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Sächsische Ermittlungen"Das sind Alarmsignale"

Erst kam die Datenaffäre, dann eine forsche Hausdurchsuchung. Jetzt warnt Thüringens SPD-Chef Christoph Matschie vor einer Kultur der Angst in Ostdeutschland.

Mehr als irritiert: Christoph Matschie. Bild: dpa
Martin Kaul
Interview von Martin Kaul

taz: Herr Matschie, Sie kritisieren die sächsische Staatsanwaltschaft, weil diese in Thüringen das Haus eines Pfarrers durchsuchen ließ. Warum nehmen Sie Einfluss auf Ermittler, die Straftaten aufklären wollen?

Christoph Matschie: Ich will keinen Einfluss auf Ermittler nehmen. Ich nehme aber verwundert zur Kenntnis, dass Sachsens Behörden Hausdurchsuchungen in Thüringen vornehmen, ohne dass das mit irgendeiner Thüringer Behörde abgestimmt ist. Das ist ein sehr seltsames Vorgehen.

Natürlich dürfen Staatsanwaltschaften zur Aufklärung von Straftaten auch bundesweit ermitteln. Die Staatsanwaltschaft versteht Ihre Empörung nicht.

Üblich ist, dass Behörden sich in solchen Fragen länderübergreifend abstimmen. Und was die Interpretationen der Dresdner Ermittlungsbehörden angeht, bin ich kritisch. Zuletzt haben wir erlebt, dass diese bei Großdemonstrationen massenhaft Handydaten erheben ließ. Ich erwarte, dass solche Methoden nicht einfach nach Thüringen exportiert werden, sondern sich die Behörden hierzu absprechen, wie es sich gehört. Deshalb muss die sächsische Landesregierung uns nun sagen, was hier gelaufen ist.

Verstehen Sie, dass die sächsischen Ermittler gerne mal aufhören würden, jeden Ermittlungsschritt rechtfertigen zu müssen?

Gerade dann ist es doch wichtig, dass sie sensibel vorgehen. Wer gute Gründe für eine Hausdurchsuchung in einem anderen Bundesland hat, muss sie nicht in einer überfallartigen Nacht-und-Nebel-Aktion durchziehen, wie es jetzt in Jena geschehen ist. Dadurch entsteht doch erst Empörung.

Bild: AP
Im Interview: Christoph Matschie

ist 50 Jahre alt und Chef der SPD-Landespartei in Thüringen. Der Politiker ist als Bildungs- und Wissenschaftsminister in einer schwarz-roten Koalition auch stellvertretender Ministerpräsident.

Würden Sie sich auch so aufregen, wenn Lothar König kein linker Pfarrer wäre, sondern ein arbeitsloser Jugendlicher mit Sympathien für Autonome?

Mir geht es darum, dass ein angemessenes Vorgehen gewährleistet ist, unabhängig vom Status des Beschuldigten. Mittel und Methoden müssen angemessen sein.

Umstrittener Einsatz

Die Hausdurchsuchung bei einem Jenaer Jugendpfarrer beschäftigt weiter die Regierungen der beteiligten Länder. Thüringens Justizminister Holger Poppenhäger (SPD) und sein sächsischer Kollege Jürgen Martens (FDP) seien sich in einem Telefonat einig gewesen, dass die Regeln des "Abkommens über die erweiterte Zuständigkeit der Polizei der Länder bei der Strafverfolgung" einzuhalten sind, sagte ein Sprecher von Martens der taz.

Die Polizei darf demnach grundsätzlich "nur im Benehmen mit der zuständigen Polizeidienststelle" in einem anderen Bundesland ermitteln. Die Kollegen müssen also rechtzeitig informiert werden, dem Einsatz aber nicht zustimmen.

Unstrittig ist, dass die sächsischen Polizisten, die am Mittwoch das Haus von Pfarrer Lothar König durchsuchten, ihre Jenaer Kollegen vor Durchsuchungsbeginn informiert haben. Das sei während der Anfahrt passiert, sagte Jan Hille, Sprecher der Dresdner Staatsanwaltschaft. SEB

Die Staatsanwaltschaft sagt, die Behördenkritik von Politikern wie Ihnen kenne sie bislang "nur aus der rechtsextremen Ecke oder von Querulanten".

