Juso-Chef über Sozialdemokraten: "Gabriel hat keinen Mut"

Der Juso-Chef Sascha Vogt über krachende Wahlverluste der SPD, mangelnde Partizipation und andere Versäumnisse des Parteichefs Sigmar Gabriel.

„Die Partei braucht ein Profil“: Sascha Vogt. Bild: dapd

taz: Herr Vogt, SPD-Parteichef Sigmar Gabriel freut sich über vier Regierungsbeteiligungen bei vier Landtagswahlen im Jahr 2011. Sie auch?

Sascha Vogt: Über die Regierungsbeteiligungen freue ich mich. Über die einzelnen Wahlergebnisse nicht. Wenn die SPD drastisch Prozentpunkte verliert oder in einigen Bundesländern nur noch drittstärkste Kraft ist, dann ist das nichts Tolles.

Redet sich Gabriel das Ergebnis schön?

Ja. Seine Darstellungen, besonders am Wahlabend, waren übertrieben. Ich verlange nicht, dass er sagt, dass die SPD krachend verloren hat. Aber von einem großen Sieg zu sprechen führt dazu, dass sich die Leute an den Kopf fassen und fragen: Merkt die SPD noch, was da passiert ist?

Merkt es die Partei denn noch?

Ich hoffe es. Ich finde zumindest, dass man auch nach außen offen sagen könnte, dass die Ergebnisse eine Enttäuschung waren.

Warum kommt die SPD nicht in Gang?

Die SPD würde gut daran tun, wieder mehr die Themen Wirtschaft, Arbeit und Soziales zu betonen. Gerade vor dem Hintergrund der Finanzkrise.

Wirtschaftliche Kraft mit sozialer Gerechtigkeit verbinden will Gabriel doch auch!

Das sind schöne Floskeln - aber was steckt dahinter? Wenn Wirtschaftspolitik heißt, die Reichen zu entlasten, bin ich dagegen. Gute Wirtschaftspolitik heißt für mich, für Infrastruktur und Bildung zu sorgen.

Ergebnisse: Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 27. März wurde die SPD mit 23,1 Prozent nur drittstärkste Kraft. In Rheinland-Pfalz rutschte die SPD um fast 10 Prozentpunkte auf 35,7 Prozent. In Sachsen-Anhalt landete sie eine Woche zuvor noch hinter der Linkspartei: 21,5 Prozent. Trotzdem wird die SPD wohl in allen drei Ländern an der Regierung beteiligt sein.

Analyse: Parteichef Sigmar Gabriel macht für die Verluste der SPD und die gleichzeitigen Zugewinne der Grünen vor allem die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima verantwortlich.

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Sascha Vogt, 29 Jahre alt, ist seit 1997 aktiv bei den Jungsozialisten und seit Juni 2010 deren Bundesvorsitzender. Daneben arbeitet er als Referatsleiter in der Studienförderung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Entlastungen sind falsch?

Ja. Unter Rot-Grün haben wir mehr als ausreichend entlastet. Die Priorität muss sein, die Einnahmen zu steigern. Wir brauchen 20 Milliarden Euro für Bildung, 17 Milliarden für Kommunen und noch einige Milliarden für die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze. Das hat die SPD schließlich alles versprochen! Wir können auch als Partei nur gewinnen, wenn wir ein eigenständiges Profil haben. Und das bekommen wir nicht, indem wir versuchen, bessere Anti-Atom-Politik als die Grünen zu machen - oder bessere Entlastungspolitik als die FDP.

Gabriel sagt, Bildungsausgaben könne man mit Entlastungen verbinden …

… das geht schwer zusammen. Vielleicht, wenn er bereit wäre, den Spitzensteuersatz über 49 Prozent anzuheben und die Vermögenssteuer voll einzuführen. Wenn er zudem die Erbschaftssteuer erhöht, Kapitaleinkünfte stärker besteuert, die Finanztransaktionssteuer umsetzt und das Ehegattensplitting abschafft. Aber er bräuchte viel Mut, um das alles zu tun. Und diesen Mut sehe ich in der Parteispitze im Moment nicht.

Hat Gabriel Angst, als Steuererhöher dazustehen?

Wir werden keinen Erfolg haben, wenn wir versuchen, allen Konflikten aus dem Weg zu gehen. Natürlich wollen Reiche keine Vermögensteuer und Spitzenverdiener keinen höheren Spitzensteuersatz. Aber das muss die SPD aushalten. Die SPD hat ihren Markenkern darin, dass es möglichst vielen Menschen besser geht. Dazu gehört ein Sozialstaat, auf den man sich verlassen kann. Aber Gabriel wollte die Entlastungen, also hat er das Anfang des Jahres eigenständig einfach so festgelegt.

Nimmt er Partizipation nicht mehr ernst?

Es ist ein Problem, wenn er offene Diskussionen will - und dann vorab die Ziele vorgibt. Es muss einem Parteivorsitzenden klar sein, dass die eigenen Worte immer als Parteimeinung wahrgenommen werden. Aber die Partei hat noch nicht entschieden.

Ist Gabriel als SPD-Kanzlerkandidat geeignet?

Das können wir frühestens 2012 diskutieren. Wir brauchen eine Person, die sich glaubwürdig für das SPD-Programm einsetzen kann. Wir müssen aber erst mal sagen, für was die SPD steht. Das ist noch ein weiter Weg.

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