Fankultur: Wurst oder Whiskey

Auch in New York haben die rivalisierenden Hamburger Fußballvereine HSV und FC St. Pauli Anhänger, die alle Spiele verfolgen.

Fast wie zu Hause: St. Pauli-Fans in der Williamsburger Szenekneipe East River Bar. Bild: Katharina Finke

NEW YORK taz | Der Holzboden knarrt, ein leichter Biergeruch liegt in der Luft: Die East River Bar ist eine ehrliche Kneipe in einer Ecke des Szeneviertels Williamsburg, wo die Gentrifizierung noch nicht angekommen ist. An den Wänden im Eingangsbereich thront die East River Pirates Flagge, daneben mehrere große St. Pauli-Flaggen und -Schals. Auch die Gäste, über zehn wollen das Spiel des FC St. Pauli gegen Frankfurt sehen, sind entsprechend gekleidet: In St. Pauli-T-Shirt oder Trikot. Die, die direkt von der Arbeit kommen, haben sich wenigstens noch schnell einen braun-weißen Schal übergeworfen.

In New York ist Fußball wie im Rest der USA noch immer ein Nischensport. Trotzdem habender FC St. Pauli und der HSV in New York einen offiziellen Fanclub: Die Anhänger vom HSV kommen seit zehn Jahren im East Village in Manhattan zusammen, die East River Pirates treffen sich seit vier Jahren in Williamsburg. Zwar sind die Fanclubs längst nicht so verfeindet wie in Hamburg, doch die Unterschiede sind spürbar.

Das Nevada Smith, eine klassisch amerikanische Sportsbar mit unzähligen eingerahmten und unterschriebenen Trikots an den Wänden, ist der Treffpunkt der HSV-Fans. Die Bar ist voll, die Mehrheit des Publikums spricht deutsch: Viele von ihnen sind Touristen in blau-weißen Trikots. Zwischen ihnen stehen drei Männer, die Mitglieder des New Yorker HSV-Fanclubs. Statt Trikot tragen sie ein Poloshirt mit Fanclubaufschrift, dazu kurze Hose und Turnschuhe. Konzentriert starren sie auf einen der fünf Flachbildschirme, auf denen das Eröffnungsspiel HSV gegen Dortmund gestochen scharf und live gezeigt wird.

"Ich kann die Spiele nicht versetzt gucken und so tun, als ob sie noch nicht gelaufen wären", sagt Oliver Lunt, der seit über sechs Jahren von New York aus für den HSV fiebert, "da sind wir uns im Fanclub einig." Deswegen treffen sich die HSV-Fans manchmal auch früh morgens in Manhattan und nehmen sich sogar gelegentlich frei, um trotz sechs Stunden Zeitunterschied live bei ihrem Verein dabei zu sein.

Die St. Pauli Fans auf der anderen Seite des East River sehen das Match auf einer Wand, auf die es projiziert wird. Sie haben es aus dem Internet heruntergeladen: "Aufgrund der schlechten Verbindung ruckelt das Bild manchmal", erklärt David Barkhymer, einer der Fanclubgründer. Weil sich die St. Pauli Fans nach Feierabend oder am Wochenende treffen, scheidet Live-Übertragung aus. "Am Spieltag meiden wir Anrufe und bestimmte Websiten", sagt David.

Der 39-jährige Lehrer kommt aus den USA - wie ungefähr die Hälfte der East River Pirates. Die Begeisterung für den FC St. Pauli entstand bei ihm, als er 1997 einen befreundeten Austauschstudent in Hamburg besuchte und gemeinsam mit ihm ein Spiel im Millertorstadion sah. "In den USA gibt es einfach kein vergleichbares Sporterlebnis mit dieser besonderen Atmosphäre", sagt David. Über das Internet fand er andere amerikanische Fans und gründete mit ihnen den offiziellen New Yorker FC St. Pauli Fanclub.

Inzwischen gibt es rund 30 Mitglieder, ganz genau weiß David das nicht. "Wir sind da nicht so streng", sagt er , "jeder ist willkommen." Der jüngste Zuschauer ist drei Jahre alt und der Sohn von St. Pauli-Fan Renzo Pecaroraro. Der 44-jährige Softwareentwickler aus Hamburg versucht, ihn so oft wie möglich zu den Fanclubtreffen mitzunehmen.

Bei den HSV-Fans geht es da schon bürokratischer zu. Im Mitgliedsantrag muss man begründen, warum man HSV-Fan ist, der Mitgliedsbeitrag beträgt 25 Dollar im Jahr. Die zwanzig Mitglieder des Fanclubs kommen aus Deutschland, viele sogar aus Hamburg, die Frau und die Tochter des Gründers sind die einzigen Frauen im Club. "Die meisten Mitglieder wohnen gar nicht mehr in New York", erklärt Oliver Lunt, der sich, nachdem der Gründer nach Connecticut gezogen ist, um die Organisation kümmert. "Aktiv sind nur noch sechs Leute."

