Atomdissens im Hannöverschen Kabinett: Schünemann sorgt sich ums CDU-Profil

Der Innenminister findet den Ausstiegsbeschluss unsolide. Ministerpräsident Mc Allister verteidigt ihn als pragmatische Politik. Beide finden, die CDU müsse sich mehr um ihre Kernthemen kümmern.

Kein trautes Paar: McAllister (l.) und Schünemann. Bild: dpa

HAMBURG taz | Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann macht sich Sorgen um das Profil seiner Partei, der CDU. In zwei Interviews am Wochenende warf er der Parteiführung vor, zu schnell alte christdemokratische Positionen geräumt zu haben.

Beim Thema Atomausstieg liegt er hierbei über Kreuz mit seinem Ministerpräsidenten David McAllister, der den raschen Ausstieg verteidigte. Die Opposition hebelt freudig an dem Spalt herum: "Unter McAllister dürfen sich Minister offenbar alles erlauben", höhnte SPD-Fraktionschef Stefan Schostok.

Schünemanns Kritik kommt in puncto Atomausstieg zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Gerade hat die CDU-geführte Bundesregierung ein Ausstiegsgesetz vorgelegt, das sie möglichst im Konsens durch den Bundestag bringen will.

Wegen Fukushima hat sich die Beschlusslage zum Atomausstieg in kurzer Zeit mehrfach verändert:

Atomkonsens: Von Rot-Grün 2000 beschlossen, galt er bis vergangenen Herbst. Jedem AKW wurden Strommengen zugebilligt, die auf andere Kraftwerke übertragen werden konnten. Das letzte AKW wäre wohl um 2025 abgeschaltet worden.

Laufzeitverlängerung: "Ausstieg aus dem Ausstieg" im Herbst 2011. Die AKWs sollten als Brückentechnologie zu einer CO2-freien Energieerzeugung im Schnitt zwölf Jahre länger laufen dürfen.

Ausstieg nach Fukushima: Acht Meiler gehen oder bleiben gleich vom Netz. Der Rest wird spätestens 2022 abgeschaltet.

In der Hannoverschen Allgemeinen kritisierte Schünemann, die CDU habe sich in den vergangenen Monaten nicht mehr an ihre Grundüberzeugungen gehalten, sondern viel zu sehr an Umfrageergebnissen orientiert. Das betreffe neben dem Atomausstieg auch die Abschaffung der Wehrpflicht und das Ausscheren aus der Nato-Linie beim Libyen-Einsatz.

In der Energiepolitik seien die Tugenden, die die Politik der Union in der Vergangenheit geprägt hätten, zu kurz gekommen, sagte er der Welt am Sonntag: "Solidität, Weitblick und die Fähigkeit, das Ende zu bedenken." Aus Schünemanns Sicht ist keineswegs geklärt, ob Deutschland ohne Atomkraft sicher und zu akzeptablen Preisen mit Strom versorgt werden kann.

Grundsatzfragen wie der Ausstieg aus der Wehrpflicht oder der Atomenergie müssten von Parteitagen diskutiert und entschieden werden, findet der niedersächsische Innenminister. "Wenn solche Kehrtwenden anstehen, dürfen wir die Basis nicht vergessen", sagte er der Hannoverschen Allgemeinen.

Ministerpräsident McAllister vertrat ebenfalls am Wochenende im Hamburger Abendblatt eine andere Meinung. Im Regierungsgeschäft sei es nötig, bei unvorhersehbaren Ereignissen pragmatisch zu handeln und schnell ein neues Konzept zu entwickeln. "Was hätte die Bundesregierung denn nach dem Unglück von Fukushima machen sollen", fragte er. "Etwa die Kernkraft offensiv verteidigen?" Im übrigen gehöre das Bekenntnis zur Kernenergie nicht zum Wesenskern der CDU.

CDU-Fraktionschef Björn Thümler argumentiert, mit dem Ausstiegsgesetz werde sich gar nichts Grundsätzliches ändern. "Das Energiekonzept aus dem vergangenen Herbst gibt die Richtung vor", sagte Thümler der taz. "Neun Jahre Verlängerung der Restlaufzeit fallen weg, der Rest bleibt."

Thümler räumte ein, dass die CDU ein Problem damit haben könnte, glaubwürdig zu wirken. "Die Vermittlung kommt zu kurz", sagte er. Es seien einfach zu viele Ereignisse in zu kurzer Zeit zu verarbeiten. Jeder Abgeordnete und jedes Parteimitglied sei gefordert, sich an dieser Vermittlungsarbeit zu beteiligen.

Die mögliche Divergenz der Meinungen Schünemanns und McAllisters zeige, was in der Partei diskutiert werde, sagte Thümler. Man müsse das aber "nicht zu sehr überbewerten".

Sein SPD-Kollege Schostok sieht das naturgemäß anders. Mit seiner Forderung, ein Parteitag müsse über den Atomausstieg entscheiden, falle Schünemann McAllister und Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Rücken. Mit der Warnung, der Ausstiegsbeschluss lasse Weitsicht vermissen, bleibe er seiner Linie treu, "Ängste und Vorbehalte zu schüren".

Einig sind sich der Ministerpräsident und sein Innenminister darin, dass die Union die Themen, in denen sie sich traditionell stark fühlt, in den Vordergrund schieben sollte, etwa die Sicherheit. McAllister nennt es das "Brot und Butter"-Themen: Arbeit, Wirtschaft, Finanzen, Infrastruktur, Bildung und Familie gehören für ihn dazu. "Die CDU sollte darüber reden, wo sie stark ist", sagte der Ministerpräsident.

Im Gegenzug distanzierte er sich von den Grünen. "Mich ärgert es, dass einige in meiner Partei den Grünen hinterher laufen", sagte. "Ich tue das nicht." Uwe Schünemann kann er damit auch nicht gemeint haben.

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