: Meine Lust, darum bin ich hier
TANTRA Ahisma sagt, warte nicht, dass ein anderer dir deine Gefühle macht. Dann massiert sie
VON THOMAS FEIX
Ich bin die Dienerin deiner Lust. Ahismas Augen sind auf mich gerichtet, sie suchen meinen Blick. Ich habe es nicht anders erwartet, meine Lust, darum bin ich hier. Ich habe die Liebesszenen aus „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ im Kopf, aus „Der Name der Rose“. Ich lebe praktisch in ihnen, und erst neulich wieder habe ich mir „Mons-ter’s Ball“ angesehen. Ich bin ein aufmerksamer Zuschauer, ich danke den Erfindern von Video und DVD. Um ehrlich zu sein, ich bin nichts als ein Zuschauer, den ganzen Winter über bin ich es gewesen, und ich habe mich dazu entschlossen, den Zustand zu beenden. Ahisma, die Tantra-Masseurin, soll mir dabei behilflich sein.
Sie sitzt im Lotussitz vor mir, nackt bis auf ein farbiges Band um die Taille. Rothaarig, zierlich, sehnige Hände und Unterarme. Auf einer Matratze, die mitten im Raum auf dem Boden liegt. Ich sitze auch auf der Matratze, auch nackt, aber im Schneidersitz, ich kann den Lotussitz nicht, ich bin eingeknickt, im Kreuz und an den Schultern, ich habe es probiert.
Hohe schmale Spiegel an den Wänden, Kerzen brennen, ich sehe Öl in Fläschchen in einem silbernen handgetriebenen Becken, unter dem ein Teelicht steht. Das Geräusch von Wellen, die ans Ufer rollen, eine CD. Tantra-Massage ist die Kunst, mit der eigenen Lust zu experimentieren. Ich habe vergessen, wann und wo ich das gelesen hatte. Zufall, glaube ich. Dann habe ich gelesen: Finde deine verlorenen Gefühle wieder. Draußen taute der Schnee, die ersten Tage ohne brutale Kälte, und ich hatte im Anzeigenteil eines Stadtmagazins nach etwas gesucht, das zum Frühling passt. Bald würde er da sein. Ich habe angerufen und bin los, irgendwohin nach Berlin-Schöneberg.
Warte nicht darauf, dass ein anderer dir deine Gefühle macht, sagt Ahisma jetzt, erzeuge sie in dir selbst. Ich nicke, ich verfolge, wie sie sich abwechselnd mit den Händen über die vorgestreckten Unterarme streicht, sanft von oben nach unten. Ich hoffe, sie will nicht, dass ich es ihr nachmache. Doch dann bin ich dran.
Ihre Hände berühren meinen Nacken und mein Gesicht, meine Brust und meinen Bauch, sie fühlen meinen Herzschlag, fahren dann meine Schenkel von den Knien an aufwärts, begegnen einander in meinem Schoß und verharren dort wie ein Paar, das sich liebt. Mein Blick fällt auf den Phallus. Neben einem der Spiegel steht er da, mehr als einen halben Meter hoch, schlank und glatt. Ein matt funkelnder, schwarzer, polierter Stein, gespannt wie ein Bogen vor dem Abschuss. Auf seiner Spitze balanciert er eine Vagina in Form einer Lilie. Ich schließe die Augen.
Ich verehre deinen Lingam, höre ich Ahisma sagen, ich verehre deine Lust. Ich weiß nicht, wie es ihrer Yoni geht, aber mein Lingam reagiert sofort. Ich spüre es und merke, wie ich falle, ins Bodenlose, rasend schnell. In der Sekunde nimmt Ahisma die Hände weg, zieht meine Füße aus dem Schneidersitz hervor und küsst mir die Zehenspitzen. Ich öffne die Augen, ich bin wieder da.
Beim Tantra ist jeder Körper ein Tempel, hat Ahisma mir vorher erklärt, alles an ihm ist heilig, jede Regung, jeder Teil, und ich habe dazu genickt. Ich bin so weit. Ich möchte Halle Berry, Julie Christie und all die anderen vergessen. Ich denke, ich bin jetzt sogar so weit, sie für immer zu vergessen. Ich bin aufgeregt, ich bin neugierig, ich freue mich auf neue ungeahnte Bilder und Gefühle. Und Ahisma, die Tantra-Masseurin, soll mir dabei behilflich sein.
Zwei Stunden später bin ich auf dem Heimweg. Ich weiß, das war kein Traum. Ich weiß, es hat mir gutgetan. Ich bin Ahisma gefolgt, bin dort gewesen, wo ihre Hände waren, in jedem Moment, an jeder Stelle meines Körpers, und ich habe es beinahe nicht ausgehalten in Erwartung dessen, was als Nächstes geschieht.
Dennoch, es fehlt etwas, jetzt fällt es mir auf. Aber es geht mir gut. Ich kann nicht sagen, was es ist, das fehlt, noch nicht. Ich bin zu Hause, es ist spät, ich greife nach den DVDs. Es ist, weil etwas fehlt, und noch immer weiß ich nicht, was es ist.
Ich sehe Donald Sutherland und Julie Christie auf dem Bildschirm, Billy Bob Thornton und Halle Berry. Ich sehe sie und sehe ihnen dabei zu, was sie tun, und jetzt weiß ich, was fehlt, mir fehlt. Aber das habe ich schon gewusst, das ist der Grund dafür gewesen, weshalb ich telefoniert hatte und losgegangen war. Hinterher hat Ahisma mir gesagt, dass sie „energetisch beteiligt“ war. Energetisch beteiligt. Ich habe es gehört und habe nicht gewusst, was es bedeutet, ich habe nur gewusst, während der Zeit mit ihr habe ich mich nicht leer gefühlt.
Wohl nicht „energetisch“ leer, wohl aber emotional. Es war seltsam, als ich im Raum mit den Spiegeln und dem Phallus war, und manchmal war es peinlich. Ich selber bin mir peinlich und seltsam vorgekommen. Ein Spiel, habe ich mir immer wieder gesagt, nur ein Spiel. Ich bin eingetaucht, aber ich bin nicht darin verschwunden, ich habe nicht daran gedacht, dass etwas passiert, das ich nicht will. Ich habe mehr gewollt, habe mich geöffnet, und das ist es vielleicht gewesen, weswegen ich mir gesagt habe, ich bin aufgeklärt, ich bin rational, aber ich bin nicht hysterisch, und der Verstand, die Analyse, das alles kann mich jetzt mal.
Ich bin jetzt bei Film Nummer drei, Christian Slater und Valentina Vargas in der Klosterküche. Ich werde die DVDs behalten, ich werde sie nicht wegwerfen, wie ich es noch vorgehabt habe, als ich von Ahisma weg nach Hause bin. Nach dem langen Winter werde ich die Filme vorerst weitergucken und dabei abwarten, was der Frühling bringt, wenn er da sein wird. Ich stelle mir etwas vor, das wie in den Filmen ist. Da ist es nie nur energetische Beteiligung, da ist es immer emotional und immer unmittelbar.