Heute sind es außer Oliver sogar nur zwei: Matthias Silcher und Sebastian Holzmeister. Alle leben seit Jahren in New York. Oliver wurde von seiner Speditionsfirma in die USA geschickt, die anderen beiden haben verschiedene Jobs ausgeübt. Sebastian arbeitet heute in der Softwarebranche, Matthias war zunächst in der Marktforschung tätig, inzwischen studiert der 39-Jährige Psychologie. "Ich liebe es, hier zusammenzuhängen und mit anderen über die Spiele zu philosophieren", sagt er.

Die erste Halbzeit verläuft schmerzvoll, schon in den ersten Spielminuten das erste Gegentor von Dortmund, kurz darauf ein zweites. "Das tut ja weh", sagt Sebastian. "Aber immerhin sind die Fantreffen immer eine gute Gelegenheit, um sich in der Muttersprache auszutauschen." Dann fällt das dritte Gegentor. Die Frustration wird mit Bier runtergespült.

Bei den St. Pauli-Fans schallen aus den Boxen St.-Pauli-Lieder von der "100 Jahre St. Pauli CD". Eins davon spielt die Band des New Yorker Fanclubmitglieds und Schlagzeugers Sören Thode. Der 35-jährige ehemalige Dithmarscher Dorfpunk lebt seit fast zehn Jahren in New York und organisiert gemeinsam mit David die Fanclubtreffen.

Tor für St. Pauli! Die Fans springen auf. Traditionellerweise ist dies der Zeitpunkt für eine Runde Knob-Whiskey-Shots. "Das ist unser Ritual, um ein Tor zu feiern", sagt der 32-jährige Christian Gyllensuärd, der lange Zeit in Hamburg gelebt hat. Nach dem Schluck gemeinsames Schütteln. Nicht gerade lecker. "Wir haben einfach die Flasche mit dem hässlichsten Etikett ausgewählt und dabei ist es dann geblieben", sagt er.

In der Halbzeit gehen die Fans in den Außenbereich der Bar, um zu rauchen und sich zu unterhalten. "In New York gibt es so viel Fluktuation", sagt Christian, der mit BWL aufgehört hat und nun Film studiert, "da ist es schön, dass es den Pauli-Fanclub gibt, der ist immer da."

Inzwischen sind noch ein paar Clubmitglieder nachgekommen, darunter auch zwei Frauen. "Ich finde es richtig gut, dass St. Pauli der Verein mit den meisten weiblichen Fans ist," sagt David.

Bei den HSV-Fans sind die Biergläser nach der Halbzeitpause wieder aufgefüllt, die Stimmung ist immer noch angespannt. Oliver, Sebastian und Matthias stehen mit verschränkten Armen vor den Bildschirmen. Dann endlich eine Torchance für die Hamburger. Matthias ruft "HSV, HSV, HSV!". Doch heute springt bis auf einen Ehrentreffer wenig gegen die klar überlegenen Dortmunder heraus.

"Es ist nicht immer einfach, HSV-Fan zu sein", sagt Sebastian, "aber es lohnt sich immer wieder." Privat treffen sich die HSV-Fans eher selten, aber nach dem Spiel gehen sie immer Currywurst essen, bei einem deutschen Imbiss.

In der East River Bar fällt kurz vor dem Schlusspfiff das Ausgleichstor, doch die Pauli-Fans bleiben gelassen. "Es geht nicht immer ums Gewinnen", sagt David und erzählt, wie sie einmal im Jahr Fan-Artikel bei einer Charity-Party versteigern. Letztes Jahr kamen so 1.000 Dollar zusammen. "Wir wollen die St. Pauli-Philosophie leben", sagt David, "und das bedeutet: etwas Gutes tun!"

Vor einigen Wochen war St. Pauli-Präsident Stefan Orth in der East River Bar zu Besuch, zusammen haben sie das Spiel gesehen und sich unterhalten. Der Kontakt der HSV-Fans zu ihrem Verein ist nicht so eng, immerhin haben sie zu ihrem zehnjährigen Jubiläum ein Trikot mit der Aufschrift "10" aus Hamburg bekommen.

Einmal im Jahr kicken die HSV- und St. Pauli-Fans von New York gegeneinander. Die HSV-Fans würden das Spiel sehr ernst nehmen, sagt Pauli-Fan Christian. Bisher haben die HSV-Fans immer gewonnen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.