: Bilder in die Stadtlandschaft malen
MODERNE Mit der Ausstellung „Roberto Burle Marx – Kunst und Landschaften“ erinnert die brasilianische Botschaft an einen großen Landschaftsarchitekten und Universalkünstler, der ein modernes Bild seines Landes geprägt hat
VON ULRIKE WIEBRECHT
Tausende laufen täglich darüber weg, im Lauf der Jahrzehnte müssen es Millionen gewesen sein. Doch wer ahnt schon, dass es sich bei den schwarz-weißen Schlangenlinien aus portugiesischem Pflaster, die seit 1970 die kilometerlange Bucht der Copacabana säumen, um ein Kunstwerk von Roberto Burle Marx handelt?
So unaufdringlich wie der Landschaftsarchitekt die Strandpromenade in eine begehbare Installation verwandelte, hat er auch anderswo in die Stadtlandschaft von Rio de Janeiro eingegriffen. Bei einigen Privathäusern, beim Palácio Capanema, dem früheren Bildungsministerium, das er 1938 begrünte, und vor allem an der weiten Guanabara-Bucht, die durch seinen Flamengo-Park den Stadtmenschen um 1961 eine ebenso einladende wie fantasievolle grüne Oase bescherte.
Eine Hauptstadt bauen
Zur gleichen Zeit wirkte Burle Marx an der Gestaltung der neuen Hauptstadt Brasília mit. Zusammen mit den Architekten Oscar Niemeyer und Lucio Costa gehört er zur Avantgarde des 20. Jahrhunderts, die das Bild des modernen Brasilien geprägt hat. Grund genug, den Universalkünstler in seinem 100. Geburtsjahr einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. So bespielt die groß angelegte Ausstellung „Roberto Burle Marx – Kunst und Landschaften“ nach Stationen in Rio und São Paulo nun die Brasilianische Botschaft in Berlin.
Nicht zufällig ist die deutsche Hauptstadt erste Anlaufstelle in Europa. Schließlich wurde sie dem jungen Roberto Burle Marx, als er hier Ende der 1920er-Jahre knapp zwei Jahre weilte, zur Offenbarung. Während er Malunterricht nahm, kam er nicht nur erstmalig mit der Kunst eines Kirchner, Kandinsky oder Picasso in Berührung. Sein Aha-Erlebnis hatte er vor allem im Botanischen Garten in Dahlem. Was ihn dort faszinierte, waren nicht etwa Azaleen oder Astern, sondern die Palmen! Hier lernte er die tropischen Pflanzen schätzen, die in seiner Heimat eher als Unkraut betrachtet wurden. Während in Brasilien die Eliten damals nach Europa schielten und jeder, der etwas auf sich hielt, in seinem Garten Rosen züchtete (die die heißen Temperaturen meist nicht lange überstehen), interessierte man sich in Deutschland für die Gewächse des südlichen Amerika.
Bevor sich Burle Marx daran machte, auf einem Landsitz bei Rio die erste systematische Sammlung tropischer Pflanzen anzulegen, fertigte er in Berlin Skizzen für entsprechende Gärten an. Drei dieser Kreidezeichnungen sind gleich zu Beginn der Ausstellung zu sehen. Dann folgen immer ausgefeiltere Entwürfe. Ob Recife, Kuala Lumpur, Miami oder Paris – für die ganze Welt designte er Parkanlagen mit seiner unverwechselbaren Handschrift. Wer die Tuschezeichnungen und Gouachen mit ihren geometrischen, oftmals runden, ovalen oder nierenförmigen Farbflächen betrachtet, fühlt sich an die abstrakte moderne Kunst erinnert. Und tatsächlich: „Als ich mich mit dem Maler Burle Marx beschäftigte, wurde mir bewusst, dass sich seine Landschaftsgestaltung und Kunst gar nicht voneinander trennen lassen“, meint Kurator Lauro Cavalcanti.
Folgerichtig führt er einem in der Ausstellung anhand von zahlreichen Gemälden die innige Beziehung von Malerei und Landschaftsgestaltung des Universalkünstlers vor Augen. Vereinfacht gesagt besteht dessen Gartensprache darin, dass er die Formen, Farben und Motive seiner Bilder auf die großflächige Landschaft überträgt. Wobei er deren Topografie – Wasserläufe, Steine oder Hügel – mit einbezieht und der Vergänglichkeit des Organischen dauerhafte Objekte wie Skulpturen oder Mosaike gegenüberstellt.
Dabei werden die weichen Linien in Verbindung mit der üppigen Vegetation immer wieder zum Korrektiv der rechten Winkel der Architektur. Mit welcher Leidenschaft er so Natur und urbanes Leben miteinander versöhnte, ist nicht nur den Fotos, Zeichnungen und Videos zu entnehmen, sondern auch einem eindrucksvollen Filmporträt, das zur Ausstellung gehört.
Bemerkenswert ist schließlich noch der Entwurf für die Neugestaltung des Rosa-Luxemburg-Platzes in Berlin-Mitte, der 1993 kurz vor dem Tod des Künstlers zustande kam: Geschickt lockert er das Dreieck um die Volksbühne mit geometrischen Grünflächen, Bänken und Kinderspielbereichen auf. Hätte man ihn verwirklicht, wäre aus dem Platz vielleicht ein ansprechender Gegenpol zur dicht bebauten Umgebung geworden. Diese Chance wurde mit der langweiligen Parkplatzlandschaft vertan. Aber wer weiß – vielleicht regt die Ausstellung die Stadtplaner ja dazu an, noch einmal über die Gestaltung des Platzes nachzudenken!
■ Bis 6. Februar, Wallstraße 57, www.brasilianische-botschaft.de