Schimanski wird 30 : Tatort, Ruhrort, Kultort

Vor 30 Jahren wurde der erste Schimanski-"Tatort" gesendet und Duisburg-Ruhrort berühmt. Ein Besuch in einem alten Hafenquartier, das mitten im Umbruch steckt.

Seit 30 Jahren ein harter Bulle: Götz George als Horst Schimanski. Bild: dpa

DUISBURG taz | Die Eingangsszene von 2:35 Minuten, ohne jeden Schnitt, bleibt unvergessen: Verkatert sucht ein schnauzbärtiger Mann im Unterhemd in seiner verdreckten Küche nach etwas Essbarem. Im Transistorradio läuft "Leader of the Pack", der Blick aus dem Fenster zeigt eine graue Stahlwerk-Tristesse. Der Mann findet keine saubere Bratpfanne, deshalb klopft er zwei rohe Eier kurzerhand in ein Glas und schüttet sie ex in den Hals. Dann schnappt er sich ein paar Mülltüten und geht. "Duisburg-Ruhrort" hieß der erste Schimanski-"Tatort", ausgestrahlt am 28. Juni 1981.

Kommissar Horst Schimanski: versoffen, ohne Benehmen, gegen alle Konvention. Nach einer Viertelstunde sind die wichtigsten Bah-Begriffe gefallen: "Verschissen … son Arsch … Du Knallkopp … dem die Frau gevögelt …" Die saubere Nation stöhnte auf, auch die Ruhrpottpresse schimpfte. Nur die taz merkte an: "Solche Bullen braucht das Land." Die Fernsehzuschauer sahen alle Vorurteile über das Ruhrgebiet bestätigt: dreckig, grau, ungehobelt, selbst die Bullen sind igitt.

Igitt war bald Kult. 29 Folgen wurden es bis 1991, viele spielten im Schifffahrermilieu. Oft wurde in Ruhrort gedreht, wie auch bei der Nachfolgeserie ab 1995 um den Privatermittler Schimanski. 16 gab es bisher. Ruhrort ist Schimanskis Zuhause.

Yacht- statt Frachthafen

Heute lassen einen erste Hinweisschilder in Ruhrort zur "Schrottinsel" und zur "Kohleinsel" glauben, das Gestern lebe weiter. Aber statt zu Stahlkränen folgen bald Wegweiser zu den modernen Containerterminals. Der größte Binnenhafen der Welt mit 37 Kilometer Uferstrecke boomt und heißt seit 2000 Duisport. Am Friedrichsplatz, dem Zentrum Ruhrorts, entsteht ein edler Neubaukomplex mit Yacht- statt Frachthafen. Dort treffen wir Manfred Kleinrahm.

Der 83-Jährige ist ein Kenner von Ort wie "Tatort". Seine Großmutter war Ruhrorter Heimatdichterin, er selbst war bei Schimanski-Dreharbeiten mit seiner Crew als Sicherheitsmannschaft seit 1985 eingesetzt. Bald wirkte Kleinrahm auch als Helfer mit, als Utensilienbeschaffer und Komparse. "Heute", sagt Manfred Kleinrahm immer wieder "ist alles picobello sauber" und zeigt herum: "Vor 30 Jahren war hier noch dreckigste Industrie. Und heute? Da - nur Grün, alles Bäume." Das mit der Sauberkeit ist Kleinrahm sehr wichtig, wegen des einseitigen Schrott-Images des Kulissenstädtchens. In allen Filmproduktionen im Ruhrpott, hat er festgestellt, "werden immer die dreckigsten Ecken gesucht. Jeder Kameramann kriegt doch gleich nen Orgasmus, wenn er an kilometerlangen rostigen Rohren vorbeifährt."

Ruhrort ist ein besonderes Gebilde: innen ein abgeschlossenes und enges Städtchen mit knapp 6.000 Einwohnern. Im Westen der Rhein, im Süden die ausgebaute Ruhr, drumherum mächtige Hafenarme. Idyllisch ist es an mancher Ecke, besonders am langsam dahinstromernden Rhein - "hohe Lagegunst" schrieben Duisburgs Stadtplaner neulich noch poetisch. Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Ruhrorter als "Tönnekesdrieter" verhöhnt, weil es noch keine Kanalisation gab und man sich also auf Tonnen erleichterte. Und wenn das Hochwasser die Tonnen erwischte und ausleerte, muss es in Ruhrort wochenlang erbärmlich gestunken haben.

Wahrscheinlich haben alle Einwohner irgendwann mal am Set mitgewirkt. "Dorfsheriff Schmidt", wie sich Schimanskis echter Kollege vorstellt, zeigt das Foto einer Polizei-Motorradstaffel. "Die Kollegen sind im ersten ,Tatort' bei einer Verfolgungsjagd dabei gewesen." Ein Anwohner berichtet aus seinem Wohnungsfenster, er habe 1981 in eine Szene direkt vor seinem Hauseingang hineingerufen - "und dann mussten die das voll noch ma nachvertonen". Eine Bankerin berichtet stolz: "Bei uns im großen Tresorraum haben sie auch mal gedreht." Die Rheinhausener Stahlarbeiter freuten sich, dass Götz George bei den großen Streiks 1993 mitmarschieren wollte, eine Studenten-Initiative wollte die Gesamthochschule Duisburg in "Schimanski-Universität" umbenannt sehen.

