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Archiv-Artikel

Auf ins Paradies

REPUBLIK MOLDAU Immer mehr Menschen beantragen rumänische Pässe. Einziges Ziel: die Einreise nach Europa

BERLIN taz | Der Weg nach Europa führt über Rumänien – jedenfalls für die Bewohner der Republik Moldau. Der kleine Binnenstaat ist eingeklemmt zwischen Rumänien und der Ukraine. Er gehörte zur Sowjetunion und existiert erst seit deren Zusammenbruch 1991 als eigenständiger Staat. Viele der 4 Millionen Moldauer beantragen rumänische Pässe, um in die Europäische Union zu kommen. Das berichtete der Spiegel bereits im Juli 2010. Ähnliche Beiträge in der britischen, italienischen und französischen Presse folgten. Der Inhalt war überall der gleiche: Sie warnte vor Massen von Moldauern, die in Europa einfallen würden, und schürten Ängste, dass mit ihnen die Verbrechensraten steigen würden.

In Moldau selbst haben diese Artikel hauptsächlich negative Reaktionen ausgelöst. Sie wurden zum Anstoß für mehrere größere Expertenstudien. In ihnen ging es auch um die Auseinandersetzung zwischen Russland und der EU um Moldau. Hintergrund ist der Transnistrien-Konflikt, der das Land immer wieder bei politischen Verhandlungen hemmt. Die abtrünnige Region rechts des Dnister verschließt sich jedem Autonomieangebot Chisinaus. Mittlerweile ist Transnistrien durch seine geostrategisch günstige Lage zum Zankapfel zwischen den USA und Russland geworden. Vielen Moldauern scheint, dass sich die Autoren der Untersuchungen hinter diesen Realitäten verstecken. Sie sind der Meinung, nur sie würden die Probleme in ihrer Gesamtheit erfassen können. Denn die Wahrheit in Moldau würde nur demjenigen klar, der dort lebe, den traditionellen Maisbrei mit Käse esse – und viele Stunden für ein Schengenvisum anstehen müsse.

Nachdem Rumänien 2007 Mitglied der Europäischen Union wurde, stieg das Interesse der Moldauer an der Staatsangehörigkeit des Nachbarlandes enorm. Die Presse in Chisinau berichtete unlängst von knapp 120.000 Moldauern, die mittlerweile rumänische Pässe besitzen. Weitere 800.000 Moldauer hätten bereits Anträge gestellt.

Im rumänischen Staatsangehörigkeitsgesetz heißt es, jeder könne die Staatsbürgerschaft beantragen, wenn er oder ein Vorfahre vor Dezember 1989 ohne eigene Schuld die rumänische Staatsangehörigkeit verloren habe.

Der rumänische Präsident Traian Basescu sagte kurz nach seinem Amtsantritt 2004, dass sich die Moldauer sowohl in seinem Land als auch in der EU frei bewegen können sollten. Er versprach, Bukarest würde pro Monat 10.000 Anträge auf Staatsbürgerschaft bearbeiten.

Was passiert momentan in Chisinau? Tausende Moldauer belagern die rumänische Botschaft, um Pässe zu beantragen. Immer häufiger sind darunter auch Menschen, die kein Wort Rumänisch sprechen und die von der rumänischen Kultur und der Geschichte nichts wissen. Ihr einziges Ziel ist, nach Europa zu gelangen. Die begehrten roten Pässe machen aus ihnen keine Rumänen, sondern sind eine Flucht ins Paradies Europa.

Müde vom Warten und enttäuscht vom Spiel zwischen Moskau, Chisinau, Bukarest und Brüssel, setzen sie nun Plan B um. TANIA SCUTARU