Diese Äußerung ist gefährlich. Wenn man das Engagement von Zivilgesellschaft und Politik gegen Rechtsextremismus in die gleiche Ecke stellt wie den Rechtsextremismus selbst, dann ist das nicht mehr akzeptabel. Es muss doch möglich sein, dass wir in unserer Zivilgesellschaft eindeutig Position gegen Rechtsextremismus beziehen können, ohne dass Menschen das Gefühl haben, sie würden eingeschüchtert und kriminalisiert. Genau dies geschieht hier: Warum sonst protestieren in Thüringen die evangelische Kirche, der Oberbürgermeister von Jena? Warum demonstrieren in Jena hunderte von Menschen?

Muss es auch möglich sein wegzuschauen, wenn Rechtsextremisten vermöbelt werden?

Nein, natürlich muss gegen Gewalt immmer vorgegangen werden. Die Bürgerbündnisse, die sich in Dresden und Jena gegen Rechtsextremismus engagieren, haben sich immer klar von Gewalt distanziert. Doch die Strafverfolgung, wie wir sie hier beobachten, erweckt den Eindruck, dass es auch um Einschüchterung geht.

Beobachte ich das richtig: Weil die sächsische SPD so schwach ist, spielen jetzt renommierte SPD-Politiker aus ganz Deutschland Opposition gegen Sachsens konservative Regierung?

Das ist doch Quatsch. Es geht mir nicht um Opposition, sondern um einen konkreten Vorfall. Problematisch daran ist nur, dass er kein Einzelfall zu sein scheint, wie es die massenhafte Handydatenerfassung gezeigt hat. Wenn sich Menschen in Ostdeutschland heute wieder ängstlich fragen, was sie am Telefon bereden dürfen und ob sie überwacht werden, dann ist das doch ein Alarmsignal, das wir nicht ignorieren können.

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10 Kommentare

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  • W
    WilderWusel

    Ich les hier ständig was von Rechtsstaat und frag mich wo der sein soll.Überhaupt wird hier ständig auf Sachsen gezeigt und woanders in der Republik geht es ähnlich oder genauso ab. Gängige Praxis ist, daß man eingeschüchtert wird, wenn man nicht die Meinung der Herrschenden teilt, egal,ob in Sachsen oder einem anderen Bundesland. Ob mein Telefon abgehört wird, ist mir mittlerweile ziemlich egal, da ich dagegen eh nichts machen kann. Das, was ich in den letzten Jahren hier erlebt habe, zeigt mir nur, das die Hirnmasse in den Köpfen immernoch ( oder schon wieder?) braun gefärbt ist. Überwachungskameras sind bei uns überflüssig,denn hier passt der eine auf den anderen auf. Wer schön mitmacht,bekommt Punkte auf seinem Gefälligkeitskonto und das öffnet dem Denunziantentum Tür und Tor. Wer sich gegen die Herrschenden auflehnt, wird ausgegrenzt, eingeschüchtert oder bekommt das Leben schwer gemacht.

  • ET
    ein Thüringer

    Die linke taz drängt den SPD-Matschie mit den Argumenten der übereifrigen Dresdner Staatsanwaltschaft in die Ecke des Sicherheitspolitikers. Verkehrte Welt, aber sehr genial dieses Interview. Herrn Matschie Sätze sprechen zu lassen, welche ein CDU-Mann nicht ordentlicher hätte vorbringen können.

  • R
    Robert

    Frage an Martin Kaul (Autor): "linker Pfarrer" - geht das überhaupt ?

  • M
    matze

    liebe taz. eur fragen, bzw. die des herr kaul haben mich sehr verbluefft. habt ihr die redaktionen mit einer anderen tageszeitung getauscht?

