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Archiv-Artikel

Demokratie von oben

Die Hamburger CDU will das neue, per Volksentscheid beschlossene Wahlrecht schon wieder ändern. Doch darf sie das? Ein Interview mit dem Verfassungsrechtler und Unionsmitglied Ulrich Karpen

Interview: Marco Carini

Wenn das Volk entscheidet, wie es wählen soll, müssen sich die Parteien dann daran halten? Nein, meint die in Hamburg regierende CDU und hat einen Entwurf zur Änderung des Wahlrechts vorgelegt, das erst im vergangenen Jahr per Volksentscheid in Kraft getreten war. Damals hatte sich eine Mehrheit der Abstimmenden für einen Vorschlag des Vereins „Mehr Demokratie“ ausgesprochen, nach dem die Wähler künftig hätten beeinflussen können, wer Abgeordneter wird und wer nicht. Davor war diese Entscheidung den Parteien mit ihren Landeslisten vorbehalten. Kritiker, auch aus den eigenen Reihen, werfen der Hamburger CDU vor, mit ihren Änderungsplänen den Volksentscheid inhaltlich umzudrehen. Die CDU-Führung dagegen argumentiert, dass das neue Wahlrecht populäre Kandidaten bevorzuge.

taz: Wie bewertet der Verfassungsrechtler Ulrich Karpen die Pläne der CDU, das per Volksentscheid beschlossene Hamburger Wahlrecht noch vor seiner praktischen Erprobung zu kassieren?

Ulrich Karpen: Die Pläne der CDU sind aus meiner Sicht juristisch nicht zu beanstanden. Dieses Recht hat die Mehrheit der Hamburger Bürgerschaft. Eine ganz andere Frage ist die, wie ein solche Schritt politisch und moralisch zu bewerten ist.

Und wie beantwortet der ehemalige CDU-Abgeordnete Karpen diese Frage?

Ich halte das für politisch heikel und nicht unbedingt klug. Man muss einen Pudding probieren, um zu wissen, ob er genießbar ist. Deshalb sollte einmal nach diesem Wahlrecht gewählt werden. Die empirischen Befunde werden dann zeigen, ob es funktioniert oder nicht.

Die CDU aber will nicht abwarten, sondern das Wahlrecht auch gegen den Willen der Opposition korrigieren.

Die Änderung der Spielregeln einer Demokratie, wozu das Wahlrecht zweifelsfrei gehört, ist die Sache aller Parteien und nicht nur einer großen Partei. Man wird da nicht in allen Fragen einen demokratischen Konsens erzielen, aber man sollte anstreben ein Höchstmaß an demokratischer Übereinstimmung zu erreichen. Ein Wahlrecht, dass von einem großen Teil der politischen Kräfte nicht getragen wird, ist wenig nützlich

Von drei Volksentscheiden hat die CDU zwei nicht akzeptiert. Stärkt so eine Missachtung des Volkswillens Partei- und Demokratieverdrossenheit?

Auch wenn man die drei Volksentscheide nicht in einen Topf werfen kann, wird das die Bevölkerung zumindest irritieren. Positiv ist, dass in Hamburg jetzt auf breiter Basis über das Wahlrecht und direkte Demokratie geredet wird. Es ist für die Anlaufphase solcher direktdemokratischen Instrumente aber sicher besser, wenn das Volk erkennen könnte, dass das, was mit einem Volksentscheid verändert werden soll, auch wirklich durchgesetzt wird. Politisch klug wäre es, die neue Pflanze im Garten – die direkte Demokratie heißt – zunächst erst einmal zu gießen, ehe man die ersten Blätter abschneidet.

Konkret: Was würden sie ihrer Partei jetzt raten?

Sie sollte jedenfalls einen ersten Durchgang einmal abwarten und anschließend eine umfassende Bewertung der Qualität des Wahlrechts durchführen, um dann in einem möglichst breiten politischen Konsens Änderungen durchzuführen, deren Notwendigkeit sich aus dem Testlauf möglicherweise ergibt. Ich würde dringend davon abraten, das Wahlrecht zu verändern, bevor es einmal erprobt wurde.