Wer die Stadt neu prägt

ANLAUFSTELLE Zugezogene beobachten Zugezogene – das ist ein Thema des Festivals „Expat Expo“, mit dem Daniel Brunet den neuen Weg für das English Theatre Berlin sucht

VON SIMONE KAEMPF

Die Regisseurin stammt aus Israel, die Schauspielerin aus Russland, die Tänzerin ist Tschechin, die Dramaturgin Portugiesin. „Pieces“ heißt ihr Stück, mit drei Koffern auf der Bühne und viel Text, der sich um Identität, Lebensentscheidungen und das Gefühl des Zuhauseseins dreht. Ein Gefühl jedenfalls, dem am Ende die Tänzerin in immer weiter ausholenden Bewegungen Ausdruck verleiht, ein wenig Berauschung am Augenblick, bevor die Show nach einer konzentrierten knappen Stunde vorbei ist.

Die drei Performerinnen kamen vor zwei Jahren erstmals in Prag zusammen, derzeit leben sie in Berlin. Geht es nach Daniel Brunet, der sie für einen Auftritt ans English Theatre geholt hat, soll das Haus jungen internationalen Künstlern, die es nach Berlin zieht, einen Treffpunkt bieten. „Diese Community ist groß, aber es fehlt eine Anlaufstelle.“ In die Profile der Berliner freien Szene würden sie noch nicht passen, zumal die Sprache oft eine Barriere sei, beschreibt es der 33-jährige gebürtige New Yorker, der seit Anfang dieses Jahres als Producing Artistic Director fest zum English Theatre gehört. Er zielt mit einer Neuausrichtung in diese Lücke.

Seit 2007 teilt sich das Theater die Spielstätte in der Kreuzberger Fidicinstraße mit dem Theater Thikwa. Wäre da nicht der aus der Zeit gefallene Hinterhofcharme, könnte man sich den Ort wie einen Co-Working-Space vorstellen, in dem junge Kreative zusammenkommen. Die Treffpunktidee ist für Brunet jedenfalls wichtig, sogar ein richtiges Bedürfnis.

Mehr Spaß als zu Hause

Das Wort Expat bezeichnet Migranten, die nicht aus politischen oder sozialen Gründen ihr Heimatland verlassen haben, sondern zur Selbstverwirklichung, um Karriere zu machen oder weil sie etwa in Berlin mehr Spaß haben können. Brunet mag den Begriff nur augenzwinkernd verwenden, doch steckt er seine Energie genau in dieses Thema.

Migranten aus G-8-Ländern würden in Deutschland viel besser behandelt als andere Zuwanderer, das sei seine eigene Erfahrung. „Als ich mich entschied, in Berlin zu bleiben, musste ich eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen, aber niemand schrieb mir vor, einen Integrationskurs zu besuchen.“

Brunet kam 2001 mit einem Fulbright-Stipendium nach Berlin, zwischendurch pendelte er regelmäßig wieder nach New York. Nach Stippvisiten als Regieassistent bei Off-Broadway-Shows und als Übersetzer für das German Theatre Abroad kam er zurück nach Berlin. Weil sich hier Jobangebote auftaten, aber auch wegen des Gefühls, „ungefragt zu passen, weil man nicht passen muss“.

Solch freiwillige Zugehörigkeit ist nicht unbedingt gemeint, wenn von Integration die Rede ist. Brunet schwebt eine Art Post-expatriate-Theater vor, das die unterschiedliche Behandlung der Einwanderer zum Thema hat, die Willkür, die man je nach Hautfarbe erfährt, aber etwa auch das Phänomen, dass man als Zugezogener selbst zu beobachten beginnt, wie stetig neue junge Leute nach Berlin strömen und sich die Stadt in der eigenen Nachbarschaft zu verändern beginnt.

Zwölf Jahre ist er mittlerweile in Berlin, „das ist ein Drittel meines Lebens, ich bin hier erwachsen geworden“. Er beäugt die Verdammung mal der Schwaben in Prenzlauer Berg, mal der Easyjet-Touristen. Einen Expatdiskurs wünscht er sich für das Theater und verwendet das Label dennoch vorsichtig – im Bewusstsein, dass die Gefahr besteht, darauf reduziert zu werden, aber die Stadt jetzt neu geprägt wird.

Letzte Chance

Dass sich das English Theatre mit voller Wucht in die Diskussion um die neue Internationalität wirft, ist allerdings auch so etwas wie die letzte Chance. Mit Ablauf dieses Jahres entfällt die Basisförderung, die man 20 Jahre lang erhalten hat. Die Bühnensprache Englisch reichte lange Zeit als Alleinstellungsmerkmal. Dann wurde das Haus von der schnellen Entwicklung überrumpelt.

Im Moment hoffen Brunet und die beiden langjährigen Leiter auf Gelder aus der Stiftung Deutsche Klassenlotterie. Gesichert ist auf jeden Fall ein zweiteiliges Projekt, das im Herbst stattfindet. Für „Echte Berliner/Ihr nicht/Fuck you“ will Brunet Expats aus Nordamerika und Europa und Migranten aus Afrika und Asien zusammenbringen, um ihre Unterschiede auszuleuchten. „New Weird Berlin“ soll ein zweiter Teil heißen, der Berlin von der komischen Seite anpackt. Derzeit läuft der von ihm kuratierte Showcase „Expat Expo“, der einen Überblick gibt und englischsprachige Performer, Autoren sowie Musiker auf die Bühne holt. Viele One-Man-Shows sind zu sehen, eher kurze schnelle Abende, davon aber viele.

Kleine Entdeckungen konnte man auf der „Poetry Night“ machen. Der Autor Alistair Noon las einige seiner Texte und Gedichte, zu einem davon wurde er inspiriert, als vor einiger Zeit bei Göttingen Knochenreste von Steinzeitmenschen gefunden wurden, deren DNA mit den jetzigen Bewohnern übereinstimmt. „You can see, not everybody moves“, lautet die Pointe, mit der er dem Berlinkult Witz und Understatement entgegensetzt und andeutet, welche unterschiedlichen Haltungen zu dem Thema noch zu entdecken sind.

■ Festival „Expat Expo“ bis 2. März, Programm unter www.etberlin.de, auf dem „Expat Markt“ präsentieren sich die Künstler am 23. und 24. 2. im ganzen Haus, jeweils 12 bis 18 Uhr, Fidicinstraße 14, Kreuzberg