Videokunst und Fotografie in Siegen: Lara Croft ist vielleicht etwas zu dick

Brad Pitt mit Pappbecher: Eine Einzelausstellung des Museums für Gegenwartskunst Siegen zeigt Videoinstallationen und Fotografien von Stefan Panhans.

Die Fahrt in der Bahn: Szene aus Stefan Panhans Video "Sorry". Bild: s. panhans

Reisende, die auf ihren Sitzplätzen eingefasst von ihrer Bagage ausharren, überlastete Gepäckablagen, sowie drängelnde Fahrgästen, die sich gegenseitig im Weg sind, vermitteln das gängige Bild eines überfüllten ICEs. Wenn im Großraumabteil aber plötzlich Karl Lagerfeld, Amy Winehouse und Jonathan Meese mit am Tisch sitzen und sich auf dem Gang Brad Pitt, Lady Gaga, Polizisten in Kampfmontur und sonderbarerweise gleich zweimal Johnny Depp aneinander vorbeizwängen, wirkt die Situation grotesk überzeichnet, kommt in ihrer Grundstruktur den realen Bedingungen dennoch nahe.

In Stefan Panhans aktuellem Video "Sorry" (2010) sind die Doppelgänger zwar Berühmtheiten, dabei aber mehr als nur eine illustre Starbesetzung. Denn mit voll gestopften Plastiktüten oder einer großen Wurst in der Hand, mit einem in Luftblasenfolie gewickelten Ast oder einem Autokotflügel unterm Arm wirken sie vielmehr wie eine skurrile Bande, die ein Warenhaus geplündert hat und jetzt auf der Flucht ist.

Auch die Pappbecher, die alle dabeihaben, ohne je etwas daraus zu trinken, sind typisch für eine Konsumkultur à la Hollywood, werden in diesem Setting aber zu einer Notfallausstattung, die einen Imperativ der Selbstfürsorge durchaus ein Stück weit ins Lächerliche zieht.

Die Celebrity-Bezüge in "Sorry" arbeiten bewusst nicht mit dem reinen Schein, wie es zum Beispiel Jeff Koons gerne tut. Die Perfektion wird keineswegs potenziert, vielmehr werden ihr absichtlich echte Köper und Detailfehler entgegengesetzt.

So ist Lara Croft eher etwas zu dick geraten und Jonathan Meese hat nur zwei statt drei Streifen an der Trainingsjacke. Was ist real und was nicht? In der Panhansschen Welt von Sein und Schein wird diese Frage vermutlich nie aufgelöst. Alltagsnähe und Fiktionalität sind bei ihm zwei große Verbündete, zwischen denen seine Arbeiten oszillieren.

Arrangierte Stillleben

Wie das im Einzelnen geschieht, zeigt derzeit seine bisher größte Einzelausstellung im Museum für Gegenwartskunst Siegen. Ein über zehn Räume verlaufender Parcours gibt dort mit sieben Videoarbeiten und 35 Fotografien einen gelungenen Einblick in das Werk der letzten fünf Jahre. Die räumlich wechselnde Abfolge der beiden Medien macht die parallelen, widerstreitenden und sich ergänzenden Bildstrategien besonders gut deutlich.

Ein Desparado und eine Politesse am Lagerfeuer: Filmszene aus Stefan Panhans "Who's afraid of 40 Zimmermädchen". Bild: stefan panhans

Während alle Videos genau kalkulierte Bildausschnitte besitzen, die auf einer statischen Kameraeinstellung basieren - dafür aber eingefangene Bewegung wie zum Beispiel die drängelnde Menschenmasse im Zugabteil zeigen -, fixieren die Fotos Panhans suchenden Blick beim Auffinden des Abseitigen und Unbewussten der Warenwelt.

Die zwei Fotoreihen, die in Siegen zu sehen sind, bedienen sich dabei sehr unterschiedlicher Methoden, mal in einer Art Street Photography oder andererseits als arrangierte Stillleben.

Sichtlich fasziniert vom Konsummilieu und seinen Phantasmen, bewegt sich Panhans bei "o. T." (ab 2007) in Shopping-Malls und touristischen Zentren, allerdings mit einem schnappschussartigen, "falschen" Blick. "o. T., #15 (NYC)" (2008) trägt in der Bildmitte einen unförmigen schwarzen Schatten, an dessen Rändern sich links und rechts zwei lebensgroße gestylte Models abzeichnen, die geradezu im Raum zu schweben scheinen.

Entstanden ist diese wundersam anmutende Aufnahme im New Yorker Macys zur alljährlichen spektakulären Blumenschau. Die frische Ware des verkaufsorientierten Marketingmomentes erzeugt in Panhans trügerischer Ansicht allerdings eine undurchsichtige Wolke voller Projektionsmöglichkeiten.

Auch die Reihe "Items for Possible Videosets" (ab 2009) motiviert der Wunsch nach einem utopischen Ort neben, hinter oder nach der Geschlossenheit kalkulierter Inszenierungen. Dafür arrangiert Panhans zum ersten Mal Accessoires aus den Konsumtempeln fast wie Produktfotos in der Werbefotografie.

Wenn aber auf einem goldenen Grund, der von Weitem wie ein mit Ackerfurchen überzogenes Feld aussieht, ein Spielzeugzaun steht, über den braune Spaghetti wie Mikadostäbe gestreut wurden, dann befinden wir uns in einer Szenerie, die keine klaren Bedeutungsebenen eröffnete, sondern nur damit spielt und so eine surreale Stimmung erzeugt.

Es macht die Besonderheiten von Panhans Werk aus, dass er zwar in die Welt des Konsums einsteigt, sie dann aber mit schwankenden Assoziationen auch wieder zu untergraben weiß.

Die Ausstellung "Stefan Panhans. Wann kommt eigentlich der Mond raus?" ist im Museum für Gegenwartskunst, in Siegen bis zum 3. Juli 2011 zu sehen.

Anlässlich der Ausstellung ist das Künstlerbuch "Sorry" zum gleichnamigen Film von 2010 erschienen; Snoeck Verlag, Köln, 80 Seiten, 19 €

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