Tintenkleckser und Frechdachs

Hippen empfiehlt In „Bright Star“ zeigt Jane Campion den romantischen Poeten John Keats als einen jungen Verliebten, der weniger wegen seiner Poesie geschätzt wird

Campion versucht der Schönheit der Dichtung von Keats durch ihre Bilder gerecht zu werden, bleibt aber durch die Nähe zu ihren Figuren geerdet

Von Wilfried Hippen

Er ist der Prototyp des romantischen Künstlers: John Keats war ein unverstandener Außenseiter, dessen Werke erst nach seinem Tod entdeckt wurden, und er starb schon mit 25 Jahren an der Schwindsucht, bleibt also ewig jung. Heute gehört er zusammen mit Shakespeare und Milton zum Triumvirat der größten Dichter der englischen Sprache, er selber hielt sich bis zuletzt für einen Versager. Mit diesen Ironien könnte man in einem Film über ihn schön herumspielen und hätte damit das heute ja so viel schlauere Publikum schnell auf seiner Seite. Ein Augenzwinkern hinter den Rücken seiner so ignoranten Zeitgenossen und ein neuer Aufguss des so beliebten Mythos vom Genie, das seiner Zeit voraus ist – all das erwartet man von solch einer Künstlerbiografie.

Doch es wird schon in den ersten Minuten des Films klar, dass die australische Filmemacherin Jane Campion etwas ganz anderes im Sinne hat. Fast fühlt man sich in einen Roman von Keats Zeitgenossin Jane Austen versetzt, wenn die junge und selbstbewusste Fanny Brawne bei einer Teegesellschaft auf einen jungen Mann trifft, von dem einige Eingeweihten munkeln er sei brillant, der aber eher scheu und verträumt wirkt. Sie necken sich, er nennt sie „Frechdachs“, sie ihn „Tintenkleckser“, und die Mutter von Fanny macht ihrer Tochter bald klar, dass dieser Mann kein Gatten-Material ist.

Der Film erzählt weitgehend aus der Perspektive dieser jungen Frau, die von Lyrik wenig Ahnung hat und Keats freimütig gesteht, sie finde seine Gedichte „schwierig“: Sie mag ihn eher trotz als wegen seiner Dichtkunst. Die archetypische Rolle des Jüngers, des Fans, des Groupies spielt ein vollbärtiger, grantiger Mr. Brown, der Keats mit Wohnung, Geld und seiner am liebsten ständigen Anwesenheit unterstützt und extrem eifersüchtig auf die weibliche Konkurrenz reagiert. Inwieweit das Verhältnis der beiden Männer mehr als nur platonisch ist, bleibt vage – und damit hat Campion eine kluge Entscheidung getroffen, denn dies sind alles Briten und die waren auch in vorviktorianischen Zeiten sehr britisch. Dies bedeutet aber nicht, dass es keine boshaften Kommentare und Intrigen von Mr. Browns Seite aus geben dürfte, und dessen Eifersüchteleien sorgen für einige dramatische Entwicklungen, aber auch für ein paar schöne Lacher. Ansonsten passiert nicht viel: Fanny und John erleben die große Liebe ohne sie jemals ausleben zu können und Keats Verse wie „Bold Lover, never canst thou kiss“ beschreiben diesen Zustand präzise. Dabei wird der Film nie schwülstig – nicht einmal, wenn Campion ihre Heldin durch ein Feld voller Blüten in Lila streifen lässt. Die Regisseurin versucht, der Schönheit der Dichtung Keats’ durch ihre Bilder gerecht zu werden, bleibt dabei aber immer durch die Nähe zu ihren Figuren geerdet. Campion stellt auch ihre historische Genauigkeit nie aus – und gerade weil sie so selbstverständlich ist, kommt man diesen Menschen, die vor knapp 200 Jahren gelebt haben, sehr nahe.

Regisseurin Jane Campion hat immer wieder von solchen hochbegabten und exzentrischen Außenseitern erzählt. Meist waren es Frauen wie die chaotische junge Titelheldin „Sweetie“, die schizophrene Schriftstellerin Janet Frame in „An Angel at My Table“ oder die Musikerin in der Wildnis in „Das Piano“. Offensichtlich fühlt sie sich diesen Figuren verwandt, und so findet sie immer Darsteller, die sie intensiv und glaubwürdig verkörpern können. Abbie Cornish als Fanny und Ben Whishaw als Keats haben einige Szenen zusammen, die eigentlich ins Sentimentale abrutschen müssten, es aber nie tun. Denn ein Reim von Keats und Kitsch, das wäre ja auch fatal gewesen.