Politiker-Sommerinterviews: Hier bin ich Mensch

In Sommerinterviews dürfen Politiker zeigen, dass sie auch in ihrer Freizeit noch arbeiten. Am nächsten Wochenende ist Angela Merkel an der Reihe.

Wird häufig mit Fragen gelöchert: Die Bundeskanzlerin. Bild: dapd

Angela Merkel und das Sommerinterview sind gewissermaßen Halbschwestern. Ihr gemeinsamer Ziehvater heißt Helmut Kohl. Es war im Jahr 1988, zwei Jahre bevor er Merkel in sein Kabinett holte, als das ZDF mit Kohl das erste Gespräch dieser Art in seinem Urlaub in St. Gilgen am Wolfgangsee in Österreich führte. Helmut Schmidt hatte zwar 21 Jahre zuvor dem ZDF ein Interview in den Ferien am Brahmsee in Schleswig-Holstein gegeben. Aber erst seit Kohl alljährlich Besuch vom Fernsehen am Wolfgangsee bekam, gehören Sommerinterviews zur Fernsehtradition. ARD, RTL und n-tv führten sie ein, das im Zweiten blieb der Klassiker.

Am Sonntag kommender Woche ist Merkel an der Reihe, dem ZDF zu antworten. Der Bundespräsident und die anderen Parteivorsitzenden waren an den sechs Wochenenden zuvor dran, Merkel darf als Letzte. Im Juli gab sie der ARD ein Sommerinterview, das wie üblich mit Blick auf den Reichstag geführt wurde.

Merkel bleibt ruhig

Merkel gibt diese Interviews schon seit sie CDU-Chefin ist, also seit elf Jahren. Bei ihrem letzten ZDF-Sommerinterview ging es besonders ums Personal der Union. Zuvor waren Althaus, Oettinger, Koch, Rüttgers, von Beust und Wulff aus ihren Ämtern geschieden. Merkel ließ sich nicht von Bettina Schausten, Leiterin des ZDF-Haupstadtstudios, aus der Ruhe bringen. Damals konnte sie auf den bei vielen beliebten Karl-Theodor zu Guttenberg verweisen, als sie sagte: "Die Union setzt sich aus vielen, vielen interessanten Menschen zusammen."

Spannend war allerdings weniger, was Merkel sagte, sondern wo sie saß: an einem Holztisch, der mit seinen Metallbeinen schwer nach Büro aussah. Zwischen der Kanzlerin und Schausten standen zwei Wassergläser. Und der Tisch stand weder in der Toskana, wo sich einst Joschka Fischer dem ZDF präsentierte, noch an einem bodenständig-deutschen Urlaubsort. Der Tisch stand im Kanzleramt, wo gerade Tag der offenen Tür war. "Für die Hausherrin heißt das Anwesenheitspflicht", eröffnete Schausten das Gespräch.

Das ZDF gibt den Politikern nicht vor, wo die Interviews stattfinden sollen. Moderator Thomas Walde, der sich bei den Sommerinterviews mit seiner Kollegin Schausten abwechselt, sagt: "Wir treffen uns dort, wo sich die Politiker zu dem Zeitpunkt aufhalten." Es fällt allerdings auf, dass sich Merkel in den letzten Jahren stets in Berlin sommerinterviewen ließ. Ein See im Umland war das höchste der Gefühle. Das ZDF teilte mit, auch dieses Mal werde Merkel im Kanzleramt befragt.

"Merkel ist beliebt, weil sie als sachlich und fleißig wahrgenommen wird. Das will sie bewusst unterstreichen", sagt der Politikwissenschaftler und Merkel-Biograf Gerd Langguth. "Das Kanzleramt als Insignium der Macht hat sie bewusst gewählt. Wenn sich die anderen in Freizeitkleidung ablichten lassen, kann sie das Gegenstück auch bewusst ausspielen." Merkel, sagt Langguth, tue sich schwer, ihr Privatleben zu inszenieren, hätte aber mit ihrer Nüchternheit viele Jahre Erfolg gehabt.

Schröder im Zoo: Willkommen in der Heimat

Nicht nur Gerhard Schröder war da anders. Er ließ sich zwar auch im Kanzleramt interviewen, bevorzugte aber sonst die heimische Kulisse in Hannover. Saß dort mal im Zoo, mal am Bootssteg. Wenn ihnen das ZDF einen so schönen PR-Präsentierteller hinhält, setzen sich die meisten Politiker drauf, streifen ihre Krawatten ab und freuen sich, die ersten Fragen, die traditionell dem Ort des Interviews gewidmet werden, volkstümelnd zu beantworten. "Schönen guten Tag und herzlich willkommen in der Heimat", wurde Thomas Walde dieses Jahr von Claudia Roth begrüßt, die am glänzenden Bodensee saß. "Sie haben ja Wert gelegt darauf, dass wir uns hier im Saarland treffen", leitete Peter Frey 2009 ein Gespräch mit Oskar Lafontaine am Rande eines Marktplatzes in Saarbrücken ein.

Wie viel Aufwand mitunter für die Inszenierung des Interviews betrieben wird, zeigte sich dieses Jahr bei Bundespräsident Christian Wulff. Er ließ sich per Hubschrauber auf die Insel Norderney fliegen, verschwieg aber im Gespräch, dass er den Urlaub noch gar nicht begonnen hatte. Stattdessen sagte er: "Ich freue mich sehr auf die Tage jetzt mit der Familie und den Kindern." Dass besagte Tage noch ein paar Wochen entfernt lagen, erfuhr der Zuschauer nicht.

Merkel setzt nicht auf derartige Inszenierungen. Sie weiß, dass ihr Nüchternheit steht. Doch auch der SPD-Chef Sigmar Gabriel lud das ZDF dieses Jahr in eine dunkle Bibliothek und zog einen noch dunkleren Anzug an. Der Politologe Langguth sagt: "Die Politiker haben ihren Hintergrund mit Sicherheit alle ganz bewusst gewählt." Toskana-Interviews, während der Euro bedroht ist - so dumm ist keiner.

Vor zehn Jahren ließ sich Merkel bei RTL und n-tv auf eine Sommerinszenierung ein. Bei n-tv saß die CDU-Chefin auf Gartenmöbeln, bei RTL in einem angemieteten Schloss. Beide Sender wollten ihr entlocken, wer denn nun Kanzlerkandidat der Union werde. Sie oder Edmund Stoiber. Merkel legte sich aber nicht fest und blieb bei einem "Sie können davon ausgehen, dass wir eine vernünftige Lösung finden werden".

Solche Phrasen werden in den Sommerinterviews höchst zuverlässig produziert, auch im ZDF. Moderator Thomas Walde hält dagegen: "Viele Aussagen aus unseren Sommerinterviews werden zu Nachrichten, die über die Agenturen laufen." Gerade das ungewöhnlich lange Format von achtzehn Minuten biete die Möglichkeit, kritisch nachzufragen, bis man eine Antwort erhalte. Achtzehn Minuten - die Politiker nutzen die Zeit gern, um Fragen zu umgehen und in den gewohnten Duktus zu fallen. Was dann übrig bleibt, ist ein Interview, wie es auch im Regierungsviertel hätte geführt werden können. Merkel spart sich den Umweg.

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