DAS REFUGEE PROTEST CAMP VIENNA BIETET LÖSUNGEN AN
: Eisiges Kirchenasyl

Knapp überm Boulevard

ISOLDE CHARIM

Der sonntägliche Kirchgang gehört nicht gerade zu meinen Gepflogenheiten. Was mich kürzlich dennoch dazu gebracht hat, war nicht die Messe, sondern das Refugee Protest Camp Vienna. Seit mehr als zwei Monaten „besetzen“ rund sechzig Asylwerber die Wiener Votivkirche. Genauer gesagt – sie haben in Ermangelung eines anderen Asyls auf das Kirchenasyl zurückgegriffen. Dieses wurde ihnen mehr nolens als volens gewährt. Es ist ein Asyl mit Security, die vor allem verhindert, dass Leute in die Kirche gelangen – insbesondere Medienvertreter. Der Zutritt bedarf also einer kleinen „konspirativen“ Hilfestellung.

Im Inneren der Kirche findet sich eine merkwürdige Szenerie: im Mittelschiff eine spärlich besuchte, aber lautstarke Messe, im hinteren Teil ein volles Matratzenlager, wo nur geflüstert wird. Viele Flüchtlinge haben sich in ihre Decken verkrochen. Es ist eisig in so einer Kirche im tief verschneiten Wien. Die Männer bieten mir sofort Tee an. Die meisten kommen aus Afghanistan oder Pakistan. Das eine wiederkehrende Wort lautet: Taliban. Während sie erzählen, setzt sich ein Mann jäh auf. Er sieht äußerst verstört aus. Ein anderer bringt ihm eine Tablette und deckt ihn fürsorglich mit einer zweiten Decke zu. Szenen einer nichtchristlichen Nächstenliebe. Die Männer sind traumatisiert. Viele erzählen, sie seien zu Fuß gekommen – zu Fuß den weiten Weg vom anderen Ende der Welt bis nach Österreich. Eine lange Wallfahrt in diese eisige Kirche. Zu Fuß sind sie auch Ende November aus dem Flüchtlingslager in Niederösterreich nach Wien marschiert. Dieses Marschieren hätten, so der Politologe Ilker Atac, alle Flüchtlingsbewegungen, ob jene von Berlin, Amsterdam, Lille oder von Den Haag, gemeinsam. Ein Marsch von der Peripherie ins Zentrum. (Umso niederträchtiger die Meldung des FPÖ-Führers in Richtung der Flüchtlinge: „Hadsch ma ham nach Pakistan, meine Herrschaften.“)

Der Kampf dieser Menschen ist gewissermaßen doppelt. Politisch ist es ein Kampf um Anerkennung in einem Akt der Selbstermächtigung. Es zeigt sich, dass die Menschenrechte, auf die sie sich berufen, nach einer politischen Identität dieser Menschen verlangen. Existenziell wurde ihr Kampf, weil sie eben nicht über eine solche, über eine politische Identität verfügen. Sie verfügen über nichts, was sie selber repräsentieren würde, außer den entsubjektivierenden Status des Flüchtlings. In so einer Situation bleibt einem nur noch der eigenen Körper zum Agieren.

So traten die Flüchtlinge in der Kirche in einen Hungerstreik, der angesichts der Umstände besonders gefährdend war. Immer wieder mussten Männer hospitalisiert werden. Wie zynisch, wenn Autoritäten da von Erpressung sprechen! Als wäre solch ein Einsatz des eigenen Körpers ein unlauteres Mittel. Tatsächlich ist dieser Körper kein unlauteres, sondern ihr einziges Mittel, um doch noch zu einem legalen Status zu gelangen. Durch den – hungernden und frierenden – Körper zum Citoyen.

Und was für aktive Citoyens sind das. Im Laufe der zwei Monate bewiesen sie eine ganz besondere demokratische Sensibilität. Etwa indem sie keine Forderungen erhoben, sondern Lösungen vorschlugen, Lösungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt und Lösungen zur Überprüfung von Asylverfahren. Ein zentrales Anliegen ist dabei die Löschung der Fingerabdrücke aus dem Eurodac-Computer, um es im Falle eines negativen Bescheids in einem anderen europäischen Land noch einmal versuchen zu können. Die Grenze, die sie heute von ihren Menschenrechten ausschließt, das ist nicht der Stacheldraht, es sind „die feinen Linien auf den Fingern“, so die Regisseurin Tina Leisch.

Demokratische Sensibilität bewiesen sie aber auch, als kürzlich eine Gruppe Rechtsradikaler in die Kirche kam und sich ihnen gegenüber niederließ. Die Flüchtlinge boten den Provokateuren Tee und Decken an und meinten: „We welcome everybody. Freezing her is a strong sign of solidarity. We do our best to help Austrian people – even if they are racists.“

Symbolisch haben sie den Status einer politischen Identität längst erlangt. Ob ihnen dies auch in rechtlicher Hinsicht gelingt, ist allerdings mehr als fraglich. So müssen sie bis auf Weiteres in der eisigen Kirche ausharren.

■ Isolde Charim ist freie Publizistin und lebt in Wien