: Die Liebe zum Krieg
OPER Musikalisch allemal ein Meisterwerk, kennt man Tschaikowskis „Mazeppa“ in Deutschland dennoch kaum. An der Komischen Oper ist das Spiel um tragisches Scheitern nun in einer eher flauen Inszenierung zu sehen
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Auf der Bühne flackern die Bilder der Kriege und Umweltkatastrophen, die wir aus dem Fernsehen oder von YouTube kennen, unscharf ohnehin und nun zusätzlich zerstückelt, weil sie auf die leeren Kulissenwände einer Theaterszene projiziert werden. Es ist die Normal-Moderne des Regietheaters, eine hässliche Zeit kalter Innenräume, der Gewalt und der Zerstörung. Eigentlich könnte man gleich wieder nach Hause gehen, aber im Graben davor spielt das Orchester der Komischen Oper unter seinem Chefdirigenten Henrik Nánási die Ouvertüre der Oper „Mazeppa“ von Pjotr Tschaikowski, uraufgeführt im Februar 1884 am Bolschoi-Theater in Moskau.
Arg lang ist das her und ganz sicher nicht modern. Aber dennoch neu. Alt sind plötzlich die Videos von Explosionen, schreienden Menschen und Soldaten, weil wir sie nur zu gut kennen, so gut sogar, dass niemand mehr richtig hinschauen mag. Was Nánási dazu zum Klingen bringt, ist der Kontrapunkt eines Orchesterstücks, das aufgewühlt voranpeitschend zunächst, dann zögernd und von Pausen unterbrochen die Dimension des individuellen, tragischen Scheiterns zurückholt in die Welt des digitalen Massenkonsums, in der sie keinen Platz mehr hat.
Skandalöse Liaison
Leider ließ sich dieser Kontrast unvereinbarer Medien über die drei Stunden Spieldauer dieser Oper nicht aufrechterhalten. Was Tschaikowski mit einem zum Teil selbst verfassten Libretto nach einem dramatischen Gedicht von Alexander Puschkin komponiert hat, ist nun mal kein Soundtrack für eine multimediale Installation von heute. Es ist eine Tragödie des 19. Jahrhunderts. Sie handelt von dem in der Ukraine noch heute verehrten Kosaken-Hauptmann Mazeppa, der versucht hatte, seine Heimat aus der Herrschaft der russischen Zaren zu befreien. Der nationalistische Aufstand scheiterte mit einer verheerenden Niederlage. Mehr noch aber als diese historischen Tatsachen interessierte Puschkin die historisch nicht verbürgte Liebe der Tochter eines Gutsherren zu dem um viele Jahre älteren Herrn des Krieges.
Diese skandalöse Liaison steht auch im Zentrum von Tschaikowskis Werk. Umrahmt von Volksliedern des Frauenchors in unregelmäßigen Metren besingt Asmik Grigorian als die Gutsherren-Tochter Maria mit harter, schneidender Stimme ihre Liebe zu dem alten Mann, die sie von vornherein als unglückliches Schicksal begreift. Das ist sie auch. Mazeppa nimmt die junge Frau zu sich und löst damit eine Kette von Intrigen, Verrat, Folter und Rache aus, an deren Ende die öffentliche Hinrichtung des Vaters seiner Geliebten steht.
Die verliert darüber den Verstand, und die Oper endet sehr leise mit einem volksliedhaften Wiegenlied der Wahnsinnigen an ihren einst verschmähten Jugendfreund: große Literatur ist das, die Tschaikowski mit ebenso großem Ernst in eine überaus plastische Musik umformuliert hat. Nánási lässt sie in ihrer ganzen, düsteren Tiefe erklingen. Leidenschaftlich, aber nicht pathetisch, melancholisch gestimmt, aber ohne jede Sentimentalität begleitet das präzise spielende Orchester die Solisten auf der Bühne, allesamt überragend besetzt, allen voran die drei großen Männerrollen mit Robert Hayward (Mazeppa), Alexey Antonov (Gutsherr) und Ales Briscein (Jugendfreund).
Eingesperrt im Bühnenbild
Der Applaus war am Ende lang und verdient für ein absolutes Meisterwerk der Oper, das seltsamerweise in Deutschland fast unbekannt ist. Als Eigenproduktion ist es hiermit in Berlin erstmals vorgestellt worden. Und im Programmheft ist nachzulesen, dass auch der Regisseur Ivo van Hove sich zunächst von Nánási erklären lassen musste, worin die Größe dieses Werkes besteht.
Eine eigene Idee für das Theater auf der Bühne konnte er daraus aber offenbar nicht gewinnen. Wann immer es geht, flüchtet er sich in die Videoclips der Gewalt und des Krieges, die das tragische Verhängnis immer weniger erklären können, je tiefer die Menschen darin versinken. Was am Anfang noch ein Konflikt zweier Medien war, zerfällt am Ende in zwei Teile, die nichts miteinander zu tun haben: die tägliche Dosis an Fernsehkrieg auf der einen, ziemlich ungelenkes, konventionelles Gestikulieren von Theaterfiguren auf der anderen Seite, eingesperrt in das Einheitsbühnenbild einer leeren Büroetage, das ihnen keine Chance lässt, ihre individuelle Persönlichkeit zu entwickeln.
So bleibt ihnen nur der Gesang, den sie geradezu zu genießen scheinen. Man hört zu, staunt und verzeiht das armselige Theater, das diese wundervolle Musik wenigstens in Ruhe lässt, wenn auch nur deswegen, weil es sie nicht versteht.
■ Nächste Aufführungen: 2./8./17./30. März