Regimekritiker Ai Weiwei: Schweigen zur Bedingung

Seit seiner Freilassung darf der Künstler Ai Weiwei keine Interviews mehr geben. Auch seine Freunde, Kollegen und Mitarbeiter fürchten sich vor dem Regime.

Wird außerdem von einer Kamera von der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtet: Ai Weiwei. Bild: dpa

PEKING taz | Ein Julimorgen im Pekinger Vorort Caochangdi: Das blaue Eisentor Hausnummer 258 bleibt verschlossen, keiner geht hinein, niemand kommt heraus. Ab und an passieren Fußgänger die graue Mauer mit dem Firmenschild "Fake". Eine Kamera auf der anderen Straßenseite beobachtet sie alle.

Bis zum Frühjahr war die Adresse des Künstlers Ai Weiwei ein viel besuchter Ort. Ausländische Fernsehteams, Galeristen, Freunde, Künstlerkollegen, Helfer und Praktikanten aus aller Welt gaben sich hier von morgens bis abends die Klinke in die Hand, freundlich toleriert von der Familie des Künstlers.

Die Besucher drängten sich in seinem Büro, an dessen Wand die Namen der beim Erdbeben in Sichuan 2008 verstorbenen Schulkinder geheftet waren; sie ließen sich seine Werke im Studio nebenan zeigen oder interviewten ihn an einem gewaltigen Holztisch. Stets spielten ein paar Katzen im Hof des aus grauen Backsteinen errichteten Komplexes, ständig klingelte irgendwo ein Telefon.

Doch seit der Nacht des 23. Juni, als Ai Weiwei aus einem dunklen Wagen stieg und den wartenden Journalisten erklärte, dass er nicht mehr mit ihnen reden dürfe, herrscht Ruhe vor und auf dem Grundstück. Die Polizei macht sein Schweigen zur Bedingung dafür, dass sie ihn nach mehr als sechswöchiger Haft wieder nach Hause zurückkehren ließ: keine Interviews, keine Blogs, keine Nachrichten auf Twitter. Andernfalls werde er wieder von seiner Familie getrennt und dürfe auch seinen zweieinhalbjährigen Sohn Ai Lao nicht mehr sehen.

Ai Weiweis Freunde stehen unter Druck

Das erzwungene Schweigen trifft nicht den Künstler allein. Auch Mitarbeiter und Kollegen, stehen stark unter Druck. So wie der junge Mann, der sich gerade in einem Pekinger Café von seinen Freunden verabschiedet. Die Polizei hat ihn aufgefordert, sich eine andere Wohnung zu suchen und sich fortan von Ai Weiweis Adresse fernzuhalten: "Sie haben mir zwei Tage Zeit gegeben", berichtet er, "sonst würden sie mir den ganzen Kram vor die Tür setzen." Sein Vergehen: Kurz nach dem Verschwinden Ais im April hatte der junge Mann per Internet dazu aufgerufen, sich aus Protest schweigend unter freiem Himmel zu versammeln und "die Sonne zu genießen".

Ein anderer Nachbar Ais, der Musiker Zuoxiao Zuzhou, bittet um Verständnis dafür, dass er nichts über seinen guten Freund Ai und dessen derzeitige Situation sagen will: "Es wäre nicht richtig, wir müssen warten, bis er sich irgendwann wieder selber äußern kann", sagt er und verschenkt zum Trost ein Poster aus dem vergangenen Jahr, das ihn zusammen mit Ai zeigt.

Auf Google+, dem neuen Internetdienst, hat sich Ai Weiwei Anfang letzter Woche erstmals wieder zu Wort gemeldet - wenn auch nur kurz: "Bin da, Gruß!" /Ende

Auch der Künstler und Fotograf Zhao Zhao, bis zum Frühjahr einer der engsten Mitarbeiter Ais, darf keinen Kontakt mehr mit ihm aufnehmen: "Anordnung von oben." Immerhin ist es ihm besser ergangen als anderen: Hu Mingfen, die Buchhalterin der Firma Fake Cultural Development, verschwand gleichzeitig mit Ai und kam erst nach siebenwöchiger Haft wieder frei. Seither gibt es keinerlei Kontakt zwischen ihr und der Firma, berichten Bekannte: "Sie ist abgetaucht."

Ein anderer Sachbearbeiter soll während der Verhöre einen Herzinfarkt erlitten haben und nun in einem Militärhospital in der nordwestchinesischen Provinz Gansu liegen. Andere Freunde sind nach ihrer Freilassung aus der Haft ebenfalls so verstört, dass sie nicht mehr in die Öffentlichkeit gehen.

