest zum Teil widerlegt.

Einer, der schon seit 1975 im Bötzowviertel lebt, ist Klaus Lemmnitz. Der Sprecher der Betroffenenvertretung Bötzowviertel hat viel miterlebt in seinem Kiez und sieht gerade den Aspekt der Verdrängung eher kritisch. "Die Bevölkerungsstruktur heute ist alles andere als normal", meint er.

Dennoch begrüßt er die Verbesserung der Infrastruktur und setzt sich dafür ein, dass hier die Veränderungen noch weitergehen. "Mehrmals wurden die Sanierungsziele in der Vergangenheit bereits reduziert." So gebe es bei Schulen weiterhin bauliche Defizite, zwei Turnhallen müssten noch errichtet werden. Ein Jugendclub fehle dem Viertel ebenso wie ein Nachbarschaftstreff. Zudem stelle nur der Status als Sanierungsgebiet sicher, dass die Bewohner in Entscheidungen, wie ihr Umfeld gestaltet werde, einbezogen würden. "Um mindestens drei Jahre sollte die Förderung verlängert werden", fordert Lemmnitz. Nach einer Einwohnerversammlung Anfang Februar habe man eine entsprechende Petition ans Abgeordnetenhaus gesandt.

Dass diesen Wünschen entsprochen wird, ist jedoch unwahrscheinlich, wie sowohl Senatssprecher Gille als auch Stephanie Stern von S.T.E.R.N sagen. "Man muss das im Kontext der gesamten Stadt sehen, in der es auch andere Gebiete mit einem sehr dringenden Handlungsbedarf gibt", meint Stern. Man habe das Viertel zum Sanierungsgebiet erklärt, um städtebauliche Missstände und Funktionsschwächen zu beseitigen. Dieses sei erfolgt und die wesentlichen Sanierungsziele damit erreicht. "Indem der Sonderstatus aufgehoben wird, kehrt das Gebiet zur Normalität zurück."

Wenn ab April Erneuerungen der öffentlichen Infrastruktur anstehen, muss auf die Regeltöpfe des Senats und des Bezirks zurückgegriffen werden. Sanierungsgelder stehen dann nicht mehr zur Verfügung. Zudem fallen die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten für private Hausbesitzer weg, mit denen diesen bisher die Sanierungsaktivitäten schmackhaft gemacht wurden. Stattdessen kommt für sie die Zeit der Rückzahlungen, im Fachjargon Ausgleichbeträge genannt.

Nach einem komplizierten Verfahren wird dazu errechnet, welche Wertsteigerung die jeweilige Immobilie durch die Sanierung auch ihres Umfeldes erfahren hat. Schließlich steigen nicht nur die Mieten, sondern auch der Preis für Haus und Grundstück, wenn dieses nicht länger in einem heruntergekommenen Stadtviertel steht. Dieser Gewinn wird den Besitzern dann anteilig in Rechnung gestellt.

Etwa 11 Millionen Euro sollen so an den Senat zurückfließen, sagt Gille. Ein Fünftel der Investitionen werde damit gedeckt. "Dieses Geld stecken wir dann in die verbliebenen Sanierungsgebiete", erklärt er. Und wenn das letzte Gebiet aus der Sanierung entlassen wurde und die Ausgleichszahlungen für dieses eintrudeln? "Dann schmeiße ich davon gerne eine große Party am Brandenburger Tor."

Bis dahin muss man sich jedoch ein wenig gedulden. Zwar sollen 2012 die letzten der ursprünglich 22 Gebiete den Status als Sanierungsgebiet verlieren, darunter der Helmholtzplatz und der Teutoburger Platz in Prenzlauer Berg sowie Niederschöneweide in Treptow-Köpenick. Dafür kommen noch in diesem Jahr sieben neue dazu, darunter die Neuköllner Karl-Marx-Straße sowie die Müllerstraße und die Turmstraße in Wedding. Bei den 1,87 Milliarden Euro, die der Senat bislang in die Stadterneuerung investiert hat, wird es also nicht bleiben.

Im Bötzowkiez sollen sich derweil die Anwohner nicht zu viele Sorgen machen, dass mit der Aberkennung des Sonderstatus die alten Zustände wiederkehrten. "Alle Projekte, die bereits angeschoben wurden, werden finanziert und umgesetzt - auch über die Aufhebung des Sanierungsstatus hinaus", sagt Stephanie Stern von S.T.E.R.N. Darüber hinaus werde natürlich auch in Zukunft Geld in die öffentliche Infrastruktur des Kiezes fließen - nur eben nicht mehr aus Sanierungstöpfen. "Eine Anschubfinanzierung ist erfolgt, nun kann das Gebiet alleine laufen."

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