Haufenweise Hundekot

Fürst-Bismarck-Straße 8: Hier hat zu Beginn von Folge 1 ein Mann seinen Fernseher auf die Straße geworfen und Horst Schimanski erstmals gebrüllt: "Hör auf mit dem Scheiß!" Heute wohnt hier tatsächlich irgendein Schimanski, in Nummer 30. Die Straße selbst, damals voller Dreck und Passanten, ist ein besonders ruhiges Stück Ruhrort. Nur die Scheiße ist geblieben: Haufenweise Hundekot überall.

Marlies Diepenbrock vom Ruhrorter Bürgerverein stöhnt beim Stichwort Schimanski auf: "Nach dem ersten ,Tatort' haben wir einen bösen Brief an den WDR geschickt, mit Todesanzeige für unser Ruhrort. Weil alles so negativ dargestellt wurde." Manfred Kleinrahm kontert: "Na ja, aber nachher haben wir ihn doch geliebt." Die Heimatforscherin stimmt nur teilweise zu: "Wenn ich heute in Bayern in Urlaub bin und sage, ich komm aus Duisburg-Ruhrort, antworten alle sofort: ,Ach so … Schimanski'. So schön is dat auch nich."

"Keine Quatschköppe"

Götz George, 72, dreht gerade mal wieder eine neue Folge. Er gewährt ein Interview von 4:30 Minuten im Wohnwagen am Set. Ob er nach 30 Jahren ein Stück Duisburger geworden ist? "Bin ich, ja", sagt George überzeugt. "Düssburch" habe ihm "immer gefallen durch den Menschenschlag, das sind oft einfache Malocher, keine Quatschköppe, die sind 1:1, echt. Ein ganz spannendes Pflaster." Die Stadt hat den Ruhrpott-Rabauken längst als ihren Sohn adaptiert. Auf der Homepage läuft "der raue Polizist mit dem Hang zum Macho" unter "Persönlichkeiten der Stadt" neben dem Industriellen August Thyssen und Gerhard Mercator, dem Weltvermesser.

Chiem van Houweninge, Schimanskis Filmkollege Hänschen aus Holland, sagt: "Ob ich etwas Duisburger geworden bin? Nein. Für mich ist jeder neue Besuch hier zum Dreh reine Nostalgie. ,Tatort' damals war eine sehr kreative Zeit, sehr neu. Ich mag es gerne, wenn es etwas schmutzig ist. Das ist Realität."

Ruhrort galt unter Seeleuten lange als Klein-St.-Pauli mit einladendem Rotlichtviertel. Schifferkneipen aber gibt es heute kaum noch - keine Muße mehr für maritime Matrosenromantik. Der "Anker", jene schummrige Kaschemme am Marktplatz, in der Schimanski schon 1981 geprügelt und gepöbelt hat, heißt seit 2010 Café Kaldi und ist eine schicke Kulturkneipe mit Lesungen und Kleinkunst. Warum nicht "Café Schimi"? "Schimanski polarisiert hier immer noch", sagt Silke Laskowski, eine der beiden Inhaberinnen, "ich bin seit meiner Jugend ein Riesenfan, aber das ist ein schmaler Grat. Deshalb lassen wir das lieber." Immerhin: Die dunkle Wandverkleidung ist geblieben, auch die alten Original-Stühle, Bilder an der Wand, eine Lesemappe mit Texten und Fotos.

2006, zum 25-jährigen Jubiläum, hat sich Horst Schimanski in der Folge "Tod in der Siedlung" selbst karikiert. In der Schlussszene schluckte der Mime wieder zwei rohe Eier rasch runter, als er, unzweideutig grinsend, seine Freundin Marie-Claire vorfahren sieht. "Herr George, werden Sie zum 50-jährigen Jubiläum noch mal rohe Eier aus dem Glas schlürfen, dann im Rollstuhl vielleicht und aus der Schnabeltasse?" Die Frage beantwortet er empört mit ziemlich schimanskiesker Wortwahl, die nachher leider nicht autorisiert wird. Nein, so weit werde es auch mit fast 90 Jahren kaum kommen, sagt George, "weil ich mich fit halte mit Training, Training, Training. Solange ich ne gute Figur mache, ist das okay. Wenn es nicht mehr geht, dann verabschiede ich mich klanglos; uneitel, hoffe ich. Dann tritt Schimanski einfach ab, so wie er gekommen ist."

Eine Frage blieb lange ungeklärt. Wo war denn nun die sagenumwobene Wohnung der ersten Folge mit dem Blick auf die Phoenix-Hochöfen, die in den 90er Jahren Stück für Stück abgetragen, verschifft und in China wieder aufgebaut wurden? Alle spekulierten, aber niemand wusste was Genaues, auch der intime Kenner Kleinrahm nicht. George zuckt die Schultern: "Keine Ahnung. Ich weiß nur noch, dass es die schönste Schimanski-Wohnung von allen war." Nur Produzentin Sonja Goslicki lächelt: Nahe dem Hauptbahnhof in einem Hochhaus habe man gedreht, das längst abgerissen sei. Ja, aber die Stahlwerkkulisse? Damals gab es doch noch keine Rechner, mit denen man das faken konnte. Das nicht, sagt sie, aber man konnte in das Küchenfenster des Herrn Prollkommissars einen Videofilm der Stahlgetüme einkopieren.

Für schmuddelige Ruhrpott-Klischees taugt also auch Ruhrort nur mit Schummeleien. Im echten Leben wird am 28. Juni der große Schimanski-Abend im Café Kaldi begangen, mit einer neuen "Tatort"-Brause - und einem Rohe-Eier-Contest.

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