Festnahme wegen Steuervergehen

Chinas Behörden begründeten Ai Weiweis Festnahme kühl mit Steuervergehen der Fake Cultural Development, die seiner Ehefrau Lu Qing gehört und auch von ihr geleitet wird. Sie verlangten inzwischen Steuernachzahlungen in Höhe von fast 5 Millionen Yuan und eine Strafe von 7 Millionen Yuan (zusammen rund 1,3 Millionen Euro).

Bei einer Verhandlung am 14. Juli lehnten Lu Qing und die beiden Anwälte des Künstlers diese Summe ab. Die Polizisten, argumentierten sie, hätten ihre Forderung nicht korrekt belegt. Unter Freunden Ais und unabhängigen Juristen besteht kein Zweifel, dass der Steuervorwurf ein Vorwand ist, um die 80-tägige Entführung des Künstlers gegenüber der Öffentlichkeit zu rechtfertigen und den unbequemen Künstler zum Schweigen zu bringen. Die Behörden verstießen dabei gegen eigene Gesetze, die es verbieten, Verdächtige wochenlang ohne Zugang zu einem Anwalt an einem unbekanntem Ort festzuhalten. Dass nicht Ai, sondern seine Ehefrau für die Finanzen der Firma verantwortlich ist, interessierte sie ebenfalls nicht.

Es dürfte wohl auch unter normalen Umständen nicht leicht sein, einen Überblick über die vielfältigen Aktivitäten des Künstlers zu bewahren, der sich in den neunziger Jahren erst als Architekt in der aufblühenden Kunstszene Pekings einen Namen gemacht hatte. Bis Ai 2003 nicht nur für sich, sondern für eine ganze Reihe von Künstlern und Freunden im Nordosten Pekings Ateliers und Wohnungen in seinem typischen massiven Stil aus grauen Backsteinen baute, "kannte noch kein Mensch den Ort Chaochangdi", wie sich Freund Zhao Zhao erinnert.

In den kommenden Jahren sollte Ai rund siebzig Museen, Galerien, Wohnhäuser und andere Gebäude entwerfen - unter anderem in einer geplanten Retortenstadt bei Ordos in der Inneren Mongolei. Zu seinen letzten größeren Projekten zählte die Mitarbeit am Design des Vogelnest-Olympiastadions in Peking und an einem Atelierkomplex in Schanghai. Allerdings ließen die Schanghaier Behörden Ais zweites Studio wieder abreißen, noch bevor es ganz fertig war - obwohl sie ihn zuvor selbst aufgefordert hatten, dort zu bauen, wie der Künstler erklärt hat.

Ist Ai Weiwei wirklich so wohlhabend, wie die Polizei vermutet? Er ist ganz sicher kein armer Mann. Aber: Aus den Einnahmen, die er mit großen Ausstellungen in aller Welt und dem Verkauf von Kunstwerken erzielte, finanzierte er andere Projekte, die wenig oder kein Geld brachten - unter anderem eine Reihe von Filmdokumentationen, die er zusammen mit Freund Zhao Zhao produzierte. Dazu gehörten harmlos erscheinende Ideen wie der Film "Straße des Ewigen Friedens" im Jahr 2004. Die beiden ließen eine Kamera auf der gesamten Strecke der großen Ost-West-Magistrale der Hauptstadt vorrücken. Alle fünfzig Meter nahm die Kamera eine Minute lang auf, was vor ihr auf der Straße geschah. "Wir brauchten vier Monate für das Projekt", erinnert sich Zhao.

Er ist allgegenwärtig

Ais Kunst ließ sich spätestens seit 2008 nicht mehr von seiner politischen Haltung trennen. Nach dem Erdbeben in Sichuan im Mai, als die Behörden den Pfusch am Bau zahlreicher Schulen vertuschen wollten, der womöglich über fünftausend Schülern sterben ließ, unterstützte er die Suche nach den Namen der getöteten Kinder - und erklärte die Aktion zu einem Kunstwerk.

Nicht selten beschäftigte Ai gleich Dutzende Handwerker, Designer und Kollegen für seine Projekte, manchmal waren es sogar mehr: Für die Mammutausstellung "Sonnenblumenkerne" in der Londoner Tate-Galerie im vergangenen Herbst ließ er in der traditionsreichen Porzellanstadt Jingdezhen 100 Millionen Sonnenblumenkerne aus Porzellan formen und bemalen. Zhao Zhao: "Dafür hat er wohl alle Arbeitslosen von Jingdezhen zeitweise von der Straße geholt, es gibt keine Werkstatt dort, die nicht irgendwie beteiligt war".

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.