  • GA
    Gruß aus Dresden

    Nun ja, im kleinen Königreich Sachsen ticken die Uhren halt anders. Man könnte auch sagen sie gehen rückwärts! Wenn sich ein Herr Hille wundert, dass ein "gängige Praxis" für so viel Wirbel sorgt, könnte er sich ja auch mal fragen, ob diese Praxis wirklich so "gängig" ist, oder halt eben nur im kleinen Königreich. Nun, selbstkritisches hinterfragen scheint nicht seine Stärke zu sein. Offensichtlich ist einigen zu Kopf gestiegen, dass in Sachsen über 20 Jahre immer die gleiche Partei regiert.....die Partei, die Partei die hat immer recht.... Wahrscheinlich bemühen sie sich deshalb so verzweifelt, sich gegen die LINKEN abzugrenzen....

     

    Vielen Dank an Herrn Matschi, Pfarrer König, Jenas OB, Wolfgang Thierse und allen, die friedlich in DD demonstriert haben!

  • K
    Ökomarxist

    "Wenn sich Menschen in Ostdeutschland heute wieder ängstlich fragen, was sie am Telefon bereden dürfen und ob sie überwacht werden, dann ist das doch ein Alarmsignal, das wir nicht ignorieren können. "

     

    Ich will nicht in einen Land leben, wo meine Gespräche abgehört werden, nur weil ich mich als Sozialist für die Demokratie engagiere und zwar gegen Ihre Feinde. Denn es gibt immer noch mehr Rechte als Linke Strafftäter. Wenn also Herr Hille meint, dass Politiker und einige Medien sprechen wie Querulanten aus der Rechten Szene dann ist diese Äußerung nicht nur gefährlich, sondern macht einen auch noch Angst,denn:

     

    „Einen Staat, der mit der Erklärung, er wolle Straftaten verhindern, seine Bürger ständig überwacht, kann man als Polizeistaat bezeichnen.“

     

    Ernst Benda

    ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts

  • R
    Rainer

    Ich fühle mich bestätigt, da ich seit damals die Voratsdatenspeicherung eingeführt wurde, kein Handy mit mir rumschleppe. Ich halte diese unglaubliche Gier der Staaten, nach den Daten seiner Bürger, für sehr bedenklich und nicht mit Argumenten wie innere Sicherheit begründbar. Wenn wir die Grundrechte nicht mehr achten haben Terroristen schon gewonnen. Besonders bezeichnend finde ich in dieser Angelegenheit den vollkommenen Mangel an Selbstkritik. Nicht mal die Personen welche in Deutschland für die Gesetzgebung zuständig sind werden ernst genommen. Wenn hier nicht ein Umdenken einsetzt sehe ich auf dauer schwarz für unseren Rechtsstaat.

  • NM
    norbert masson

    richtig, demokratien und rechtsstaaten müssen wehrhaft sein gegen gewalt; aus welcher ecke sie auch immer kommt. aber rechtstaalichkeit bedeutet auch, angemessen vorzugehen.

    die sachsen lassen das schon länger vermissen. es wird zeit, ihnen die grenzen aufzuzeigen. auch sachsen lebt nicht mehr in der stasizeit der ddr sondern in dem rechtsstaat brd!

  • D
    Dresdner

    Wie auch bei der Zerstörung eines Welterbes, absolute Unfähigkeit aus einer Mischung aus DDR-Altlasten und Kräften die im Westen bewusst in den Osten abgeschoben wurden, in Dresden gibt es eine über Jahrhunderte gewachsene Unterwürfigkeit. Die Dresdner mögen gern dem Landesherrn nach dem Mund reden.

  • TA
    Thomas aus dem Westen

    "Wenn sich Menschen in Ostdeutschland heute wieder ängstlich fragen, was sie am Telefon bereden dürfen und ob sie überwacht werden, dann ist das doch ein Alarmsignal, das wir nicht ignorieren können."

     

    Das ist wirklich alarmierend, man könnte es aber auch so sehen: " Staatsanwalt Hille zeigte sich verwundert, dass eine Maßnahme, "die ansonsten gängige Praxis ist", für so viel Wirbel sorgt. "