: berliner szenen Im Blumenkasten
Bäume ohne Namen
Manchmal kommen mir meine Pflanzen etwas irre vor. Vor drei Fenstern der zwei Zimmer im zweiten Stock bilden sie einen ersten Verteidigungsring. Im ersten Blumenkasten lebt ein Baum ohne Namen, der blattlos ganz schön winterlich ausschaut und längst zu groß ist für den Blumenkasten. Von der Straße her sieht es aus, als wenn dieser Baum panisch mit seinen vielen Händen wedeln würde. Die Geste wirkt hilflos und übertrieben. Die Gefahr, die von den in das Zimmer zielenden tödlichen Pfeilen der gegenüberliegenden Häuser ausgeht, ist allerdings auch groß – um das zu spüren, muss man nicht lange Feng-Shui studiert haben. Wobei das „tödlich“ ähnlich richtig und falsch zu verstehen ist wie das auf der Zigarettenschachtel, sich also auch – darin dem Baum gleich – etwas aufplustert. (Buchstaben sind ja wie Bilder ohne Blätter).
Längst hatte ich vergessen, wie Bäume entstehen. Man sagt, dass Vögel manchmal Samen transportieren. Es war aber, glaube ich, in dieser Zeit, als ich mich von meinen Graspflanzen verabschiedet hatte. Ein paar Sommer lang in den Neunzigern waren da immer welche. Die hatte ich dann weggemacht. So konnte man sie nicht mehr entdecken. Und irgendwann hatte dieser Baum ohne Namen begonnen zu wachsen. Und jetzt ist er vielleicht einen Meter hoch.
Daneben gibt es kleine Blümchen mit orangenen Köpfen, die ich manchmal abreiße und danach auf den Schreibtisch stelle. Es gibt noch eine alte fette Pflanze, mit fleischigen Blättern, die den Weg über den Blumenkastenrand suchen, eine lichtere, mit schmalen gelb-grünen Blättern, die schnell wächst, manchmal Unkraut und im Blumenkasten links vor meinem Schreibtisch Heidegras, das im Winter hart wird. DETLEF KUHLBRODT